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Leben des enfant terrible der US-Dokumentarfilmszene

Die Biographie Kay Sokolowskys über Michael Moore ist eine unterhaltsame und kritische Würdigung des Volkshelden und Staatsfeindes aus Michigan. In einer immensen Fleißarbeit hat der Autor eine Fülle an Quellen zusammengetragen und ausgewertet. Und so erfahren wir auch viel über hierzulande wenig bekannte Aspekte im Leben und Wirken Michael Moores.

Von Christina Janssen |
    "Ich danke Euch! … Danke, dass Ihr alle gekommen seid… Das war eine lange Nacht für uns…und eine großartige Nacht… "

    George W. Bush am Abend seiner Wiederwahl im November 2004. Für Michael Moore - und nicht nur ihn - war das der größte anzunehmende Unfall. In Bush junior hat Moore den "Feind seines Lebens" gefunden, meint sein Biograph Kay Sokolowsky. Die Witzfigur im Weißen Haus wurde für ihn nach den Anschlägen vom 11. September eine Bedrohung für die ganze Welt.

    "Ein Trinker, Dieb, Muttersöhnchen und Deserteur, der die mächtigste Militärmaschine der Welt in Gang setzte, um alles einebnen zu lassen, was auch nur entfernt wie ein Versteck von Osama bin Laden aussah? So lächerlich und simpel war dieser Präsidentendarsteller wohl doch nicht. (…) Bush, der lächerliche Versager, wuchs in Moores Augen zum gefährlichsten Präsidenten der US-Geschichte heran. "

    Und den überzieht Moore unablässig mit bissigen Sottisen. In seinem Buch "Dude, Where’s My Country" tritt er als "Gott" auf, der über Bush richtet:

    "Manchmal baue ich auch Mist. Nicht all meine Schöpfungen sind vollkommen. Und dieser Mensch, den ihr als George W. Bush kennt, nun ja, das ist wirklich einer, der ist mir gründlich misslungen."

    Das Kapitel "Jesus W. Christ" endet mit einem Auftrag an die Menschheit.

    "(…) ziehet aus und bekämpft den Teufel im großen Weißen Haus. Das ist eure Mission. Wenn ihr mich im Stich lasst, seid ihr erledigt.

    … Und Katholik Moore glaubte und gehorchte dem Wort Gottes, denn es war ja sein eigenes. "

    … fügt Autor Sokolowsky – nicht minder ironisch – hinzu. Mit dem "Exorzismus", schreibt er weiter, begann Moore dann nicht im Weißen Haus, sondern im Kodak Theatre, in Los Angeles. Dort nahm Moore am 24. März 2003 den Oscar für seinen Film "Bowling for Columbine" entgegen. Der Höhepunkt seiner Karriere und seines Feldzuges gegen Bush:

    "Wir leben in einer Zeit, zu der uns jemand aus fiktiven Gründen in den Krieg schickt. Ob Isolierband oder die Fiktion der Alarmstufe Orange, wir sind gegen diesen Krieg, Herr Bush. Sie sollten sich schämen, Herr Bush, schämen sollten Sie sich. Und wenn Sie schon den Papst und die Dixi Chicks gegen sich haben, dann ist Ihre Zeit um. Vielen Dank."

    Michael Moore – die Lichtgestalt der amerikanischen Linken. Im Wahlkampf 2004 galt er vielen als der eigentliche Herausforderer von George W. Bush. Den Aufstieg des selbst ernannten Aufklärers und Agitators aus Flint, Michigan, zeichnet Sokolowsky in seiner Biographie nach. - Little Mike scheint der Weg vorgezeichnet: Wie der größte Teil seiner Familie würde auch er zu einem kleinen Rädchen in den großen General-Motors-Fabriken seiner Heimatstadt werden. Der brave katholische Bub entwickelt sich allerdings zu einem Flintschen Hans Dampf: Moore bricht das Studium ab.

