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Lebendige Theatergeschichte

An den Frankfurter Kammerspielen bot die Vorstellung des Buch "Der verbrannte Schmetterling" von Peter Iden Gelegenheit, bundesdeutsche Theatergeschichte aus mehr als 50 Jahren mit Zeitzeugen und Akteuren wiederaufleben zu lassen.

Von Ursula May | 17.01.2011
    "Theater dargestellt von Menschen handelt von Menschen. Deren Lebenswelt ist vor allem der Stoff - wie auch immer realistisch oder fantastisch oder poetisch es ihn erfasst."

    Der Schauspieler Felix von Manteuffel las im Frankfurter Kammerspiel Kritiken aus der Publikation: Peter Iden hat vor allem für die Frankfurter Rundschau mehr als 3000 Kritiken geschrieben. Peter Iden ist einer, der sich grundsätzlich als Teil des gesellschaftlichen Diskurses verstanden hat - und wer diese Kritiken heute liest, der bekommt weniger sinnliche Eindrücke von vergangenen Theaterereignissen als sehr präzise Analysen. Mitunter wirken sie heute etwas lehrmeisterlich. Iden hat immer versucht, das Theater in einen Kontext einzuordnen, untersucht , woher ein Regisseur, einzelne Schauspieler kamen, welche Rollen sie vorher wie gespielt haben und wohin sie sich möglicherweise weiter entwickeln würden. Und er hat Urteile gefällt, Meinung gemacht, Leute aufgebaut und manche wieder fallen lassen: Berüchtigt waren in Frankfurt seine Verisse gegen den Regisseur Einar Schleef, den sein früherer FAZ-Zeitungskollege und späterer Intendant des Frankfurter Schauspielhauses Günther Rühle gegen alle Widerstände durchgesetzt hatte. Wenn sich auf dem Frankfurter Podium zwischen Rühle , Hans Neuenfels und Peter Iden zunächst so etwas wie altersmilde Harmoniesucht breitmachen wollte , so wurde das durch Oliver Reese, derzeit Frankfurter Schauspielintendant, konsequent verhindert. Nett seien diese Verrisse nicht gewesen, hatte Günther Rühle noch ganz abgeklärt gesagt, doch Reese bestand darauf, diese Kritiken gegen Schleef, gegen den Intendanten Günther Rühle , die seien vernichtend gewesen. Ob ein Theaterkritiker immer weiß, was er tut ?

    "Wenn Neuenfels sagt, die Theaterleute sind alle Suchende, was ja richtig ist, dann muss man auch fragen, was denkt er denn von Kritikern. Er ist ja selbst Autor, er weiß, dass man da immer ein Suchender ist. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich im Besitz der letzten Wahrheit sei."

    Immerhin, so sagt Peter Iden heute, sei er sehr viel später überzeugt worden, dass Günther Rühle recht gehabt hat, mit seiner geduldigen Treue zum Regisseur Einar Schleef. Günther Rühle, der beide Seiten kennt, kann am besten beurteilen, wie das Theater oft unter den Kritikern leidet: Es gebe dort auch Selbstschutz, Abwehrmechanismen, im Zweifelsfall habe der Kritiker eben nichts verstanden. Aber das Theater brauche die Kritik, als Echo auf sein Schaffen. Was es damit anfange , das sei dann seine Sache, meint Günther Rühle. In der dunklen Höhle hätten die Theaterleute keinen Begriff von sich selbst, den könne und müsse die Kritik liefern. Nur die Situation der Theaterkritik, die habe sich grundsätzlich geändert.

    "Wenn wir heute Kritiken schreiben, wissen Sie, dass Sie unter ganz anderen Gesichtspunkten gelesen werden. Nämlich: Bleibt das Publikum weg, oder kommt es. Und ich habe nicht den Eindruck, dass Regisseure heute aus Kritiken noch etwas lernen."

    Lesen Regisseure Kritiken ? Und wollen sie daraus lernen ? Hans Neuenfels sagt, ja, ganz klar, es gebe da ganz klar eine hohe Ebene der gegenseitigen Wahrnehmung. Oder die habe es zumindest einmal gegeben. Heute erscheine ihm die Kritik viel detaillierter, anekdotischer. Ganz klar, es bleibt nicht aus: In solch einer Runde werden die früheren Zeiten ziemlich verklärt. Das Theater, das die Herren Iden und Rühle vor allem begleitet haben, war ganz extrem eines der Veränderung. Ab den 60er Jahren wurde konsequent mit der Tradition gebrochen, heute gibt es kaum noch Konventionen, Tabubrüche. Aber gibt es deswegen weniger spannendes Theater ? Mit vielem kann Peter Iden heute nichts mehr anfangen, als Skandal empfindet er etwa, dass der Faustpreis an den Dresdner Don Carlos gegeben wurde, Menschendarstellung sei da ein Schimpfwort. Und auch Günther Rühle empfindet einen starken Bedeutungsverlust - und da ist es dann doch der Grandseigneur der Regie, Hans Neuenfels, der in dieser Runde eine Lanze bricht, für das Theater der Gegenwart.

    "Das hat ja nicht aufgehört jetzt. Mehr als der Fall der Mauer bedeutend ist heute das Internet."