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Leben nach der Kohle

Eigentlich hätte schon im Jahr 2014 mit der deutschen Steinkohleförderung Schluss sein sollen. Doch der Bundesregierung gelang es in Brüssel, vier weitere Jahre auszuhandeln. Eine Bestandsaufnahme der Situation im Ruhrgebiet und die Perspektiven für die Region.

Von Friederike Schulz und Peter Lautsch |
    Es war ein trauriger Tag für Ingo Böttcher: Am 30. September fuhren der Bergmann und seine Kumpel die letzte Schicht auf dem Bergwerk Ost im westfälischen Hamm. Nach mehr als 100 Jahren war Schluss; die letzte von einst drei Zechen in Hamm machte dicht.
    "Kein schönes Gefühl, ich hatte Tränen in den Augen. Es ist nicht schön zuzusehen, wie alles den Bach runtergeht."

    Von den zuletzt 1.800 Kumpels sind im Moment noch rund 1.000 damit beschäftigt, die Maschinen abzubauen – zu "rauben", wie man unter Tage sagt. Die älteren Mitarbeiter ab 49 gehen in Frührente. Die übrigen sind auf den verbleibenden Zechen in den Nachbarstädten untergekommen, erzählt Ingo Böttcher:
    "Viele Kollegen fahren nach Auguste Viktoria, nach Marl, nehmen dort ihren Job auf. Andere fahren nach Prosper Haniel, nehmen da ihren Job auf, auch nach Ibbenbüren sind ein paar gegangen. Aber ins Bergfreie fällt bei uns niemand, zum Glück auch."

    Gemeint ist die Arbeitslosigkeit. Dass die den deutschen Bergleuten nicht drohen darf, darauf haben sich Bund, Länder, Gewerkschaften und Arbeitgeber bereits vor drei Jahren verständigt, als auf Druck der Europäischen Union der Ausstieg aus der Steinkohleförderung beschlossen worden ist. Das Bergwerk Ost ist die erste von sechs deutschen Zechen, die dichtgemacht hat. Und das, obwohl hier unter der Erde noch Millionen Tonnen Steinkohle lagern. Das Problem: Die Förderung einer Tonne Kohle kostet rund 150 Euro - und damit mehr als doppelt soviel wie in Südafrika oder China. Jeder Arbeitsplatz in der deutschen Steinkohle muss also mit 90.000 Euro im Jahr bezuschusst werden. Allerdings sind in der EU Subventionen für einzelne Industriezweige verboten.

    Eigentlich hätte schon im Jahr 2014 mit der deutschen Steinkohleförderung Schluss sein sollen. Doch der Bundesregierung gelang es in Brüssel, vier weitere Jahre auszuhandeln. Am Mittwoch dieser Woche revidierte die EU-Kommission ihren Vorschlag, die Subventionspraxis in Deutschland bereits 2014 zu verbieten und gab dem deutschen Steinkohlefinanzierungsgesetz ihren Segen. Gestern nickte es auch der zuständige Ministerrat auf europäischer Ebene mehrheitlich ab. Trotz verlängerter Frist ist damit endgültig klar: Im Jahr 2018 ist unumkehrbar Schluss. Das Ende der Steinkohleförderung in Deutschland ist besiegelt. Die Bergbauregionen in Nordrhein-Westfalen und im Saarland werden mit dem Verlust Tausender Arbeitsplätze leben müssen. Während sich eine traditionsreiche Industrie selbst abwickeln wird.

    Die Abwicklung ist das Kerngeschäft von Martin Junker. Er ist Geschäftsführer einer neuen Tochtergesellschaft der RAG mit Namen RAG Mining Solutions. Dieses Unternehmen wurde vor einem Jahr in Herne gegründet. Sein Zweck: die Weiterverwertung stillgelegter Bergwerksanlagen. Auch die im Bergwerk Ost in Hamm werden seit Monaten schon auf der Internet-Seite von Junkers Firma zum Verkauf angeboten.
    "Das Bergwerk Ost wird nicht ganz wiederauferstehen, sondern es wird sicherlich in Teilen oder Equipment-weise verkauft. (Aber) zum Beispiel haben wir einen Interessenten, der sich für einen Schacht interessiert. Dann könnte es sein, dass der Schacht an einer Stelle in Russland wieder steht."

