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Leben in ständiger Angst

In Simbabwe spitzen sich die politische und die wirtschaftliche Krise weiter zu. Ende März wurde der seit 1980 regierende Präsident Robert Mugabe von seiner Partei Zanu-PF erneut zum Spitzenkandidaten für die im März 2008 geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gekürt. Die Opposition gegen sein Regime lässt Mugabe immer häufiger von Polizei und Armee zusammenknüppeln.

Von Thomas Kruchem |
    Auch die - durch die Vertreibung der 5.000 weißen Farmer ausgelöste - wirtschaftliche Krise in Simbabwe verschärft sich dramatisch. Die Hyperinflation hat mehrere tausend Prozent erreicht; 85 Prozent der Simbabwer sind arbeitslos. Nach einer, zudem miserablen Ernte hält es die "Deutsche Welthungerhilfe" schon heute für unvermeidbar, dass ab Juli dieses Jahres Tausende Simbabwer verhungern.

    Es begann am 11. Juni 2005, berichtet - in der Baptistenkirche von Bulawayo - Florence, eine schmale junge Frau, den Blick zu Boden gerichtet. Um fünf Uhr früh rückte schwer bewaffnete Polizei ein - in Bulawayos Armenviertel Kilani - jagte jeden ins Freie, der keine Baugenehmigung hatte für sein Haus, zündete die Häuser an.

    "Operation Murambatsvina", "Operation Müllentsorgung". Binnen weniger Wochen verloren auf Befehl Mugabes die 700.000 ärmsten Stadtbewohner Simbabwes Zuhause und Broterwerb - weil sie angeblich illegal wohnten und arbeiteten.

    Nach Tagen in Rauch und Kälte fanden 300 Vertriebene aus Kilani Zuflucht in der Baptistenkirche Bulawayos, harrten dort aus - wenn auch nicht mehr frierend, so doch ratlos und in Angst.

    "Wir überlegten noch, was wir jetzt tun sollten, da stürmten plötzlich schwer bewaffnete Polizisten die Kirche. Sie prügelten uns mit Knüppeln auf Lastwagen und fuhren uns in den Busch. Die paar, die einen Ausweis hatten, brachte man in die Orte, aus denen sie stammten, wir anderen wurden irgendwo im Busch ausgesetzt - mit ein paar Decken, Zelten und etwas Maismehl. Wir haben da draußen furchtbar gefroren. Meine Tochter Nubokozi wurde schwer krank, Matenda, eine Nachbarin, verlor ihren Mann, auch die kleine Tochter meiner Kusine Jabas starb. Sie war erst zwei Wochen alt, als sie uns im Busch aussetzten."

    Florence und ihre Leidensgefährten, Hunderttausende Vertriebene, wanderten zurück in die Städte, bieten dort längst wieder Tomaten an, Zwiebeln und Schnürsenkel; vor der "City Hall" Bulawayos auch Selbstgeschnitztes für Touristen, die nicht kommen; die Einheimischen leben nur noch elender als vorher und in steter Angst - wie im "Kilani Squatter Camp"; in Verschlägen aus Kartons, Brettern und Plastikplanen, wo bis 2005 Häuser aus Beton, Ziegeln und Wellblech standen.

    "Wir hocken so eng aufeinander dort und sind so verzweifelt, dass ständig jemand gewalttätig wird. Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung, und ich habe oft Streit mit meinem Mann. Immer, wenn ich ein paar Kerzen verkauft habe, will er sofort das Geld. Er schlägt mich, bis ich es ihm gebe, und dann betrinkt er sich - um für eine Nacht alle Sorgen zu vergessen."So viele sterben", sagt Florence weiter. "Und ihre Geister verfolgen uns, solange wir ihnen nicht die letzte Ehre erweisen."Wo sollen wir bloß unsere Toten begraben? "Wir haben keinen Platz auf unserem Friedhof", sagen die Leute in Kilani. Ein paar Mal erlaubte uns der Geschäftsführer eines Zementwerks, seinen Firmenfriedhof zu benutzen. In Zukunft will er das aber nicht mehr erlauben. Außerdem haben wir keine Särge. Bisher haben wir Bretter von unseren Hütten genommen und daraus notdürftig Särge gezimmert. So konnten wir unsere Toten zumindest einigermaßen würdig bestatten. Inzwischen haben wir auch keine Bretter mehr."

