Samstag, 20. April 2024

Archiv


Leben retten statt Krieg unterstützen

Mit der Frankfurter Erklärung lehnten deutsche Ärzte, die sich der Friedensbewegung zugehörig fühlten, vor 25 Jahren jegliche kriegsmedizinischen Vorbereitungen ab. Heute hat die deutsche Sektion der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) rund 8000 Mitglieder und ist nach eigener Einschätzung die größte berufsbezogene Friedensorganisation in Deutschland.

Von Godehard Weyerer | 08.05.2007
    Die Fronten waren verhärtet. Die atomare Aufrüstung hatte die Gemüter erhitzt. Konservative Kreise belächelten die Friedensbewegten als Angsthasen und labile Schwächlinge. Horst-Eberhard Richter, der im Frühjahr 1982 die deutsche Sektion der IPPNW ins Leben gerufen hatte, prangerte im Gegenzug die gefühlsverdrängenden Technokraten schlechthin als Träger einer ungesunden Politik an.

    "Vielmehr sollten die abgestumpften Entscheidungsträger, die das Leben von Hunderten von Millionen in Gefahr bringen, ihre eigene psychische Intaktheit in Zweifel ziehen, denn ihre Verdrängungskunst ist der eigentliche psychopathologisch relevante Faktor. Es genügt nicht, dass Einzelne von uns darüber aufklären, was eine immer noch sträflich nachlässige Umweltpolitik und fatale atomare Rüstungspolitik an neuen gesundheitliche Risiken produziert. Wir müssen laut werden und uns einmischen","

    mahnte Horst-Eberhard Richter am 8. Mai 1982 in Frankfurt auf der ersten Hauptversammlung der International Physicians for the Prevention of Nuclear War, in Deutschland bekannt als "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges". Richter und 13 weitere Gründungsmitglieder unterzeichneten an diesem Tag die Frankfurter Erklärung. Bis Ende des Jahres schlossen sich 6000 Ärzte dem Aufruf an.

    ""Ich halte alle Maßnahmen und Vorkehrungen für gefährlich, die auf das Verhalten im Kriegsfall vorbereiten sollen. Ich lehne deshalb als Arzt jede Schulung oder Fortbildung in Kriegsmedizin ab und werde mich nicht daran beteiligen."

    "Die Frankfurter Erklärung enthält ja auch den Hinweis, dass sich der Einzelne verpflichtete für alle Notfälle zur Verfügung zu stellen und die Kenntnisse für die Notfallmedizin zu verbessern, das fanden wir in Ordnung, nicht aber die Vorbereitung auf ein Atomkrieg, der wäre in Europa auf jeden Fall atomar gewesen."

    Im Herbst 1981 hatten Hunderttausende auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg und im Bonner Hofgarten friedlich gegen Atomwaffen demonstriert. Die IPPNW wurde ein wichtiger Teil der noch jungen Friedensbewegung. Der "Spiegel", der zwei Tage nach der Unterzeichnung der Frankfurter Erklärung erschien, spiegelt den anderen Geist der Zeit wider.

    "Rettet Kernenergie den deutschen Wald? Deutschlands Kulturgut im Freiburger Schauinsland atomsicher eingebunkert."

    Bundeskanzler Helmut Schmidt hält eisern am NATO-Doppelbeschluss fest. Sein Buch "Der Kurs heißt Frieden" platziert sich auf den Bestseller-Listen. Nur die Frankfurter Erklärung wurde nicht erwähnt - im "Spiegel" nicht und in anderen Blättern auch nicht.

    "Das ist wohl richtig, man hat aus erklärbaren Gründen vermieden, das groß in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Aber im Laufe der nächsten Monate wurde das sehr bekannt. Bis 1985 hat es nur gedauert, dass wir den Nobelpreis bekommen haben. Das lässt ja deutlich darauf schließen, dass internationale Beachtung gefunden hat unser Engagement."

    Mit ihrem Anliegen trafen die Ärzte den Nerv der Zeit, ernteten aber auch harsche Kritik. Heikel im damaligen Klima des Kalten Krieges war der Umstand, dass es auch in der DDR eine IPPNW-Sektion gab. Der Vorwurf, mit Moskau und Ost-Berlin unter einer Decke zu stecken und in deren Sinne Friedensarbeit zu betreiben, war nicht aus der Welt zu schaffen.

    "Tatsächlich, das wusste auch der Verfassungsschutz, haben wir die IPPNW von jeglichen Unterwanderungsversuchen östlicher Seite freigehalten. Trotzdem wurde von bestimmten Medien dieser Verdacht gestreut. So kam es zum Protest Kohls in Oslo. Da wurde ihm beschieden, er sei der zweite deutsche Kanzler, der sich gegen eine Entscheidung des Nobelkomitees wandte. Beim ersten Fall ging es um Carl von Ossietzky. Ich muss den Namen des Kanzlers nicht nennen."

    Unter Hitler war die politische Abstinenz unter Ärzten ein nahezu selbstverständliches Gebot gewesen und blieb es in der Folgezeit. Doch die Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges wollten sich nicht still fügen, wenn ihrer Ansicht nach die offizielle Politik die Risiken ihres Handelns verkannte. Die Kampagne gegen Atomwaffen ist seit 25 Jahren fester Bestandteil der IPPNW. Hinzu gekommen sind Themen wie Atomausstieg, Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere, Rüstungsexporte und Globalisierung.