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Lebendige Spezialchemie
Bakterien helfen bei Acrylglas-Produktion

Forscher eines Spezialunternehmens haben Acetobacter-Bakterien gentechnisch so verändert, dass ihr Stoffwechsel reine 2-Hydroxy-Isobuttersäure ausscheidet. Diese Spezialchemikalie ist das wichtigste Vorprodukt für die Herstellung von Acrylglas.

Von Lucian Haas | 28.01.2014
    Ein Forschungslabor beim Spezialchemieunternehmen Evonik in Marl. "Gentechnischer Arbeitsbereich" steht an der Tür. Eine der Laborbänke ist rundum mit Plexiglas verkleidet. Eine Pumpe saugt die Luft aus der Kammer, um sie anschließend wieder mit Stickstoff- und Wasserstoffgas zu fluten.
    Diese Prozedur hat einen Grund: In der sogenannten Anaerobkammer darf kein Sauerstoff enthalten sein. Denn darin züchten die Forscher ganz besondere Bakterien.
    "Also wir gehen jetzt zurück, quasi 3,5 Milliarden Jahre, in eine Atmosphäre, in der kein Sauerstoff ist."
    Damals, so Thomas Haas, Forschungsleiter Biotechnologie bei Evonik, in der Frühzeit der Erdgeschichte, bestand die Luft zu großen Teilen nur aus Kohlendioxid und Wasserstoff. Eine solche Mischung wird von Chemikern als Synthesegas bezeichnet. Und es gibt Bakterienarten, die bis heute die Fähigkeit behalten haben, diese Gasmischung als Energiequelle zu nutzen.
    "Das, was für uns der Zucker ist, ist für die das Synthesegas. Und die produzieren auch kein CO2 wie wir, sondern natürlicherweise Acetat. Das ist deren natürliches Stoffwechselprodukt. Und wir wollen sie eben dazu bringen, nicht Acetat, sondern Spezialchemikalien herzustellen."
    Acetat ist das Salz der Essigsäure. Chemiker träumen schon lange davon, direkt aus Synthesegas noch ganz andere organische Moleküle produzieren zu können – fast so wie einst die Alchemisten davon träumten, Gold herzustellen. Doch in reiner Form ist weder das eine noch das andere mit klassischer Chemie bis heute gelungen.
    "Es gibt keinen chemischen Katalysator, seit 100 Jahren nicht. Und das, was wir eben in der Chemie nicht geschafft haben, und ich gehe mal davon aus, in den nächsten 100 Jahren nicht schaffen werden, glauben wir eben mithilfe der Biologie schaffen zu können."
    Die Bakterien in der Anaerobkammer gehören zur Gattung der Acetobacter, das sind Säure bildende Bakterien. Die Forscher haben sie gentechnisch so verändert, dass ihr Stoffwechsel ein neues Endprodukt liefert. Anstatt aus Synthesegas Acetat zu bilden, scheiden sie reine 2-Hydroxy-Isobuttersäure aus. Diese Spezialchemikalie ist das wichtigste Vorprodukt für die Herstellung von Acrylglas.
    "Wir sind die ersten, denen es gelungen ist, eine Spezialchemikalie aus Synthesegas hochrein herzustellen."
    Noch läuft das Verfahren nur im kleinen Maßstab im Labor. Dafür müssen die Bakterien aus der Anaerobkammer in einen kleinen Bioreaktor verfrachtet werden. Hierfür zieht die Biotechnologin Eva-Maria Eckl mit einer Spritze eine Probe der Bakterienkultur aus einer Nährlösung. Die Hände in lange, luftdichte Gummistulpen gesteckt, kann sie von außen in der Anaerobkammer hantieren.
    "Ich habe die hier aus diesem Röhrchen genommen und auf die Spritze aufgezogen, so dass wir die dann gleich in den Bioreaktor animpfen können. Und ich geb' die jetzt hier in eine Schleuse."
    Aus der Schleuse übernimmt Eckls Kollege Martin Demler die Probe. Er betreut die Experimente mit den Bioreaktoren. Es sind einfache Glaskolben, die mit einer Nährlösung aus Spurenelementen gefüllt sind und über eine kleine Düse mit Synthesegas durchströmt werden.
    "Ich schließe nun die Bakterien an das dafür vorgesehene Probennahmerohr an und gebe sie über die Spritze in den Reaktor. Dabei kann man sehen, dass die Lösung deutlich an Trübung zunimmt. Ich schüttele nun einmal den Reaktor, damit sich diese Zellen gut verteilen und auch das gelöste Gas sofort abnehmen können."
    In dem Glaskolben befinden sich jetzt, bildlich gesprochen, Millionen kleinster, lebender Chemiefabriken.
    Thomas Haas:
    "Der Vorteil dieses Systems gegenüber chemischen Reaktoren, ist, dass die Bakterie an sich ein Chemiereaktor ist. Also sie setzt das Synthesegas in mehreren Schritten über eine Enzymkaskade bis zu dem Produkt um. Das Produkt verlässt dann die Zelle. Wir haben also einen Reaktor, in dem die gesamte Reaktion stattfindet."
    Für Thomas Haas liegt in solchen bakteriellen Bioreaktoren die Zukunft der Synthese vieler chemischer Spezialprodukte. Damit wäre eine viel flexiblere Produktion möglich.
    "Man könnte dann beispielsweise, wenn man nicht Acrylglas herstellen will, sondern ein anderes Produkt, dann tauscht man die Bakterien aus, aber nicht die Anlage, nicht die Produktionsanlage."
    Mehr Flexibilität gäbe es auch hinsichtlich der eingesetzten Rohstoffe. Synthesegas kann aus vielerlei Quellen stammen: Erdgas, Pflanzenabfällen, Industrieabgasen. Selbst ein so großer Chemiepark wie der in Marl wäre damit vielleicht eines Tages gar nicht mehr auf Erdöl angewiesen.
    "Die Industrieabgase, die wir hier im Ruhrgebiet haben, die würden ausreichen, wenn wir sie mit einer solchen Technologie in Chemikalien umwandeln, um den gesamten Standort mit Rohstoffen zu versorgen. Wir bräuchten hier keinen Liter Erdöl mehr."
    Noch ist das Zukunftsmusik. Die Bakterien produzieren zwar im Labor schon wie erwünscht reine Spezialchemikalien. Doch dabei sind sie bisher nicht besonders effektiv.
    "Wir haben jetzt erst einmal gezeigt, dass es möglich ist, dieses Produkt sehr rein herzustellen. Noch sind die Bakterien zu langsam. Also, die müssen wir noch deutlich trainieren, die müssen schneller produzieren. Wenn wir jetzt eine normale Acrylglasanlage damit herstellen wollten, dann würde dieser Reaktor den halben Standort einnehmen."
    Gentechnische Feinarbeit ist also gefragt, um die Stoffwechselwege und damit die Ausbeute der eingesetzten Bakterien für den Produktionsprozess zu optimieren. Danach müssten auch noch passende Großreaktoren für den industriellen Alltag entwickelt werden. In frühestens fünf Jahren, so schätzt Thomas Haas, könnte eine erste kleine Pilotanlage betriebsbereit sein.