    Martin Junkers Job ist also gewissermaßen der eines Resteverwerters des deutschen Steinkohlebergbaus:

    "Ich denke, dass wir mit der RAG Mining Solutions ein Unternehmen gegründet haben, das über diesen Equipment-Verkauf hinaus eine dauerhafte Existenz in der Welt haben wird, über dieses Know-how, das wir haben, das auch in vielen, vielen Jahren noch erforderlich sein wird, um in anderen Teilen der Welt den Steinkohlenbergbau sicherer und effizienter zu gestalten."

    Dieses Ziel verfolgt Martin Junker nicht nur auf seinen vielen Auslandsreisen, wo er Erfahrungen seines Unternehmens gegen harte Währung vermarktet. Zum Beispiel als Berater bei der Modernisierung von Bergwerken. Gleich geht es nach nebenan in einen Besprechungsraum. Dort warten Bergbaustudenten aus Aachen. Junker hält eine Vorlesung für sie. Ihre künftigen Arbeitgeber können Erz-, Salz- oder Braunkohlebergwerke, aber auch Versicherungen oder Banken sein. Junker ist überzeugt, dass seine Studenten noch immer eine gute berufliche Perspektive haben, allerdings werden einige Deutschland verlassen oder viel Zeit im Flugzeug verbringen müssen.

    "International gesehen ist der Bergbau ein absoluter Expansionsmarkt. Bergleute in der ganzen Welt sind gesucht. In Australien war ich gerade vor 14 Tagen. Da bekommen australische Bergleute, die im australischen Outback in Gruben arbeiten, ungefähr 120.000 bis 150.000 australische Dollars, das sind ungefähr 110.000 Euro, also schon kein schlechter Lohn."

    So hervorragend die Aussichten – international gesehen – des Bergbaus auch seien mögen: Nicht nur Junker würde es begrüßen, wenn im Ruhrgebiet, das neben England als die Wiege des Steinkohlenbergbaus weltweit gilt, wenigstens eine Grube erhalten bliebe:

    "Kein Bergmann freut sich, wenn auch nur irgendeine Grube geschlossen wird, und wir würden natürlich lieber unseren Steinkohlenbergbau, der sicherlich einer der sichersten und effizientesten dieser Welt ist, insbesondere in dieser Teufe, fortführen, und es wäre sicherlich auch durchaus schön, wenn möglicherweise unsere Technik im Rahmen eines Forschungsbergwerkes weiter existieren könnte."

    Ein Referenzbergwerk, immer wieder geistert diese Vision, dieser letzte Strohhalm, durch die Köpfe. In Brüssel stößt die Idee auf absolute Ablehnung, in der Berliner Koalition ebenfalls. Denn nach Ansicht der Kritiker wäre es die Fortsetzung einer jahrzehntelangen Subventionssünde. Nur Sozialdemokraten wie Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Harry Voigtsberger reden immer wieder mal von einem Bergwerk zu Forschungszwecken. Und natürlich auch die Branche selbst, der Ruhrbergbau und der mit ihm verbundene Maschinenbau. Abschiednehmen fällt eben schwer.

    Aus gutem Grund: Schließlich hat der deutsche Steinkohlenbergbau weltweit Standards gesetzt. Zum Beispiel im Grubenrettungswesen. In dieser Woche hat die deutsche Grubenwehr ihren 100. Geburtstag gefeiert. Natürlich war auch Georg Bresser dabei auf der großen Jubiläumsveranstaltung im Deutschen Bergbaumuseum in Bochum. Der 52-jährige Bergingenieur ist Leiter der Hauptstelle für das Grubenrettungswesen in Herne.
    "Es bleibt ein wehmütiges Gefühl für alle, die hier in der Steinkohle gearbeitet haben und auch ganz besonders wir, als Grubenwehr, haben uns immer ganz besonders dem Unternehmen, mit der Kohle, mit dem Bergbau verflochten gefühlt und stehen dafür. Es tut uns weh."

    Die Hauptstelle der Grubenwehr in Herne zählt 21 festangestellte Mitarbeiter. Zwei freie Stellen wurden in dieser Woche neu besetzt. Denn obwohl in acht Jahren die letzte Zeche den Kohleabbau eingestellt haben wird, bleibt noch viel zu tun: Eine Reihe von Schächten muss noch sehr lange unterhalten werden, um das Grubenwasser zu kontrollieren. Würde man dem Wasser aus der Tiefe freien Lauf lassen, könnte nämlich ein Druck von unten nach oben entstehen und zu neuen Bergschäden führen. Für diese Mitarbeiter, die unter Tage mit Wartungsarbeiten beschäftigt sein werden, muss es auch künftig ein Rettungswesen geben.
    "Ich sehe auch eine große Chance, dieses Atemschutz-Know-how, was wir im Steinkohlenbergbau bei der Hauptstelle erworben haben, in Zukunft zu erhalten und auch nutzbar weiterzuentwickeln."