    Er gründet eine kleine, dubiose Zeitung, die "Flint Voice", mit deren "Guerilla-Journalismus" er das Auto- und Rüstungsstädtchen zehn Jahre lang auf Trapp hält. Er scheitert als Chefredakteur eines populären linken Magazins in San Fransisco, landet wieder in Flint, mäandert durchs Leben, bis ihn mit 32 so etwas wie eine Erleuchtung ereilt: Moore beschließt, Filmregisseur zu werden. Und da beginnt das Märchenhafte an seiner Karriere: Quasi ohne Geld und als völliger Autodidakt landet Moore mit seinem ersten Film über den Niedergang der Autostadt Flint, "Roger and Me", einen Riesenerfolg. Sokolowsky schreibt:

    "Moore (…) hat mit "Roger and Me" eine völlig neue Form von Dokumentarfilm erfunden. Eine Melange aus Satire, Pamphlet, Journalismus und Slapstick, die das authentische Moment der Bilder nicht für sich selbst, sondern vor allem für die Empörung des Regisseurs sprechen lassen will. "

    Als Vorbild nennt Moore selbst Charlie Chaplin:

    "Wie würden Sie seine Filme beschreiben? (…) Ein großartiger Komiker, nicht wahr? Ja, klar. Aber nein, seine Filme sind durchweg Tragödien. (…) Ihm war klar, dass man die Leute zum Lachen bringen muss, wenn man will, dass sie über ernste Themen nachdenken."

    "Roger and Me" wird ein Kassenschlager. Und Moore, der sich weiterhin erfolgreich als "Proletarier", als einer "aus dem Volk", vermarktet, ein reicher Mann. Dass seine höchst manipulative Arbeitsweise, sein, wohlwollend gesagt, unverkrampftes Verhältnis zu Daten, Fakten und Chronologie, massive Kritik erntet, stört ihn nicht wirklich.

    "Der Film ist einseitig, bösartig, völlig nach meinem Standpunkt geschnitten. Ist er alles, und ich bin stolz darauf. "

    Und so hat Moore ein eigenes Genre begründet, einen neuen Stil, meint Biograph Sokolowsky:

    "Die visuelle Ästhetik von Moores Erstling, geprägt durch eine hektisch herumsausende Handkamera und Stakkatomontagen, ist wie MTV ohne MTV - suggestiv, ohne einlullend, schamlos, ohne voyeuristisch, unterhaltsam, ohne stumpfsinnig zu sein."

    "Ich bin Michael Moore und begrüße Sie zur ersten Folge von TV-Nation. Vor ein paar Jahren habe ich einen Dokumentarfilm gedreht, "Roger and Me". Jetzt hat mir NBC eine Stunde pro Woche gegeben, um zu Ihnen ins Haus zu kommen. Nicht persönlich, aber mit der Sendung, obwohl ich weiß, wo Sie wohnen. Jetzt habe ich die Sendung, aber kein Büro, kein Studio, keine Kulissen, kein Make-up, keine Kamerabühnenarbeiter, nichts. "

    Ein bisschen mehr als "nichts" war es schon: Moore landet als Moderator einer Satire-Sendung beim Fernsehen. In "TV Nation" und der Nachfolgesendung "The Awful Truth" kommt Moores eigentliche Begabung zum Tragen: als Komödiant, Rampensau und glänzender Selbstdarsteller.

    "Ein ehemaliger KGB-Agent sucht das Grab Richard Nixons. Ein Kerl namens Adolf Hitler verlangt von Schweizer Banken sein Raubgold zurück. Ein zwei Meter großes Hähnchen jagt Wirtschaftskriminelle. (…) Eine Topfpflanze kandidiert für den US-Kongress. (…) "

    Willkommen in der Welt von Michael Moore.

    "Am Anfang war die Presse frei, na ja, nicht wirklich frei, klang aber gut. Am Ende des Jahrtausends herrschten fünf Männer über die Weltpresse. Nur ein Mann operierte außerhalb ihrer Kontrolle. Er und seine schmutzige Mannschaft, bekannt als Demokratische Volksrepublik des Fernsehens. Ihre Aufgabe: den Leuten Die Furchtbare Wahrheit zu bringen."

