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Leben mit dem Fluss

"Am Wasser Wohnen" heißt eine neue Ausstellung des LWL-Industriemuseums in Hattingen. Die 30 präsentierten Entwürfe zeigen, wie der Mensch am Wasser wohnen und arbeiten könnte, und spiegeln zugleich den Strukturwandel im Revier.

Von Peter Backof |
    "Wenn man überlegt, wie viele Übergänge wir allein jetzt schon haben im Ruhrgebiet, überall die vielen Wasserstraßen und Wasserwege, da könnte man sich ja schon vorstellen, dass so eine Brücke mal im Prinzip wie ein Bauwerk, das bewohnbar ist, gebaut wird","

    sagt Gunvar Blanck, Vorsitzender des Bunds Deutscher Architekten Ruhrgebiet. Und: Wohnen auf oder vielmehr in einer Brücke? Da sagte jeder: Ja, bitte gerne! Was kostet eine Wohnung? Wie hoch ist die Miete?

    ""Und man könnte dann tatsächlich ein Brücke erhalten, die gleichzeitig eine soziale Kontrolle enthält: wo man dann auch abends im Winter noch drüber gehen kann und keine Angst haben muss."

    Futuristische und dabei optimistische Entwürfe, wie der Mensch am Wasser wohnen und arbeiten könnte, sind zu sehen in "Wohnen am Wasser". Rund 30 Projekte, die den Strukturwandel im Ruhrgebiet spiegeln. Weg von Stechuhr und Maloche, hin zu Dienstleistung und Kopfarbeit. Und in vielen neuen Lebensentwürfen bedeutet "Wohnen am Wasser" gleichzeitig: Arbeiten am Wasser. Nach Jahrzehnten, die man mit dem Rücken zu Fluss und Kanal geplant hatte, gibt es jetzt einen deutlichen Trend zum Wasser hin. - Jedem sein Hausboot? So einfach ist es freilich nicht, meint Gunvar Blanck:

    "Also: die Projekte, die dort gezeigt werden, das sind schon Baugebiete, die erst mal den Kommunen gehören und die Entwicklung solcher Areale ist nicht ganz kostenfrei. Und darüber wird das dann refinanziert, dass man diese Grundstücke tatsächlich verkauft. Und das sind Firmen, das sind Immobilieninvestoren, dann auch Einzelpersonen."

    Stop! Eine Negativ-Vision baut sich gerade auf: Immobilienspekulanten, die Wasserflächen an Rhein, Ruhr und Emscher zersiedeln wollen, privatisierte Skylines mit - zwar ansehnlichen aber kaum genutzten - Büro-Meilern? Nein, beruhigt Gunvar Blanck:

    "Bei den meisten Projekten ist es so, dass auch darauf geachtet wird, dass es da ne Verhältnismäßigkeit gibt, dass also nicht nur über ne Spekulation diese Grundstücke weggehen."

    Man kann in einem Kaufvertrag festsetzen, wie und was gebaut wird. Und es geht nicht um das Verschachern kleiner Parzellen am Fluss, sondern um eine Neuinterpretation ganzer Viertel. Beispiel: "Ruhrbania", ein Entwurf für die Ruhrpromenade in Mülheim. Dort wird bereits gebaut, doch Studenten der TU Dortmund haben skizziert, wie man in Mülheim, im unmittelbaren Stadtkern, nicht nur am, sondern mit dem Fluss leben könnte. Man sieht: Stadthäuser - Leitidee: Vielfalt in der Einheit – und davor lang gezogene Treppen zum Fluss hin. Ein freundliches Atlantis an der Ruhr, ein Entwurf, der den Bauprozess noch beeinflussen könnte, denn man ist hier, wie vergleichbar auch in Gelsenkirchen, Essen oder andernorts im laufenden Prozess - und im Dialog mit Bürgern.

    "Also, ein Dialog mit Laien ist ungemein wichtig, heißt aber nicht, dass Architektur demokratisch werden kann. Das muss man einfach ehrlicherweise sagen: Irgendwann muss jemand Entscheidungen treffen. Und die gehen nicht demokratisch. Ich mach da immer das Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie wollten mit Ihren Schwiegereltern zusammen ein Haus bauen!"

    Ein komplexer Prozess: Architektinnen und Architekten wollen glänzen, starke Zeichen setzen. Eine Kommune muss genehmigen, instand halten.

    ""Schlimm ist sicherlich, wenn eine schlechte Architektur unsere Gemeinschaft, die wir uns das ja auch anschauen müssen, quält. – Also ich glaube nicht, dass es um Gleichförmigkeit geht, es geht aber auch nicht um die bunte Kuh nebeneinander."

    Ebenso wenig um Bauten wie den Gazprom Tower in Sankt Petersburg, die ein Stadtbild prägen, ja überragen würden. "Wohnen am Wasser" – in Hattingen in noch nie bespielten Hallen übrigens wunderschön präsentiert, auf einer 80 Meter langen hintergrundbeleuchteten Textilbanderole – bündelt: Grundsätzliche Ideen, wie man postindustriell bauen kann. Der Blick ins Ausland, ein Video von Deutsche Welle TV:

    "Halb Boot, halb Haus. Diese Hybridbauten bilden das erste schwimmende Viertel Amsterdams, nur wenige Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt"

    Ein bisschen Container-Optik, ein Hauch altägyptische Siedlung - oder futuristischer Bienenstaat? – Ganz weit weg gedacht von dem typischen Backsteinmauer-Loft und dem Kran als Industriedenkmal könnte diese spektakuläre Siedlung auch das Ruhrgebiet inspirieren.

    "Was viele ja auch vergessen oder verdrängen ist, dass wir, wenn wir diesen Generationenvertrag mit den Pumpen, die das Grundwasser runter halten, nicht hätten oder die mal abgestellt würden, dann wäre das nördliche Ruhrgebiet bis zum dritten Geschoss unter Wasser. Dann könnten wir wirklich wieder Flusspferde züchten. – Man muss sich Visionen leisten, man muss sich auch Kreativität leisten und nicht Angst davor haben!"