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Leben über den Verhältnissen

Klima. - Forscher haben versucht, ein Treibhausgasbudget für die Atmosphäre aufzustellen. Offenbar ist der Zeitpunkt gar nicht fern, an dem das Limit des gerade noch zuträglichen Kohlenstoffgehalts der Lufthülle erreicht ist, ohne einen schädlichen Klimawandel auszulösen.

Von Volker Mrasek | 30.04.2009
    Das Zwei-Grad-Ziel ist weiterhin erreichbar, auch heute noch, drei Jahre, bevor das Kyoto-Protokoll ausläuft. Allerdings nur dann, wenn die jährlichen CO2-Emissionen spätestens im kommenden Jahrzehnt ihr Maximum erreichen und danach konsequent zurückgehen. Die neuen Studien in Nature ändern nichts an diesem Fahrplan, den der Welt-Klimareport von 2007 vorgegeben hat. Aber sie präsentieren griffigere Formeln, um zu verdeutlichen, wie groß die Herausforderung ist. Jedenfalls glauben das die Autoren, so etwa der Physiker Myles Allen von der Universität Oxford in England:

    "Die Klimapolitik kreist seit jeher um die Frage: Bei welcher Konzentration sollten Kohlendioxid und die anderen Treibhausgase in der Atmosphäre stabilisiert werden? Wir stellen in unseren Studien dagegen eine andere Frage, und zwar: Welche Menge des langlebigen Kohlendioxids darf sich in der Atmosphäre insgesamt anreichern? Und wir kommen zu dem Schluss: Es gibt ein Gesamtbudget, das nicht überzogen werden darf, wollen wir einen gefährlichen Klimawandel vermeiden."

    Eine Billion Tonnen Kohlenstoff. Das ist die Zahl, die Myles aus seiner Modellstudie ableitet. Mehr dürfe der Atmosphäre nicht aufgebürdet werden. Sonst erwärme sie sich höchstwahrscheinlich um mehr als zwei Grad. Dieses Budget ist aber schon zur Hälfte ausgeschöpft. Denn rund eine halbe Billion Tonnen Kohlenstoff hat der Mensch bereits in die Luft geblasen, vornehmlich durch die Nutzung fossiler Energieträger. Und würde er die verbliebenen Erdöl-, Erdgas- und Kohleressourcen auch noch verfeuern, wäre das Kohlenstoff-Konto schnell überzogen. Genauere Zahlen hierzu liefert die andere Nature-Studie. Ihre Hauptautoren stammen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Der australische Physiker Bill Hare arbeitet dort als Gastwissenschaftler:

    "Wenn man ziemlich sicher sein will, dass die Klimaerwärmung zwei Grad nicht überschreitet, sagen wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent, dann dürfen wir bis zur Mitte des Jahrhunderts nach unseren Berechnungen nur ein Viertel der nachgewiesenen Öl-, Gas- und Kohlevorräte verbrennen. Wenn wir aber so weitermachen wie bisher, dann wird das zulässige Emissionsbudget schon in rund 20 Jahren erschöpft sein."

    Eine Alternative wäre, fossile Energieträger weiter in Kraftwerken zu verfeuern, aber das entstehende Kohlendioxid abzuscheiden und zu deponieren. An solchen Konzepten wird mit Hochdruck gearbeitet. Doch bis die sogenannte CCS-Technologie im großem Stil anwendungsreif ist, werden noch zehn, wenn nicht gar 15 Jahre vergehen, sagen Experten. So viel Zeit bleibt aber wohl nicht mehr, um eine Erwärmung jenseits von zwei Grad Celsius zu vermeiden. Das legt auch eine weitere Modellstudie nahe, über die Martin Parry jetzt in "Nature" berichtet, Professor für Umweltwissenschaften am Imperial College in London:

    "Für unsere Studie haben wir ein Modell des britischen Wetterdienstes benutzt und ein Szenario, in dem die Welt ab sofort größtmögliche Klimaschutz-Anstrengungen unternimmt. Die CO2-Emissonen steigen dann noch bis 2015. Danach nehmen sie aber jedes Jahr um drei Prozent ab. Selbst dann haben wir nach unserer Ergebnissen nur eine 50:50-Chance, dass die Klimaerwärmung zwei Grad nicht überschreitet."

    Nach den neuen Studien von Parry und seinen Kollegen bleibt es dabei: Die Länder der Erde müssen ihre CO2-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte mehr als halbieren, um die Kurve noch zu kriegen. Je länger sie entsprechende Minderungsmaßnahmen auch heute noch aufschieben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, ihr Kohlenstoff-Konto zu überziehen – und die Zwei-Grad-Hürde am Ende zu reißen. Parry:

    "Wir stehen vor einer enormen Herausforderung. Vor allem deshalb, weil wir in den letzten zehn Jahren praktisch nichts getan haben."