    Marl, Bergwerk Auguste Victoria: Vorsitzender des Betriebsrats ist Norbert Maus. Seine Gewerkschaft, die IG Bergbau Chemie Energie, hat im Jahr 2007 das Steinkohlefinanzierungsgesetz durchgeboxt. Es bedeutet: Schließung aller Bergwerke bis 2018 und Rückbau der Belegschaft im Wesentlichen durch Frühpensionierungen. Noch arbeiten auf den fünf letzten Zechen und angeschlossenen Betrieben 23.000 Menschen. Nicht alle werden die Zeit bis zur Rente überbrücken können, weiß Maus:

    "In der Tat ist es so, dass wir um die 1.600 Bergleute aus heutiger Sicht haben, die nicht in den Vorruhestand gehen können, die sich einen neuen Job suchen müssen, und da helfen wir natürlich bei."

    Es sind die unter 40-Jährigen. Für sie kommt das wohl großzügigste Programm zum Belegschaftsabbau, das es je in Deutschland gegeben hat, nicht mehr infrage. Mit Anfang 49 gehen Bergleute in den Vorruhestand. Vor 20, 30 Jahren, als die Arbeit unter Tage noch als Knochenjob galt, stand diese Regelung kaum zur Diskussion. Doch die Arbeitswelt der Kumpel hat sich grundlegend verändert: die Steinstaublunge, früher eine typische Erkrankung unter Tage, ist kein Thema mehr, denn die Kohleförderung mit dem schweren Abbauhammer ist Vergangenheit, längst arbeiten die Gewinnungsanlagen fast vollautomatisch und computergesteuert. Sie werden von Menschen nur noch überwacht, in klimatisierten Leitständen. Bei dem Privileg, dass Bergleute mit 49 Jahren aufhören, ist es trotzdem geblieben. Für Betriebsrat Norbert Maus eine Notwendigkeit:

    "Der Vorruhestand ist eine Methode hier, um Personalüberhänge auszugleichen, und unsere Kollegen, die das Unternehmen verlassen, die machen hier Platz für die Jüngeren, und das ist definitiv auch gut so."

    Vom Betriebsratsbüro ist es nicht weit bis zu den Lehrwerkstätten. Die reine Bergmannslehre wird schon seit drei Jahren nicht mehr angeboten, dafür werden Elektroniker, Mechatroniker oder Industriemechaniker ausgebildet. Berufe eben, die nicht an den Bergbau gebunden sind. Spätestens in acht Jahren wird auch diese größte betriebliche Ausbildungsstätte im nördlichen Ruhrgebiet geschlossen. Zurzeit bietet Auguste Victoria 3.800 Arbeitsplätze, darunter 230 Ausbildungsplätze. Auf jede Lehrstelle kommen noch immer zehn Bewerber. Janine Zupank ist eine davon. Auch ihr Vater arbeitet auf der Zeche:

    "Ja, das war schon Papas Idee, weil ich wäre alleine nicht auf die Idee gekommen, hier eine Bewerbung hinzuschicken. Aber, naja, im Endeffekt hat es mir dann doch ziemlich gefallen. ( ... ) Die Stimmung hier ist eigentlich sehr gut. Die Leute gehen hier fair miteinander um, und hier gibt es nicht dieses Typische, wie es im Betrieb eigentlich üblich ist, nach dem Motto, der Chef hat das Sagen, und die Auszubildenden sind die Handlanger. Hier wird eigentlich jeder relativ freundlich behandelt."

    Janine, die nach ihrer dreieinhalbjährigen Lehre zur Elektronikerin möglichst noch studieren will, bedauert es sehr, dass ihr Bergwerk in wenigen Jahren Vergangenheit sein wird.

    "Deprimierend ist es schon, weil so viele Ausbildungsplätze hier wegfallen werden. Ich sehe jetzt gerade unsere Halle mit 40 Leuten, und ich weiß, dass das in den nächsten Jahren nicht mehr der Fall sein wird. Dass so viele Leute dann zuhause sitzen und in irgendwelche berufsvorbereitende Maßnahmen gehen müssen, weil sie hier in der Umgebung nichts mehr finden."

