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Lebendige Sprache statt Walther von der Vogelweide

Gefördert vom DAAD lernen an der neu gegründeten Universität Saladdin in der irakisch-kurdischen Stadt Erbil die ersten 27 Studierenden deutsch. Doch nicht klassische Germanistik steht auf dem Stundenplan - die Absolventen sollen praxisnah die Fremdsprache lernen.

Von Albrecht Metzger | 26.06.2012
    Awezan Khoshnaw Majmulidn hat sich ein ungewöhnliches Ziel gesetzt: Sie will unbedingt Deutschlehrerin in Köln werden, obwohl sie noch nie in Deutschland war und von der Domstadt nur Fotos kennt. Die junge Kurdin lernt seit einem Semester Deutsch, und dafür spricht sie die Sprache hervorragend:

    "Ich mag Deutsch lernen, weil es eine Weltsprache und eine schöne Sprache ist. Wir haben vor fünf Monaten angefangen. Aber Deutsch ist sehr schwer, es ist eine Fremdsprache für uns. Sehr viel Grammatik."
    Warum Awezan unbedingt nach Köln will, weiß sie selber nicht so genau. Aber eins weiß sie - sie liebt die deutsche Kultur:

    "Ich möchte Deutschlehrerin in Köln werden. Köln ist eine schöne Stadt. Ich weiß nicht warum. Ich mag deutsche Literatur und Kultur. Ich mag Kafka, Nietzsche, Goethe. Marx, Kant. Aber ich möchte es auf Deutsch lesen."
    Awezan ist eine von 27 Pionieren, die an der ersten Deutschabteilung im kurdischsprachigen Raum studieren. Die Abteilung gehört zur Universität Saladdin in der irakisch-kurdischen Stadt Erbil, sie ist kürzlich offiziell eröffnet worden. Gefördert wird das Projekt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst – kurz DAAD -, der damit den zivilen Wiederaufbau des Landes unterstützen will. Christian Hülshörster, Gruppenleiter Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten beim DAAD, hat selbst fünf Jahre in Kairo gelebt und kennt die Probleme der Region:

    "Der Grundgedanke in solchen Post-Konflikt-Ländern ist, dass es ohne vernünftige Hochschulen keine Zukunft gibt. Eine Gesellschaft, die sich entwickeln will, braucht ausgebildete Fachkräfte in eigentlich allen Bereichen, angefangen von der Bauwirtschaft bis hin zu Energie und Wasser, das geht nicht ohne ausgebildete Fachkräfte. Wir glauben, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, dass diese Fachkräfte zunehmend auch hier ausgebildet werden."
    Neben den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern fördert der DAAD aber eben auch die deutsche Sprache im Nahen Osten. Allerdings handelt es sich nicht mehr um klassische Germanistik, vielmehr ist die Abteilung in Erbil praxisnah konzipiert. Die Studenten sollen später einmal einen Job finden und nicht aus reinem Idealismus die deutsche Kultur aufsaugen. Das ist in vielen alt eingesessenen Germanistikabteilungen in der arabischen Welt – an der Kairo-Universität in Ägypten etwa – anders. Dort werden immer noch deutsche Curricula aus den 60er- und 70er-Jahren reproduziert – mit dem Ergebnis, dass die Absolventen am Ende mittelhochdeutsche Literatur lesen können, ohne etwas damit anfangen zu können:

    Hülshörster: "Wenn es gut läuft, werden sie noch Reiseführer und zeigen den Leuten die Pyramiden. Wenn es schlecht läuft, fahren sie Taxi."

    Seit 2005 hat der DAAD damit angefangen, in Kooperation mit innovativen deutschen Hochschulen Konzepte zu entwickeln, wie die Germanistikabteilungen im Ausland berufsorientierter werden können. Das Herder-Institut in Leipzig gehört dazu. Christan Fandrych, Professor am Herder-Institut, hat das Curriculum für die Deutschabteilung in Erbil mit entworfen:

    "Das Wichtigste ist, dass man weiß, für welchen Arbeitsmarkt die Studierenden ausgebildet werden, dass man mit den Arbeitgebern spricht, dass man die Berufsfelder identifiziert. Die Herausforderung ist, einen sehr intensiven Deutschunterricht zu geben, aber auch schon sehr früh, im zweiten und im dritten Jahr, berufspraktische Elemente zu vermitteln."
    Drei Berufsfelder gelten als besonders zukunftsfähig: Deutsch als Fremdsprache, Übersetzer sowie interkulturelle Kommunikation. Die Deutschabteilung in Erbil steht exemplarisch für diese innovative Herangehensweise. Die ersten Semester sind geprägt von intensivem Sprachstudium. Im Anschluss daran wird viel Wert auf Methodik, Didaktik, Sprachwissenschaft und auch Landeskunde gelegt, um den Studenten deutsche Kultur näher zu bringen. Isabell Mering, seit Herbst Lektorin in Erbil, will den Studenten hiesige Tugenden vermitteln, ohne sie zu bevormunden:
    "Man kann sie langsam daran gewöhnen, dass sie zum Beispiel pünktlich sind. Wir müssen aber beide Kulturen auch mischen. Wir können nicht nur mit der einen Kultur kommen und sie der kurdischen aufdrücken. Wir wollen ja auch wirkliche echte Kulturmittler ausbilden, die zwischen deutscher und kurdischer Kultur vermitteln können. Das ist unser großes Ziel."