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Leben in der Armut

Die Republik Moldau ist ein Agrarland. Doch heute liegen viele Ackerflächen brach. Große Teile der Landbevölkerung sind ins Ausland abgewandert, arbeiten schwarz in Italien oder Portugal, weil es sich nicht lohnt, das eigene Land zu bestellen. Zu allem Überfluss hat in diesem Sommer auch noch Russland, bis dahin der größte Außenhandelspartner der Republik, ein Importverbot für moldauische Erzeugnisse ausgesprochen. Ein Bericht von Gesine Dornblüth.

    Fjodor steigt vom Traktor. Er hat den Hänger rückwärts auf seinem Hof geparkt. Jetzt laden Männer Bauschutt auf. Eigentlich ist Fjodor Landwirt. Sein blaues Hemd ist weit aufgeknöpft, weiße Bauchhaare gucken hervor. Zwei Hektar Land besitzt er, aber in diesem Jahr lässt er die Ernte einfach vergammeln:

    "Ich habe Weizen, Mais und Wein. Niemand hilft uns.
    Wohin sollen wir die Ernte verkaufen? Wir kriegen höchsten 60 Bani für das Kilo Weizen, 70 Bani für das Kilo Mais. Da lassen wir die Ernte lieber auf den Feldern."

    60 Bani sind vier Cent. Er könne damit nicht mal den Diesel für den Traktor kaufen, sagt Fjodor. Deshalb widmet er sich in diesem Sommer lieber dem Hausbau. Das Geld dazu schicken seine Kinder.

    "Meine Kinder sind in Moskau. Es können ja nicht alle nach Italien. Sie arbeiten dort schwarz auf dem Bau."

    Fjodor lebt am Rand von Costesti, einem Ort etwa eine halbe Stunde von Moldaus Hauptstadt Chisinau entfernt. So wie ihm geht es heute vielen Landwirten in der Republik Moldau. 13.000 Menschen wohnen in Costesti, aber trotzdem ist es hier dörflich: Gärten säumen die sandigen Dorfstraßen, dazwischen hin und wieder ein Brunnen. Fließend Wasser gibt es nicht. Fjodor wischt sich den Schweiß von der Stirn. Fast alle jungen Leute seien aus Costesti fort gegangen, erzählt er. Nur noch alte Leute und Kinder seien da. Auch seine Enkel wachsen bei ihm auf. Ein anderer Mann mischt sich ein. Vasja ist zu Besuch aus der Stadt gekommen:

    "Mein Bruder hat vor ein paar Jahren eine große Obstplantage mit Süßkirschen, Äpfeln und Wein geerbt. Schon nach zwei Jahren wusste er nicht mehr, wohin mit dem Obst. Zuerst hat er die Süßkirschen abgeholzt, als Feuerholz. Jetzt hat er nur noch Wein. Und den will er auch abholzen. Dabei sind das sehr gute Erzeugnisse. Aber kein Land nimmt sie."

    Fjodor nickt. Zu allem Überfluss hat in diesem Sommer auch noch Russland ein Importverbot für moldauische Erzeugnisse verhängt. Russland war bisher Moldaus größter Handelspartner. Offiziell heißt es, die Russen seien mit der Qualität der moldauischen Produkte nicht zufrieden. Beobachter vermuten jedoch, dass das eine Reaktion auf den Westkurs der Republik Moldau ist. Präsident Vladimir Voronin bemüht sich neuerdings um Reformen in seinem Land, hin zu westeuropäischen Strukturen. Das könnte Russlands Präsident Putin verärgert haben. Vasja schimpft:

    "Früher waren wir mit Russland befreundet. Wir haben ihnen Wein, Pfirsiche, Süßkirschen, alles geschickt. Dafür haben sie uns billiges Benzin und Gas geliefert. Wir hatten Arbeit und haben gut gelebt. Unsere Regierung, Woronin, hat sich mit allen zerstritten. Und wer ist jetzt noch unser Freund? Russland hat angekündigt, dass wir bald keine Gaslieferungen mehr bekommen. Und dann?"

    Auf dem zentralen Platz vor dem zerfallenen Kulturhaus von Kostesti, gleich neben der Bushaltestelle, haben ein paar Frauen ihre Ernteerträge aufgebaut. Zerbeulte Tomaten, Paprika, Äpfel und Weißkohl lagern in Holzkisten. Katja ist die jüngste der Frauen. An diesem Tag hat sie knapp fünf Euro eingenommen:

    "Hier kaufen nur Leute ein, die keinen eigenen Garten haben oder keinen Brunnen in der Nähe, um zu gießen. Was wir hier nicht verkaufen, bringen wir in die Stadt.
    Aber da spürt man auch die Folgen des russischen Boykotts. Überall gibt es Obst und Gemüse, und niemand kauft etwas."

    In der Stadt, in Chisinau, sitzt Michail Skakun bei einem Kaffee. Skakun handelt mit Saatgut. In diesem Jahr musste er acht von zwölf Mitarbeitern entlassen. Das Land sei korrupt, sagt er, es gäbe zu viele Monopole, profitables Arbeiten sei einfach nicht möglich. Wenn demnächst noch der reiche Nachbar Rumänien EU-Mitglied ist, dann sehe es richtig schlecht aus, klagt Skakun:

    "Wir wollen ja nicht mit ihnen streiten, und zu sagen, wegen der EU lebt Moldau in der Armut, das wäre dumm. Man darf den Nachbarn nicht für das eigene Armsein verantwortlich machen, sondern man muss sich überlegen, wie man es anstellt, dass man selbst so reich wird wie der Nachbar."

    In Costesti geht Fjodor, der Landwirt und Hausbauer, zur Baustelle. Die Fenster sind schon drin. Wenn der Anbau fertig ist, sollen seine Kinder einziehen:

    "Wenn sie überhaupt zurückkommen. Ich weiß nicht, wann das sein wird."