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Leben, Tod und Selbstbestimmung

Medizinisch ist vieles machbar. Und so rückt die Entscheidung über Leben, Krankheit und Tod immer häufiger in den Bereich des Gesellschaftspolitischen. Dem Thema widmete sich daher die Akademie für Politische Bildung in Tutzing mit der Tagung "Leben". Ein Gespräch mit Michael Spieker von der Akademie über die Selbstbestimmung im Zeitalter der Biopolitik.

Michael Spieker im Gespräch mit Katja Lückert |
    Katja Lückert: Mit dem Thema "Leben" hat sich die Akademie für Politische Bildung in Tutzing diesmal sicher eines der größten lebenden Themen vorgenommen.

    Michael Spieker von der Akademie: Um es ein wenig einzugrenzen, hilft die Unterzeile auf dem Programm, die Selbstbestimmung im Zeitalter der Biopolitik. Es ging an diesem Wochenende also um den eigenartigen Widerspruch zwischen der Entstehung des menschlichen Lebens, das in letzter Instanz nicht dem menschlichen Willen unterliegt, und der Tatsache, dass wir doch immer wieder von Selbstbestimmung reden.

    Befinden wir uns da sozusagen im Kerngebiet des menschlichen Seins und auf Ihrer Tagung an diesem Wochenende?

    Michael Spieker: Ja, in der Tat. Über diesen scheinbaren Widerspruch wurde immer wieder gesprochen. Sie können es ja an Ihrem eigenen Leben schon beobachten. Sie sind nicht von sich selbst auf die Welt gekommen, sondern ein jeder ist zunächst einmal abhängig, beispielsweise von den Eltern, von den Ärzten, die geholfen haben bei der Geburt, von mannigfachen Beziehungen.

    Und erst durch diese geglückte Abhängigkeit entwickelt sich im Einzelnen die Fähigkeit, sich auch selber zu bestimmen. Ganz einfach in der Weise, dass man sagen kann, was will ich, was will ich nicht.

    Und dann sehen wir wieder, dass vielfach am Ende des Lebens dieselbe Situation eintritt, dass wir wieder abhängig sind, dann vielleicht von unseren Kindern oder auch wieder von Ärzten.

    Lückert: Sie haben begonnen am Freitag mit antiken Menschenbildern in einer geschichtlichen Phase, die noch ganz ohne Biomacht und Biopolitik auskam. Was versteht man eigentlich unter diesen beiden Begriffen genau?

    Spieker: Ja, da streitet sich die Wissenschaft über diese Begriffe, die in der Tat neue Instrumente sind, um zu begreifen, was mit unserem Leben eigentlich geschieht.

    Diese Unterscheidung gesund/krank, was ist auszuhalten, was wollen wir, mit welchen Behinderungen geben wir uns zufrieden, wo sagen wir nein, das ist unerträglich - das ist nicht naturgegeben, sondern das ist oftmals Sache aus gesellschaftlich erzeugter Bilder, die wir uns aber dann wiederum zu Eigen machen.

    All diese Phänomene, die auf unser innerstes Sein, auf unser basales Leben Eingriff nehmen, das ist Bereich von Biopolitik.

    Lückert: An den beiden anderen Tagen lag ein Schwerpunkt - bitte korrigieren Sie mich - aber auf der medizinischen Seite der Medaille. Es ging um den Lebensanfang, extrem Frühgeborener und auch um das Sterben, die Würde des Sterbens?

    Spieker: Ja, das ist ein ganz wichtiges Element für unsere Tagung hier gewesen. Man sieht an beiden Fällen, die da behandelt wurden, nämlich den extrem früh Geborenen, aber auch den jung oder alt, aber eben immer im Sterben Liegenden, dass wir da immer aufgefordert sind, das Gute für den anderen zu erkennen und das, was für den anderen gut ist, zu unserem eigenen Guten zu machen, also eben gute Entscheidungen zu treffen.

    Wir müssen das in den konkreten Situationen mit den Betroffenen feststellen, was ist gut, wie ist ein guter Tod zum Beispiel für einen alten Menschen zu gestalten. Der Mensch, der eines Tages tot ist, der im Sterben liegt, ist ja noch nicht der Tod. Aber wir schauen oftmals auf ihn, als wäre er schon ein Toter.

    Wir machen nur das Sterben zu unserem Problem und wir sehen gar nicht, was eigentlich Aufgabe dabei wäre, nämlich das Leben bis zum Ende zu begleiten. Und das ist zum Beispiel eine Aufgabe, die sich die Palliativmedizin gestellt hat und in Deutschland jetzt in zunehmendem Maße auch mit Unterstützung angreifen kann. Damit ist natürlich erst die Aufgabe gestellt, das jeweils herauszufinden. Das kann nicht einfach allgemein festgelegt werden, was das gute Leben ist.

    Lückert: Wie hat oder wie wird sich also durch all diese medizinischen Machbarkeiten unser Selbstbild als Mensch ändern?

    Spieker: Eine Selbstbestimmung, die ausblendet, dass wir abhängig sind von den anderen, auch eine Selbstbestimmung, die ausblendet, dass wir überhaupt endliche Wesen sind, scheint mir mehr Gewicht zu bekommen, nämlich Ausdruck finden darin, dass wir denken, wir können uns selbst gestalten - von der Schönheitschirurgie angefangen bis hin zu der Entscheidung, dass wir sagen, möglicherweise ein Kind mit einer bestimmten Behinderung wollen wir gar nicht ins Leben lassen, und wir verfügen damit über das, was Leben zu sein hat, nämlich beispielsweise ein Leben ohne Down-Syndrom.

    Und ich habe die Vermutung, dass diese Selbstbestimmung, die die Endlichkeit nicht in sich einnimmt und nicht in ihre Perspektive nimmt, nämlich Verfügbarkeit großschreibt, dass die doch mehr Gewicht gewinnt.

    Lückert: Menschen wollen ihr Leben ja erzählen. Es gibt eine ungeheure Sehnsucht nach der Narration. Durch dieses Erzählen entsteht ja auch der Sinn in einer Häufung von Zufällen, die man auch Leben nennen könnte?

    Spieker: Erzählen ist wichtig. Und daraus folgt aber etwas ganz Konkretes, was jetzt auch aus der Kultur schon wieder in die Politik hinübergreift: Wir müssen das Erzählen möglich machen, beispielsweise am Sterbebett.

    Wir müssen Menschen auch finanzieren, die an Betten stehen können und zuhören, mitreden. Wir müssen auch dahin kommen, dass man eben redet nicht nur mit dem Sterbenden, sondern auch mit seinen Angehörigen. Also diese Kommunikation muss sehr viel mehr gestärkt werden. Die Narration, das Erzählen des eigenen Lebens, das ist, ja, in der Tat auch einer der Kerne des Lebens.

    Lückert: Michael Spieker von der Akademie Tutzing zur heute Nachmittag zu Ende gegangenen Tagung über das Leben.