    Simbabwes Befreier Robert Mugabe hat sein Land in den Ruin geführt, sagen Gesprächspartner, die anonym bleiben wollen. Das Land mit dem - bei der Machtübernahme Mugabes 1980 - höchsten Bildungsniveau Afrikas; mit einer blühenden, wenngleich ungerecht verteilten Landwirtschaft; mit riesigen Gold-und Chrom- und 40 Prozent aller Platinvorkommen weltweit war es ein Paradies für Touristen.

    Aber der Befreier witterte überall Feinde. In der Minderheit der Ndebele im Süden zunächst, wo er zu Beginn seiner Herrschaft Tausende Dörfer niederbrennen und 20.000 Menschen ermorden ließ. Feinde witterte er, 15 Jahre später, unter den 5.000 weißen Farmern, die er vertreiben, deren Anwesen und Felder er verwüsten ließ.

    Ein zum Diktator mutierter Befreier - ohne Machtbasis im Volk sondern nur noch in der korrupten Elite seiner Partei Zanu-PF. Eine Elite, die sich nimmt, was sie will: enteignete Farmen und Industriebetriebe, Ex- und Importlizenzen, Devisen zum Hundertstel des tatsächlichen Wertes. Eine Elite, die nur konsumiert, Werte ins Ausland schafft, aber nicht investiert.

    Warum auch? Kaum jemand investiert in Simbabwe; die Wirtschaft schrumpft seit sieben Jahren; die Infrastruktur kollabiert mangels Ersatzteilen. Gerade acht Prozent aller Züge fahren noch; immer häufiger werden Wasser und Strom abgestellt.

    Ein Wunder, dass inmitten verrottender Hallen im Industriegebiet von Bulawayo überhaupt noch Betriebe produzieren. Simon Spooner, zum Beispiel, füllt mit 30 Arbeitern Fruchtsäfte und Sirups ab. In großen Kesseln werden Zutaten verrührt; das Produkt fließt in Plastikflaschen, die in Schrumpffolie verpackt werden. Eine einfache Produktion, bei der sich viel manuell machen lässt.

    "Wenn wir Strom haben, konzentrieren wir uns auf die Produktionsprozesse, für die wir den Strom brauchen, und legen Vorräte von Zwischenprodukten an, die wir auch ohne Elektrizität weiter verarbeiten können. Hinter der Fabrik haben wir außerdem einen Wassertank. Wir müssen Wasser auf Vorrat haben, weil wir nie wissen, wann es uns abgestellt wird."

    Einen Generator, sagt der früh ergraute Unternehmer, kann er sich nicht leisten. Sein Geschäft zehre von seit langem vorhandenen Produktionsmitteln - ein Geschäft, in dem er immer häufiger der so wichtigen Liquidität hinterherhechelt. Kein Wunder: Eine Hyperinflation von inzwischen fast 9.000 Prozent hat Spooners Preisen und denen seiner Lieferanten ein Verfallsdatum von nur mehr wenigen Stunden beschert. Darüber, wie er an Devisen für seine zu 40 Prozent importierten Rohstoffe kommt, schweigt Simon Spooner lieber.

    "Wir führen unser Geschäft in ständiger Angst. Wir müssen ständig befürchten, festgenommen oder sonst wie drangsaliert zu werden - je nachdem, wen die Regierung gerade für die miserable wirtschaftliche Situation verantwortlich macht. Weil das Regime die Verantwortung dafür partout nicht übernehmen will, prangert es in seinen Medien mal die Industrie an, mal die Händler und die Ladenbesitzer; sie seien schuld an der Krise, weil sie überhöhte Preise verlangten. Ja, wir leben in ständiger Angst und müssen deshalb sehr diskret arbeiten."

    Um zwei Drittel ist die Produktion Spooners in den letzten zwei Jahren gesunken. Nur der allerbilligste Sirup verkauft sich noch; immer wieder muss er Arbeiter entlassen.

    Simbabwes Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei 85 Prozent - sagt, auf der Terrasse seines bescheidenen Häuschens in Bulawayo, Unternehmensberater Eddie Cross. Vier Millionen Simbabwer sind, meist nach Südafrika, ausgewandert, darunter fast alle Fachkräfte. Allein 4.500 Lehrer haben seit Anfang 2007 das Land verlassen.

    "Geldtransfers von Auslandssimbabwern sind inzwischen die größte Devisenquelle für Simbabwe überhaupt. Sie bringen mehr Devisen ins Land als alle Exporte zusammen. Viele Familien überleben nur dank des Geldes, das ihre Kinder und Verwandten aus dem Ausland schicken."

