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Leben unter der Diktatur

Die Macht von Diktatoren, das weiß man aus der Geschichte, kommt nicht nur aus den Gewehrläufen. Sie brauchen Apparate, Zuträger und Exekutoren. Und sie brauchen zumindest an den Schaltstellen von System ein Mindestmaß an Zustimmung und Loyalität. Davon handelt auch der Lebensbericht der Irakerin Zainab Salbi, der jetzt unter dem Titel "Zwischen zwei Welten - Die Jahre bei Saddam und meine Flucht aus der Tyrannei" in deutscher Übersetzung erschienen ist. Unsere Rezensentin ist Katajun Amirpur.

Von Katajun Amirpur |
    Sie ist ergreifend geschrieben und lässt einen nicht los: Die Geschichte von Zainab Salbi, die auf dem Schoß Saddam Husseins groß wurde. Amo nannte sie ihn, Onkel. Zainabs Eltern waren mit Saddam Hussein befreundet bzw. zwangsbefreundet. Der Bauer aus Tikrit suchte - schon als er noch Vizepräsident war - Kontakt zur Bagdader High society. Der gehörten die Eltern von Zainab Salbi an. Im Tagebuch ihrer Mutter liest sie:

    " Wir waren nicht begeistert über diese Freundschaft. Viele Male sind wir seinen Einladungen nicht gefolgt. Es gelang uns, ihm zwei Jahre aus dem Weg zu gehen. In der Zwischenzeit freundete er sich mit anderen Familien aus unserem Bekanntenkreis an. Doch ewig konnten wir ihm nicht ausweichen. … Nicht selten rief er mitten in der Nacht an, um einem mitzuteilen, dass er in ein paar Minuten vorbeikäme. … Man hatte keine andere Wahl, als ihn hereinzubitten und irgendwie zu unterhalten, auch wenn er einen gerade aus dem Schlaf gerissen hatte. "

    Aus diesem Tagebuch erfährt Zainab Salbi auch, welche Angst ihre Eltern vor dem Diktator hatten:

    " Im Lauf des Abends sprach er über Freundschaft und dass der Tod die Strafe für jeden sei, der einen Freund verriet. Schweigend konzentrierten wir uns auf seine Worte. Denn was er sagte, war sowohl eine Drohung uns gegenüber als auch eine Anspielung auf seinen Mord an einem seiner besten Freunde, dem ehemaligen Bildungsminister Mahmoud Al-Hamdani. Wie er uns erzählte, hatte er am Abend, bevor er ihn tötete, noch mit ihm zusammen gesessen. "

    Abgesehen von der Angst, die Zainab Salbis Eltern hatten und die sie davon abhielt, sich der "Freundschaft" Saddam Husseins zu verweigern, standen sie auch noch in seiner "Schuld". Allerdings hatte er sie selber erst in die Notlage gebracht, aus der er die Familie schließlich erlöste. Nachdem Saddam Hussein im Jahre 1980 den Krieg gegen Iran angezettelt hatte, ließ er alle iranischstämmigen Schiiten des Irak deportieren. Viele von ihnen lebten bereits seit Jahrzehnten im Irak und fühlten sich als Iraker. Trotzdem traute Saddam Hussein ihnen nicht. Er ließ sie auf Lastwagen an die iranisch-irakische Grenze karren, wo man ihnen befahl: Lauft, da hinten ist eure Heimat, ihr Verräter. Da auch Zainab Salbis Mutter aus dem Iran stammte, nutzt der Vater die Beziehung zu Saddam Hussein, um die Abschiebung seiner Frau zu verhindern. Zainabs Mutter erträgt die Situation nicht und unternimmt einen Selbstmordversuch. "Ich fühle mich wie ein eingesperrter Vogel", erklärt sie der Tochter nach ihrer Rettung. Ihre Angst vor Saddam Hussein treibt absurde Blüten. Sie nötigt ihren Mann, sich freiwillig für den Krieg zu melden, um seine Loyalität gegenüber Saddam Hussein zu beweisen. Andere Frauen versuchten ihren Männern zu helfen, dass sie nicht eingezogen werden, klagt Zainabs Vater, und zieht dann doch in den Krieg, um die Familie zu schützen. Er überlebt, doch er kommt nie darüber hinweg, dass seine Frau von ihm verlangt hat, sein Leben zu riskieren.