    Lautlos flattert ein leuchtend blauer Schmetterling durch das Tropenhaus im Maximilianpark in Hamm, setzt sich auf eine Hibiskusblüte: ein Morphofalter aus dem mexikanischen Regenwald, eine von 80 Arten im größten Schmetterlingshaus in Nordrhein-Westfalen. Der Maximilianpark ist ein Landschaftspark, errichtet auf dem Gelände einer ehemaligen Zeche, 1984 eröffnet – zur Landesgartenschau. Neben dem Schmetterlingshaus steht, von Weitem sichtbar, der "gläserne Elefant". Er ist das Wahrzeichen von Hamm, 35 Meter hoch – die ehemalige Kohlenwäsche. Einst ein hässlicher fensterloser Betonklotz, der mit viel Glas und Stahl zu einem überdimensionalen begehbaren Elefanten umgestaltet wurde.

    Maxi, der stilisierte Dickhäuter, ist eine der großen Attraktionen im Ruhrgebiet. Jedes Jahr zieht er rund 35.000 Besucher an. Er ist Symbol für einen gelungenen Strukturwandel in einer Stadt mit über 170.000 Einwohnern, in der einst viele Tausend Kumpel Lohn und Brot fanden. In der mit der Schließung des Bergwerks Ost im September dieses Jahres eine Ära zu Ende ging. Die Arbeitslosenquote liegt bei "nur" neun Prozent und damit gerade mal zwei Prozentpunkte über dem bundesweiten Durchschnitt. Ein relativer Erfolg, den Bürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann auf die weitsichtige Politik seiner Amtsvorgänger zurückführt.

    "Strukturwandel in Hamm ist eigentlich ein Dauergeschäft mindestens der letzten 30, 35 Jahre. Hier haben mal 15.000 Bergleute unter Tage gearbeitet. Wir waren sehr stark im Bereich der Röhren- und Drahtindustrie, punktuell sind wir das auch heute noch. Aber auch da sind Tausende von Arbeitsplätzen verschwunden in den letzten Jahren. Das ist ein Strukturwandel, den wir weitgehend gemeistert haben, angefangen haben wir damit Ende der 60er-Jahre."

    Hamm ist die urbane Drehscheibe zwischen Ruhrgebiet, Münsterland und Sauerland. Relativ günstiger Wohnraum und eine familienfreundliche Infrastruktur sind weitere Gründe dafür, dass Hamm im Gegensatz zu vergleichbaren Städten nicht unter Bevölkerungsverlusten leidet. Unternehmen profitieren von einem fruchtbaren Branchenmix.

    So wirbt die Wirtschaftsförderung der Stadt im Internet für den Standort. Das Motto: Logistik, Bildung, Energie, Gesundheit. Das Wort Bergbau sucht man bezeichnenderweise vergeblich. Es scheint, als habe man sich mit dem Ende des Bergbaus abgefunden und wolle am liebsten auch gar nicht mehr darüber sprechen. Wir müssen den Blick nach vorn richten, sagt auch der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Reinhard Schulz:

    "Die Stadt hat seit sehr vielen Jahren gelernt, mit der Herausforderung Strukturwandel umzugehen. Da ist zum Beispiel die Zahl der Unternehmen. Wir haben zurzeit über 8000 Unternehmen, die wirtschaftlich aktiv sind. Wir haben eine moderne Industrie, wir haben einen vielfältigen Einzel- und Großhandel. Wenn man das mal vergleicht in den letzten zehn Jahren, dann haben wir einen Zuwachs von 1200 neuen Unternehmen, die dazugekommen sind – per saldo, nach An- und Abmeldung."

    In der riesigen Lagerhalle der Firma Stute im Gewerbegebiet von Hamm fährt ein Gabelstapler hin und her. Er transportiert Kisten mit Ersatzteilen für Mähdrescher. Das Logistikunternehmen Stute organisiert den Versand von Ersatzteilen für den Landtechnik-Hersteller Claas. Vom westfälischen Hamm aus werden Motoren, Schrauben und Schnittmesser zu Kunden in die ganze Welt verschickt. Ende der 90er-Jahre hat sich die Firma Stute hier angesiedelt. Damals mit 60 Mitarbeitern. Heute sind es 250.

