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Lebendes Fossil gefunden

Systematik. - Die Insektenkunde ist mit der Entdeckung eines neuen Insekts um eine neue Ordnung reicher. Ein Bremer Biologe entdeckte das lebende Fossil durch Zufall in den Bergen Namibias.

17.10.2002
    Von Holger Bruns

    Das Insekt ist ein lebendes Fossil, bisher nur bekannt aus Einschlüssen in baltischem Bernstein und jüngst wiederentdeckt auf dem Brandbergmassiv in der Wüste Namib im afrikanischen Namibia. Das Tier ähnelt einer Mischung aus Stabschrecke und Gottesanbeterin. Sein dreigeteilter Stachelpanzer wurde zum Namensgeber. Die Zoologen nennen das Tier den Gladiator. Der Bremer Biologiestudent Martin Wittneben hat den Gladiator per Zufall gefunden:

    Wir sind auf das Tier gestoßen des Nachts beim Holzsammeln. Wir waren zu Fuß unterwegs auf einer Wanderung, die ich im Zuge meiner Diplomarbeit dort auf dem Brandberg unternommen habe. Da sind wir im Licht der Taschenlampe drauf gestoßen. Ein kleines Tier, zweieinhalb Zentimeter groß. Wir wussten natürlich zuerst nichts damit anzufangen. Es war mir vorher nicht begegnet und hatte daher mein Interesse geweckt.

    Der Gladiator ist ein heimliches Tier, tagsüber schwer zu entdecken. Mit langen Fühlern ausgestattet, geht es nur in der Dunkelheit auf Beutesuche. Kleinere Insekten sind die bevorzugte Nahrung. Wittneben:

    Es handelt sich dabei um ein Insekt, das sich als nachtaktives, räuberisches Lebewesen dort in der Steppe oder in der Hochsavanne im Gebirge aufhält, von dem man geglaubt hätte, dass es ausgestorben sei. Man hatte aber im vorigen Jahr schon Funde gemacht, als Fossilien im Bernstein, etwa 45 Millionen Jahre alt und hatte wohl gewusst, dass es solche Tiere mal gegeben haben muss, aber nicht gewusst, dass sie heutzutage noch existieren.

    Martin Wittneben handelte kurzentschlossen. Er fing ein Exemplar des Gladiators ein und konservierte das Insekt in Brandy, um es an der Universität Bremen genauer untersuchen zu lassen. Dort entpuppte es sich als wissenschaftliche Sensation, denn das Insekt aus den felsigen Klüften des Brandbergs passte in keine der bisher bekannten Insektenordnungen. Der Biologe Hartmut Köhler wälzte seine Bestimmungsbücher:

    Das steht zwischen den Phasmatoden, das sind die Stabheuschrecken und den Grylloakroiden, das sind die sogenannten Icecrawlers, eine Ordnung, die hier in Europa gar nicht groß bekannt ist.

    Der Gladiator ist also ein Fund von großer Bedeutung. Erstmals seit 85 Jahren musste eine neue Insektenordnung eingeführt werden. Mit den Mantophasmatodea gibt es ab jetzt 31 weltweit bekannte Insektenordnungen. Martin Wittnebens genaue Angaben über den Fundort ermöglichte einer zweiten Expedition mit namibianischen Biologen die Entdeckung einer Gladiatoren-Population, die in den Felsspalten des Brandbergs über 45 Millionen Jahre lang unerkannt überlebte. Wittneben:

    Auf den ersten Blick mag er sehr trocken und unwirtlich erscheinen. Doch beim genaueren Hinsehen wird man entdecken, dass sich zwischen den Felsspalten und auf den Hochebenen dort auf dem Berg eine relativ üppige Vegetation etabliert hat, die in ihrer Erscheinung stark an die Savanne erinnert, gar nicht so sehr an die Wüste, wie sie in der umgebenden Namib herrscht, sondern an eine Savanne oder sogar in den höheren Lagen an eine Vegetation, wie man sie am Mittelmeer findet; ist also geprägt oder gekennzeichnet durch ein besonderes Lokalklima.

    Inzwischen stellte sich heraus, dass dieses 2600 Meter hohe Inselgebirge in der Wüste Namib keinesfalls der einzige Ort ist, an dem die Gladiatoren überlebten. 1909 und 1950 fand man bereits in Namibia und Tansania einige Exemplare dieser Insektengattung, aber niemand hat sich darum gekümmert. Der deutschstämmige Namibianer Martin Wittneben ist jedenfalls sichtlich stolz darauf, bereits im Rahmen seiner Diplomarbeit einen wichtigen Beitrag zur Biologie geleistet zu haben:

    Ich persönlich bin 1994 nach Deutschland gereist, um hier das Studium an der Bremer Universität anzufangen am Institut für Ökologie und Evolutionsforschung und werde auch im nächsten Jahr wieder mein Heimatland aufsuchen, um dort zu arbeiten.