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Lebensmittelauszeichnung
Streit um Leberwurst und Co.

Die Lebensmittelbuch-Kommission verfasst im Auftrag des Ernährungsministeriums Leitsätze, die die Auszeichnung für bestimmte Produkte formulieren. Doch genau diese Auszeichnungen täuschen oftmals die Verbraucher, kritisiert zum Beispiel Foodwatch.

Von Anke Petermann | 21.03.2014
    Wie eine Leberwurst aus 85 Prozent Schweinefleisch und 15 Prozent Kalbfleisch heißen müsste, steht für Oliver Huizinga von Foodwatch fest: Schweine-Leberwurst mit Kalbfleischanteil. Doch die "Verkehrsbezeichnung", auf die sich je acht Vertreter aus der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Lebensmittelüberwachung und den Verbraucherverbänden geeinigt haben, ist eine andere. Axel Preuß, Kommissionsmitglied von Seiten der Lebensmittelüberwachung, verteidigt das.
    "Ein kürzerer Name ist einfach Kalbfleischwurst. Und damit hat ein Verbraucher schneller die Möglichkeit, das Produkt zu erkennen."
    Und so ist beim Geflügelwürstchen der Schweinspeckanteil nur im Kleingedruckten der Zutatenliste aufzuspüren, ebenso wie das Schweineschmalz in der Sardellenpaste. Oder E 330 in der Zitronenlimo, die ganz legal ohne Frucht auskommt. Was der Verbraucher wohl ebenso wenig erwartet wie legale Schweinefleisch-Dominanz in Kalbfleisch-Leberwurst. Für Axel Preuß kein Argument.
    "Die Verbraucher kennen ja die eigentlichen Rezepturen nicht, wie ein Produkt hergestellt wird, dass es eine gute Konsistenz hat und gut schmeckt. Eine Wurst mit 15 Prozent Kalbfleisch hat schon den typischen Kalbfleischgeschmack. Reines Kalbfleisch könnte man nicht verwenden, weil sie dann schlicht und einfach nicht so gut schneid- oder streichbar wäre. Es ist überall üblich, dass man Fleischmischungen macht, auch Rinderwürste haben durchaus Schweinefleisch dabei. Wen es sehr genau interessiert, der kann das auf der Rückseite im Zutatenverzeichnis genau erkennen. Aber die einfache Information - wonach schmeckt es?, welchen Charakter hat das Produkt? - den soll ein einfacher Name hervorbringen. Und die Fachleute sehen eben, dass der Markt so aussieht und beschreiben das so."
    Denn die Leitsätze des 32-köpfigen Gremiums seien keine Normen, sondern Beschreibungen des Marktüblichen. Foodwatch findet genau das überflüssig, die Quasi-Sperrminorität der Lebensmittelindustrievertreter in dem Gremium findet Oliver Huizinga schädlich:
    "Wie Etiketten zu kennzeichnen sind, hat der Gesetzgeber festzulegen und kein Geheimgremium, bei dem Lobbyisten der Lebensmittelindustrie alles blockieren können, was ihnen nicht in den Kram passt. Damit muss Schluss sein. Die Lebensmittelbuch-Kommission in der jetzigen Form muss abgeschafft werden. Es muss verbindliche Leitsätze geben, die dann mit Verbraucherforschung wirklich das abbilden, was der Verbraucher erwartet. Der Koalitionsvertrag kritisiert ganz offensichtlich die Lebensmittelbuch-Kommission, vor allem die Leitsätze, die zum Teil die Verbrauchererwartung nicht abbilden. Wenn ein Kirschtee ohne Kirschen oder eine Zitronenlimonade ohne eine Spur Zitronensaft offiziell genehmigt wird von der Lebensmittelbuch-Kommission, dann arbeitet dieses Gremium nicht im Sinne der Erwartungen der Durchschnittsverbraucher, wie offiziell eigentlich der Auftrag ist."
    Lebensmittelbuch-Kommission verteidigt sich
    Vergeblich hat Foodwatch auf Herausgabe von Sitzungsprotokollen geklagt. Revision nicht zugelassen. Das Lebensmittelbuch habe gar nicht die Aufgabe, vor Täuschung zu schützen, hält Axel Preuß von der Kommission dagegen:
    "Die Lebensmittelleitsätze sind technische Vorschriften. Sie sind gar nicht für die Allgemeinheit, sondern vor allen Dingen für die Produzenten, die bundesweit Waren unter einem Namen anbieten sollen. Es standardisiert – vor Täuschung schützt die amtliche Überwachung."
    Und inzwischen auch das Portal www.abgespeist.de von Foodwatch und das Portal www.lebensmittelklarheit.de der Verbraucherzentralen. Bis Ende dieses Jahres wird das Portal mit einer Million Euro vom Bund unterstützt, die Verbraucherzentralen kämpfen um Weiterführung.
    Die Lebensmittelbuch-Kommission muss sich einer Evaluierung stellen: Wie es mit dem Gremium und seinen Leitsätzen weitergeht, ist noch ungewiss. Mit korrigiertem Kurs, verstärkter Verbraucherforschung im Vorfeld und neuer Geschäftsordnung, meint Jutta Jaksche vom Verbraucherzentrale Bundesverband, könnte das Gremium den Anspruch auf Lebensmittelklarheit doch noch einlösen.