    "Mit "TV Nation" und "The Awful Truth" haben Michael Moore, [seine Frau] Kathleen Glynn und ihr Team Fernsehformate entwickelt, wie sie die USA und auch der Rest der Welt nie zuvor zu Gesicht bekommen hatten. (…) Natürlich wurde auch zensiert. Doch kann man als Einwohner eines Landes, in dem Fernsehsatire sich ständig hüten muss – vor Gremien, Gerichten, Publikum und in der Regel auch vor dem Chefredakteur -, nur staunen, womit Moore und seine Leute Woche für Woche durchkamen."

    Moore, der Chaot und Karrieremann, Moralist und Populist, Journalist und Entertainer. Einer, der keinen zweiten neben sich gelten lässt, einer, der oft verbrannte Erde hinterlassen hat. Kay Sokolowsky zeichnet das Bild eines überdrehten Egomanen, der viel austeilen, aber wenig einstecken kann. Er zeigt aber auch einen modernen Robin Hood, der sich mit Leib und Seele für die Verlierer im globalen Wettstreit engagiert. Und der an seinem größten Vorhaben scheitert: George W. Bush zu verhindern.

    Sokolowsky selbst legt dabei eine bemerkenswerte stilistische Bandbreite an den Tag – platt bis brillant, mal feinsinnig, mal polemisch. Sein Buch ist eine unterhaltsame und kritische Würdigung des Volkshelden und Staatsfeindes aus Michigan. In einer immensen Fleißarbeit hat der Autor eine Fülle an Quellen zusammengetragen und ausgewertet. Und so erfahren wir auch viel über hierzulande wenig bekannte Aspekte im Leben und Wirken Michael Moores.

    Und alles wäre gut, wenn Sokolowsky es dabei beließe. Leider aber kann er sich ein systemkritisches Kommandounternehmen in eigener Sache nicht verkneifen. Was er bei Moore an theoretischen Defiziten ausmacht, das liefert der Autor selbst nach. Und das geht daneben. Moore, bemängelt der Autor, das sei die "Light-Version von Kapitalismuskritik". Damit mag er Recht haben. Aber warum ist er darüber so verbittert?

    "Niemals stellt Moore das System in Frage. (…) Der "Prophet der Linken", wie seine reaktionären Gegner in den USA ihn nennen, ist ein Erzliberaler mit ausgeprägtem Mitleid für die Schwachen in der Welt: "Bourgeoissozialismus" nannten Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei die Ideologie, der Moore anhängt. "

    Moore – ein Erzliberaler? - Es kommt noch besser. Zu Moores Ausflug nach Leipzig 1989, zum Fall der Mauer, den Moore bejubelt, schreibt Sokolowsky:

    " [Moore] ahnte wohl, dass für den Kapitalismus nun eine große Zeit anbrach, aber er begreift bis heute nicht, dass die Grenze, an deren Abriss er sich so vergnügt beteiligt hat, das einzige war, was die Marktwirtschaft daran hinderte, ihre Verwertungsgeilheit, Amoral und Unmenschlichkeit zu entfalten."

    Versteigt sich der Autor ernsthaft dazu, die Mauer als letztes Bollwerk gegen den amerikanischen Menschenfresser-Kapitalismus zu preisen? Das ist indiskutabel. - In dieselbe Kategorie gehört leider auch Sokolowskys Abrechnung mit der deutschen Moore-Rezeption. Kein einziger Kritiker, der unter seinen Augen Gnade fände. Vieles trägt da die unverkennbaren Züge einer persönlichen Abrechnung mit dem einen oder anderen Kollegen. Dieses Kapitel kann und sollte sich der Leser getrost ersparen. Denn hier geht es nicht mehr um Michael Moore, sondern um Herrn S. und sein Mega-Ego. Schade eigentlich.

    Christina Janssen rezensierte Kay Sokolowsky: Michael Moore. Filmemacher, Volksheld, Staatsfeind. Im Konkret Literatur Verlag Frankfurt am Main, das Buch umfasst 200 Seiten und kostet 15 Euro.