    Schulgebühren können die meisten Eltern nicht mehr bezahlen, berichtet Cross. Nur jedes vierte Kind gehe noch zur Schule. Zudem sei das öffentliche Gesundheitswesen kollabiert. In den Krankenhäusern streiken die verbliebenen Ärzte; Malaria und Meningitis werden mit Aspirin behandelt, Knochenbrüche und Aids gar nicht.

    Ein Drittel aller Simbabwer wird von internationalen Hilfsorganisationen am Leben erhalten, berichtet Eddie Cross. Dennoch sterben 3.500 Simbabwer Woche für Woche, was vermeidbar wäre, zitiert er UN-Statistiken, fünf mal so viele wie im Irak.

    Nach einer wieder einmal verheerenden Dürre ist die Maisernte 2007 praktisch ausgefallen, berichtet ein Geschäftsmann, der kirchliche Hilfsorganisationen beim Import ihres Bedarfs unterstützt. In entlegenen Gegenden lebten viele Menschen nur noch von Beeren und Wurzeln; Alte und Kinder verhungerten bereits. Trotzdem genehmige die Regierung zwar den Import von Autos, Kaviar und derzeit auch Benzin, nicht jedoch den freien Import von Lebensmitteln.

    "Wir würden nur zu gern Nahrungsmittel importieren, weil wir die dann wohl billiger anbieten könnten als jetzt. Leider sind aber die bürokratischen Hürden so gut wie unüberwindbar. Die Regierung legt einem jedes nur erdenkliche Hindernis in den Weg - weil sie unbedingt den Import kontrollieren will. Mugabes Leute wissen: Sprit ist wichtig, Lebensmittel aber sind notwendig; mit der Kontrolle darüber haben sie entscheidende Machthebel in der Hand. Und so müssen wir für jede LKW-Ladung Mais, die wir importieren wollen, nachweisen, woher wir die Devisen dafür haben; wir brauchen Genehmigungen von lokalen Chiefs und Zanu-PF-Funktionären, Genehmigungen der Distriktsverwaltungen und so weiter. Da braucht man gut vier bis fünf Monate für eine Lizenz, um Lebensmittel zu importieren."

    Früh um halb acht Treffen mit David Coltart, Anwalt und rechtspolitischer Sprecher eines Teils der Opposition in Simbabwe. Davids Frau und die vier Kinder schlafen noch; er selbst, Nachfahre berühmter britischer wie simbabwischer Juristen, arbeitet bereits in der Bibliothek, nimmt - so höflich wie scharfzüngig - wieder einmal kein Blatt vor den Mund.

    "Robert Mugabe preist uns die Wahlen im März 2008 als Lösung für all unsere Probleme an. Das sind seine ganz persönlichen Hirngespinste, die mich an die Adolf Hitlers im Bunker erinnern, als russische Truppen nur mehr wenige Häuserblocks entfernt standen."

    Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2008, für die der 83-jährige Mugabe noch einmal zum Spitzenkandidaten gekürt wurde von seiner Zanu-PF. Ob aber Mugabes Kandidatur die nächsten Monate übersteht, ist offen. Denn, angesichts der desolaten Lage im Lande, scharren die Möchtegern-Diadochen inzwischen heftig mit den Hufen - allen voran der frühere Armeechef General Solomon Mujuru.

    "Vor zwei Wochen trafen sich die Zanu-PF-Mitglieder von Bulawayo und Masvingo im Südosten zu lokalen Parteitagen. Die Partei in den beiden Städten sollte neu organisiert werden. Das Treffen in Bulawayo musste vertagt werden, nachdem es zuvor beinahe im Chaos zu Ende gegangen war. Anhänger General Mujurus hatten sich nämlich als stark genug erwiesen, die Mugabe-Clique an der Manipulation der parteiinternen Neuwahlen zu hindern. In Masvingo gab es Schlägereien zwischen den beiden Gruppierungen; und die Leute Mujurus gewannen die Neuwahlen - in einer Region, wo sie traditionell eher schwach sind."

