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Leben im Meer

Medizin. – Vor der italienischen Insel Ponza findet derzeit ein ungewöhnliches Experiment statt. Zwei Versuchspersonen sollen zehn Tage lang unter Wasser leben, um die Auswirkungen der ungewöhnlichen Verhältnisse auf den menschlichen Organismus zu erkunden.

Von Thomas Migge |
    Vom Boot aus kann man die Unterwasserstation nur erahnen. Konturen sind kaum zu erkennen. Durch ein Sichtrohr, das vom Boot aus ins Wasser herabgelassen wird, erkennt man die zwölf Quadratmeter große Plattform. Zu sehen sind ein Tisch mit vier Stühlen, ein Sofa und ein Sofatischchen, auf dem zwei Fernsehbildschirme stehen. Auf der Plattform aus Zement, die auf dem Meeresgrund verankert ist, stehen auch ein Trainingsrad und ein Laufband, wie man es aus Sportclubs kennt. Und dann sind da noch zwei Betten. Eigentümliche Betten, stehen sie doch auf dem Kopf. Das sei ganz normal, erklärt Carlo Vannucini vom Meeresforschungsinstitut der römischen Universität "La Sapienza":

    "Das ist theoretisch ein ganz normales Bett. Es steht auf dem Kopf, weil ein Taucher, der unter Wasser in einem Bett schlafen will, vom Druck immer nach oben, zur Wasseroberfläche getrieben wird. Steht das Bett umgedreht, richtet sich also der Lattenrost nach oben, dann wird der schlafende Taucher in seinem Bett festgehalten. Anstatt wie von der Schwerkraft auf der Erde auf das Bett gedrückt zu werden, wird er so nach oben gedrückt und bleibt liegen. Wir gehen davon aus, dass ein Mensch eine Woche auf diese Weise schlafen kann, ohne gesundheitliche Schäden davon zu tragen."

    Vannucini ist Mitarbeiter eines Projekts, das erforschen will, wie lange der Mensch unter Wasser leben kann. Nicht in einem U-Boot und auch nicht in einer Unterwasserstation, sondern nur in einem Tauchanzug und in sieben Metern Tiefe. Das Projekt heißt "Explorer Team Pellicano" und kostet 300.000 Euro. Das Team besteht aus zwei professionellen Tauchern, Medizinern, Meeresforschern, Biologen und Kameraleuten, die das auf zehn Tage angesetzte Projekt rund um die Uhr filmen werden. Ort des Unterwasserexperiments ist der Meeresgrund bei Cala Feola in der Nähe der mittelitalienischen Insel Ponza. Carlo Vannucini:

    "Die während des Projekts unter Wasser ermittelten Daten sollen uns Aufschluss darüber geben, wie der menschliche Körper reagiert. Fachleute für Herz und Kreislauf, Dermatologen, Neurologen, Psychologen, Augenärzte et cetera werden die beiden Taucher ständig kontrollieren. Dafür müssen sie zwei Mal am Tag ein 3,60 m breites und 1,80 m hohes Stahlgebäude aufsuchen, das auf der Plattform installiert ist."

    In dieser Basis essen die Taucher - oder auch "Aquanauten", wie sie genannt werden - erledigen ihre körperlichen Bedürfnisse und unterziehen sich medizinischen Untersuchungen: mit Hilfe modernster Geräte zur Ferndiagnose sowie mit dem Einsatz von Ärzten, die jeden Tag zu dieser Basis herabtauchen, um vor Ort ihre Untersuchungen durchzuführen. Täglich werden Bulletins erstellt, die Auskunft über die Auswirkungen des Unterwasserlebens auf den gesamten Organismus geben, auch auf die Produktion von Hormonen. Carlo Vannucini und seine Mitarbeiter sind sich nicht sicher, ob die beiden Taucher volle zehn Tage unter Wasser aushalten werden:

    "Wichtig ist es sie ständig unter Kontrolle zu haben. Auch wenn es bei einer Tiefe von sieben Metern zu keinen Embolien kommen kann, so ist es doch unklar, ob es ein Mensch so lange in einem Tauchanzug unter Wasser aushalten kann. Stellen Sie sich allein schon die psychologische Belastung vor. Eine Gefahr besteht auch darin, dass sie zu lange schlafen und ihr Gehirn mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird."

    Nach zehn Tagen Unterwasserdasein, so die Forscher, wird auch der Aufstieg zur Wasseroberfläche ein kritischer Moment sein, der nur ganz langsam vonstatten gehen wird, um die Gesundheit der Taucher nicht zu riskieren. Das Projekt "Explorer" soll nicht nur das Verhalten und die physiologischen Reaktionen der Taucher erforschen, sondern auch Informationen darüber liefern, inwiefern Tauchanzüge technisch verbessert werden können, damit Menschen länger bequem unter Wasser bleiben können. Deshalb sind auch verschiedene Unternehmen an "Explorer" mitbeteiligt - ohne deren Finanzmittel das Projekt nicht zustande gekommen wäre, denn das Wissenschaftsministerium hat fast alle Gelder für Unterwasserforschungsprojekte italienischer Hochschulen und Forschungseinrichtungen gestrichen.