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Lebende Leiter

Mikrobiologie. - Geobacter sind ungewöhnliche Bodenbakterien. Ihr Stoffwechsel funktioniert anaerob, also ohne Sauerstoff. Überschüssige Elektronen geben sie an Metalle ab, und das auch weit außerhalb ihres Körpers. Dafür besitzen sie faserartige Zellfortsätze, sogenannte Pili, die bis zu 20 Mal länger sind als das Bakterium selbst. Die Vorstellung, dass diese Pili ähnlich wie metallische Kabel funktionieren könnten, wird unter Biologen seit Jahren kontrovers diskutiert. US-Forscher haben dazu jetzt neue Beweise und eine Erklärung vorgelegt.

Von Lucian Haas | 06.06.2013
    Vor acht Jahre postulierte Derek Lovley erstmals im Fachjournal "Nature", dass das Bodenbakterium Geobacter sulfurreducens über seine langen fadenförmigen Fortsätze Elektronen leiten kann wie durch Metall. Damals erntete er von Fachkollegen ungläubiges Staunen und auch blanke Kritik. Und selbst als er 2011 genauere Messdaten vorlegte, die zeigten, dass die so genannten Pili der Bakterien ähnliche elektrische Eigenschaften aufweisen wie metall-organische Nanodrähte, schlug ihm weiterhin Skepsis entgegen. Metallartige Leiter in einem Lebewesen – das schien für viele Biologen schwer vorstellbar. Der US-Mikrobiologe von der Universität von Massachusetts in Amherst hat dafür sogar Verständnis.

    "Das Konzept einer metallartigen Leitfähigkeit kennen Materialforscher von synthetischen Stoffen. Aber dies ist das erste Mal, dass das in einem biologischen Material gefunden wurde. Das ist also ein neues Konzept, und wir brauchen eine Menge Beweise, um sicherzustellen, dass diese Vorstellung auch richtig ist."

    Gesagt, getan: Im Magazin mBio lieferte Derek Lovley jüngst nicht nur weitere Belege, sondern erstmals auch eine Erklärung, wie die erstaunliche Leitfähigkeit der Pili zustande kommt. Die neuen Erkenntnisse beruhen auf einem gentechnischen Experiment. Lovley und seine Mitarbeiter schufen im Labor einen neuen Stamm von Geobacter-Bakterien mit einer kleinen, aber entscheidenden genetischen Veränderung. Sie manipulierten den Bauplan der Proteine, die als lange Ketten das Grundgerüst der Pili bilden. Dabei ersetzten sie einige Aminosäuren, die einen aromatischen Ring besitzen, durch nicht-aromatische Aminosäuren. An der äußeren Form der Pili änderte sich dadurch nichts.

    "Unter Materialforschern ist es bekannt, dass die metallartige Leitfähigkeit von synthetischem organischem Material auf aromatischen Verbindungen beruht. In einem Protein wie in den Pili müssten diese aromatischen Verbindungen also aromatische Aminosäuren sein. Wir testeten diese Hypothese, indem wir fünf aromatische Aminosäuren am hinteren Ende des Proteins durch nicht-aromatische Aminosäuren austauschten. Und dadurch ging die Leitfähigkeit der Pili verloren."

    Im Umkehrschluss wird daraus der Beweis: Es sind tatsächlich diese aromatischen Aminosäuren, die dafür sorgen, dass aus den Pili so etwas wie biologische Nanodrähte mit metallartigen Eigenschaften werden. Lovley:

    "In der Biologie geschieht ein Elektronentransfer normalerweise dadurch, dass die Elektronen von einem Molekül zum nächsten springen. In einem metallartigen Leiter sind die Elektronen aber nicht spezifisch an ein Molekül gebunden. Es ist eher ein See von freien Elektronen, die in die Richtung des Elektronentransports fließen können."

    Aromatische Aminosäuren tragen ringförmige Strukturen aus Kohlenstoffmolekülen. Liegen mehrere dieser Ringe dicht beieinander, überlappen sich ihre Elektronenwolken. Überschüssige Elektronen können dann relativ frei wie in Metallen auch über große Distanzen fließen. Wie und wo genau das in den Pili geschieht, will Derek Lovley als nächstes klären.

    "Wir müssen die Struktur der Pili besser verstehen. Wir wissen, dass die aromatischen Aminosäuren wichtig sind, aber wir wissen noch nicht wirklich wie sich diese Aminosäuren in den Bausteinen der Pili anordnen. Und auch noch nicht, wie diese Bausteine zusammengesetzt werden, um den langen leitfähigen Faden zu bilden."

    Neben solchen Grundlagen erforscht Derek Lovley aber auch schon praktische Anwendungen. Weil sie Strom so gut leiten, eignen sich Geobacter-Bakterienkolonien unter anderem hervorragend für den Bau mikrobieller Brennstoffzellen.