    Auch Zainab beginnt, sich wie ein eingesperrter Vogel zu fühlen. Wegen der Nähe der Eltern zu Saddam Hussein - der Vater wird sein Privatpilot - darf sie sich mit niemandem anfreunden, niemandem ihre Telefonnummer geben. Doch der Diktator bleibt für sie der liebe Onkel, Amo eben. Im Gegensatz zu den Eltern ahnt sie nicht einmal, was für ein brutaler Gewaltherrscher Saddam Hussein ist.

    " Meine Brüder und ich wurden in Amos Leben gepflanzt, wie Baba neue Äste auf seine Zitrusbäume pfropfte: Wir wuchsen und gediehen, aber an der Wundstelle blieb immer eine Narbe. Wir wollten zu hoch hinaus, weil wir unseren Freiraum überschätzten. Dann passierte irgendetwas, und wir brauchten nur an uns hinunter zu blicken, um zu begreifen, dass das alles nur eine Illusion gewesen war: Wir waren ganz und gar nicht frei, nicht eine einzige Minute. Unsere Eltern hatten das von Anfang an gewusst, und genau aus diesem Grund hatte Baba niemals Saddams Pilot werden wollen. "

    Was Zainab Salbi in diesem Buch beschreibt, ist auch deshalb so beeindruckend, weil es den Diktator zum ersten Mal aus nächster Nähe zeigt. So viel über den Menschen Saddam Hussein hat man noch nie erfahren. Zainab Salbi sagt, sie sehe heute, nachdem sie von all seinen Untaten erfahren habe, den Unmenschen in Saddam Hussein. Aber wenn sie an den Menschen denkt, den sie kennen gelernt hat, erinnere sie sich auch an den lieben Onkel. Sie frage sich selber, wann ihr bewusst geworden sei, dass jener Mann, den sie mit Küsschen auf die Wangen begrüßt habe, ein Mörder ist.

    " Ich habe nie selbst miterlebt, was er anderen Menschen angetan hat. Ich musste nie die zerstückelte Leiche eines Angehörigen wie ein Puzzle wieder zusammensetzen. Auch musste ich nicht jahrelang von einem Gefängnis zum nächsten ziehen in der Hoffnung, einen Sohn noch lebend vorzufinden, den der Mukhabarat vom Esstisch weg verhaftet hatte. Ich hatte Glück, denn ich zählte zu seinen Lieben. "

    Das Buch zeigt aber eben auch die Ängste der Menschen, die in einer vermeintlich privilegierten Stellung zu Saddam Hussein standen. Da er solche Beziehungen jeder Zeit in ihr Gegenteil verkehren konnte, schaffte Saddam Hussein es, diese Menschen zu brechen; ihnen ihre Persönlichkeit zu nehmen. Zudem konnte auch Frauen aus der privilegierten Gesellschaft passieren, was jedem Bauernmädchen im Irak widerfahren konnte: dass sie in die Hände Saddam Husseins oder seines Sohnes Udai fielen, der ganze Vergewaltigungsfabriken unterhielt. Zainab Salbi beschreibt, welche Ängste ihr Vater aussteht, als er erfährt, dass Udai auf einer Party aufgetaucht ist, auf der auch seine Tochter ist. Als die Mutter dann sieht, dass Saddam Hussein ein Auge auf Zainab geworfen hat, zwingt sie die Tochter zur Hochzeit mit einem ihr fremden Mann aus den USA. Zainab erfährt erst Jahre später, dass die Angst vor einer Vergewaltigung die Mutter zu ihrer Entscheidung trieb. In den Jahren dazwischen hasst sie die Mutter, denn dieser wildfremde Mann vergewaltigt sie ganz genauso, wie Saddam Hussein es getan hätte. Ihrem Mann allerdings konnte sie danach entfliehen - und gründete Women for Women International, eine Organisation, die sich für Opfer von Vergewaltigungen in aller Welt einsetzt.

    Zainab Salbi/Laurie Becklund: Zwischen zwei Welten
    Die Jahre bei Saddam und meine Flucht aus der Tyrannei
    Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, 348 Seiten, 22 €