    Das Gewerbegebiet in Stadtteil Uentrop liegt direkt an der A2. Keine fünf Minuten dauert es, dann sind die LKWs der Firma auf der Autobahn. Wenige Kilometer weiter westlich kreuzt die A1. Die perfekte Lage für ein Logistikunternehmen, sagt Niederlassungsleiter Norbert Wiehoff.

    "Wir haben hier die Nähe zum Kamener Kreuz, für uns entscheidend sind halt Straßentransporte. Die Hauptmärkte für die Firma Claas liegen in Frankreich und England, diese Märkte können von hier aus sehr gut erreicht werden. Aber auch die Märkte in Zentral- und Osteuropa sind von Hamm aus sehr gut erreichbar, sodass wir von dem Punkt in Hamm sehr viele Kunden über Nacht mit Ersatzteilen versorgen können."

    Doch nicht nur die günstige Lage gab damals den Ausschlag für Hamm. Es war vor allem die gute und unbürokratische Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung der Stadt, erinnert sich Norbert Wiehoff.

    "Für einen Logistikanbieter ist es immer schwierig, entsprechend große Grundstücke zu finden, die die Möglichkeit geben, ein Lager zu bauen und daneben gleichzeitig noch einen 24-Stunden-Service zu bieten, das heißt, dass man dort rund um die Uhr mit LKWs fahren kann. Damals war ausschlaggebend, dass man sehr schnell planen konnte, dass die Planung durch die Stadt sehr stark unterstützt wurde, sodass man hier nach relativ kurzer Zeit gültiges Baurecht hatte, und man konnte mit der Realisierung des Projekts sehr schnell beginnen."

    In den nächsten Jahren will das Unternehmen weiter expandieren. Hundert neue Mitarbeiter sollen hinzukommen, zusätzliche Lagerhallen sind in Planung – genügend Baugrund ist vorhanden, direkt gegenüber auf der anderen Seite der Straße sind noch 40.000 Quadratmeter Fläche frei. Ideale Bedingungen, nicht nur für Stute, auch andere Logistikunternehmen haben sich in Hamm angesiedelt: Trinkgut, Metro und Edeka. Zu den großen Arbeitgebern zählt mittlerweile auch die Gesundheitsbranche mit mehr als 5000 Beschäftigten in Kliniken und Reha-Zentren.

    Auch als Bildungsstandort will sich Hamm einen Namen machen. Neben der privaten Hochschule für Logistik und Wirtschaft wurde 2009 die öffentliche Hochschule Hamm-Lippstadt eröffnet. Dort sind inzwischen 430 Studenten eingeschrieben. Eine weitsichtige Standortpolitik, meint Manfred Freitag, Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau und Chemie. Dennoch: Seiner Einschätzung nach wird die Stadt Hamm die Folgen der Schließung der letzten Zeche noch deutlich spüren:

    "Ich kenne kein Unternehmen in der Größenordnung wie das Bergwerk mit über 3000 Beschäftigen. Der größte Arbeitgeber in der nächsten Region ist Bayer-Schering in Bergkamen mit 1600 Arbeitsplätzen. Also insofern, ein richtiger Bruch. Wir gehen sogar so weit, dass wir sagen: arbeitsmarktpolitisch ein Desaster, weil die Folgewirkungen erst dann spürbar werden, wenn das Bergwerk keine Auszubildenden mehr einstellt und auch die Beschäftigtenanzahl dann sukzessive zurückgeht."

    Noch ist das letzte Wort in Sachen Steinkohle nicht gesprochen, glaubt der Gewerkschafter. Für jeden Besucher gut sichtbar, hängt eine große Grafik in Manfred Freitags Büro: Hamm und Umgebung, alle Fördertürme sind darauf verzeichnet. Im Querschnitt ist auch zu sehen, was unter der Erde liegt: ein riesiges unberührtes Feld Kokskohle. Als würde es darauf warten, dass die Energiepreise weiter ansteigen und der Kohleabbau sich doch wieder lohnt.

    "Wenn dieses Donarfeld erschlossen würde, dann hätten wir im Grunde genommen wieder eine sehr profitable Zeche."
    Ein Bergbaubagger der Firma Rio Tinto in Australien
    Ferne Arbeitgeber in Australien bieten lukrative Alternativen für heimische Bergleute. (Copyright © 2009 Rio Tinto)