    Wenn man sich in der Regierung zerfleischt, schlägt für gewöhnlich die Stunde der Opposition. Die gibt jedoch in Simbabwe selbst ein trauriges Bild ab. Seit 2005 ist die "Bewegung für demokratischen Wandel", MDC, gespalten - entlang mehrerer Konfliktlinien:

    Die Anhänger des Parteiführers Morgan Tsvangirai stehen den Gewerkschaften nahe; in der Fraktion seines Konkurrenten Arthur Mutambara haben Anwälte, Geschäftsleute und Professoren das Sagen. Bei Tsvangirai gilt Gehorsam gegenüber dem Chef, in der Mutambara-Fraktion das Konsensprinzip. Tsvangirai-Anhänger schließlich lehnen Gewalt als Mittel der Politik nicht eindeutig ab, während Mutambara-Anhänger wie David Coltart energisch vor Gewalt warnen ...

    vor Gewalt innerhalb der Opposition und gegenüber Mugabes Regime. 2006, berichtet Coltart, schlugen Tsvangirais Leute die MDC-Abgeordnete Trudy Stevenson krankenhausreif - ohne dass die Partei diesen Übergriff sanktionierte. Seit einigen Monaten setzen Unbekannte Polizeiwachen und -autos in Brand - was Coltart nicht als bloße Inszenierungen des staatlichen Geheimdienstes CIO abtun mag.

    "Es ist möglich, dass einige dieser Gewalttaten von radikalen Elementen innerhalb der Opposition verübt wurden. Wir haben davor schon vor zwei Jahren gewarnt. Wenn wir nicht der Gewalt innerhalb der Opposition begegnen, so haben wir gesagt, kann es dazu kommen, dass die Täter auch gegenüber dem Regime zur Gewalt greifen."

    "Coltart spinnt", sagt Gertrud Mtombeni, eine überaus energisch wirkende junge Frau, auf deren weißem T-Shirt Fäuste Ketten zerreißen. Die arbeitspolitische Sprecherin Morgan Tsvangirais lebt mit ihrer Mutter in einer kleinen, bescheiden eingerichteten Wohnung. Mit bebender Stimme erzählt sie von jener Demonstration im März, nach der Tsvanigrai halbtot geschlagen wurde. Angehörige beider MDC-Fraktionen hätten zwar teilgenommen an der Demonstration; aber:

    "Nach der Festnahme aller Demonstranten wurden nur die Anhänger Tsvangirais geschlagen. Mutambara und seinen Leuten wurde von der Polizei kein Haar gekrümmt. "Anhänger Tsvangirais hierher, Anhänger Mutambaras dorthin", befahlen die Polizisten auf der Wache. Dann begannen sie, Morgan Tsvangirais Leute zu verprügeln."

    "Teile und Herrsche." Der rabiat ausgetragene Streit innerhalb des MDC wie auch Korruptionsaffären haben das Vertrauen in die Opposition unterminiert. MDC-Aufrufe zu Demonstrationen und Streiks werden weniger befolgt als früher; Angst breitet sich aus, dass man vom Regen in die Traufe geraten könnte bei einer Machtübernahme des MDC.

    Bleiben als Hoffnungsträger Organisationen der Zivilgesellschaft: die Kirchen unter Führung des katholischen Erzbischofs von Bulawayo Pius Ncube; die Frauenorganisation "Frauen Simbabwes erheben sich", WOZA - geführt von der seit Jahren im Untergrund lebenden Jenny Williams.

    Fast jede Woche, berichtet die vor Energie berstende Mulattin, demonstrieren Hunderte WOZA-Frauen in den Straßen Harares und Bulawayos - für niedrigere Maismehlpreise, gegen Trinkwasser voller Cholera-Bakterien. Frauen, Mütter, Großmütter, die nichts zu verlieren haben - geschützt mit mehreren Pullovern gegen Polizeiknüppel, Kälte und Ungeziefer im Gefängnis.

    Resignation? Aufgabe? Diese Begriffe kenne sie nicht, sagt Jenny Williams.

    "Es gibt ein Sprichwort in Afrika, nach dem ein Kind, das nicht schreit auf dem Rücken seiner Mutter, bald sterben wird. Wir und die Menschen, mit denen wir arbeiten, sind entschlossen, zumindest nicht schweigend zu sterben - mit durchschnittlich 34 Jahren als Frauen, mit 37 als Männer. Nein, wir machen den Mund auf; und je mehr sie uns schlagen, desto lauter schreien wir unseren Protest heraus."

    Protest, den im Ausland bis heute kaum jemand hört, sagen verbitterte Simbabwer. Politiker im Westen empörten sich zwar lautstark, wenn ein Oppositionsführer blutig geschlagen werde; den schleichenden Völkermord Mugabes am eigenen Volk jedoch übersähen sie - so wie vor 25 Jahren den Massenmord an den Ndebele.