Freitag, 29. März 2024

Archiv

Lebensmittelchemie
Feine Schokolade durch Phospholipide

Um hochwertige Schokolade herzustellen, muss die flüssige Kuvertüre einer aufwendigen Wärmebehandlung unterzogen werden, dem sogenannten Temperieren. Nur so entsteht der gewünschte Schmelz. Forscher aus Kanada haben nun Naturstoffe gefunden, die diesen Prozess beschleunigen könnten.

Von Arndt Reuning | 01.09.2021
Was macht eine exquisite Schokolade aus? Ihr Geschmack, natürlich. Aber auch ihre Textur. Besitzt die Schokolade einen zarten Schmelz, so dass sie auf der Zunge zergeht? Andere Sinne wollen ebenso angesprochen werden. Das Auge etwa: Besitzt die Oberfläche der Schokolade einen seidenen Glanz? Und das Ohr möchte wissen, ob sich die Tafel mit einem satten Knacken in zwei Teile zerbrechen lässt. Um solch eine Köstlichkeit herzustellen, dazu braucht es drei Dinge: Erfahrung, Hingabe und Geduld.
Der Meinung ist auch Alejandro Marangoni. Bloß drückt er das etwas anders aus: "Eine hochwertige Schokolade braucht die richtige Kristallstruktur und die richtige Mikrostruktur."

Aufwändige Prozedur soll die Kristallform V einstellen

An der University of Guelph in der kanadischen Provinz Ontario arbeitet er dran. Damit alle Eigenschaften stimmen, müssen die Fettmoleküle in einer ganz speziellen Form erhärten – in der Kristallform V. Die Mikrostruktur ergibt sich dann zum Beispiel aus der Größe der Kristalle und wie gleichmäßig sie sich verteilen. Für optimale Ergebnisse wird die flüssige Kuvertüre einer ganz speziellen Behandlung unterzogen, dem Temperieren oder auch Vorkristallisieren.
"Im Internet kann man sich dazu lehrreiche Videos ansehen: Ein Chocolatier mit seiner weißen Mütze und Schürze steht vor einem Marmortisch. In seiner Hand ein Spachtel, mit dem er sehr konzentriert die Masse auf dem Tisch verteilt, wieder sammelt und in die Schüssel zurückschiebt. Das wiederholt er mehrmals. Und behält dabei immer die Eigenschaften der Schmelze im Auge: ihre Viskosität und ihren Glanz. Anhand dieser beiden Eigenschaften beurteilt er mit bloßem Auge, ob sich die richtige Kristallform der Kakaobutter bildet. Sechs verschiedene gibt es. Und er braucht die Nummer fünf, denn nur die besitzt den richtigen Schmelzpunkt, und die richtigen mechanischen Eigenschaften."
Erfahrung, Hingabe – und Geduld. Denn die Fettmoleküle kristallisieren nur sehr langsam. Und immer wieder muss der Chocolatier die Masse leicht erhitzen, um unerwünschte Kristalle mit niedrigem Schmelzpunkt zu verflüssigen.

Naturstoffe vollführen einen "Zaubertrick"

Nun hat sich Alejandro Marangoni gefragt, ob es nicht eine Abkürzung für diesen Prozess geben könnte. Und hat sich angeschaut, ob natürliche Inhaltsstoffe, die in der Schokolade sowieso in geringen Spuren vorkommen, den Kristallisationsvorgang unterstützen. Dazu hat er Kakaobutter zunächst gezielt aufgereinigt, um die Spurenstoffe dann einzeln wieder hinzuzufügen.
"Plötzlich spielte sich da im Labor vor unseren Augen ein kleiner Zaubertrick ab: ein ganz bestimmtes, gesättigtes Phospholipid sorgte dafür, dass sich in der Masse in Rekordgeschwindigkeit kleine Kristallkeime gebildet haben. Mit Hilfe der Röntgenstreuung konnten wir zeigen, dass es die gewünschte Kristallform V war. Wir mussten nur 0,1 Prozent zugeben, um in Kakaobutter und später auch in Schokolade die Bildung der gewünschten Kristallform und Mikrostruktur anzustoßen."
Phospholipide sind fettähnliche Substanzen, aus denen die Membran von Zellen besteht. Die Moleküle neigen zur Selbstorganisation. Sie formen geordnete Strukturen. Und das könnte auch der Grund sein, dass sie die Kristallisation der Kakaobutter in die gewünschte Bahn lenken und beschleunigen, vermutet Alejandro Marangoni. In der Schokolade könnten sie inverse Mizellen bilden. Das sind kleine, zellähnliche Tröpfchen, die möglicherweise als Kristallisationskeim dienen.

Geschmack durch Zusatzstoff nicht beeinträchtigt

"Das würde kleinen und mittleren Produzenten von Schokolade das Arbeiten erheblich erleichtern. Unternehmen, die sich die riesigen, automatischen Temperiermaschinen aus der industriellen Herstellung nicht leisten können. Außerdem ließe sich so der Ausschuss reduzieren, wenn der Prozess mal schief gelaufen sein sollte. Wenn Schokolade falsch temperiert wurde, kann man das nicht einfach rückgängig machen. Man muss wieder ganz von vorne beginnen."
Aber wenn der Masse zusätzliche Phospholipide zugesetzt werden, beeinträchtigt das nicht den Geschmack der Schokolade?
"Die meisten Proben, die wir im Labor herstellen, esse ich selbst auf. Und es schmeckt hervorragend. Der Anteil der Phospholipide liegt ja nur bei 0,1 Prozent. Das ist der große Vorteil dieser Stoffe, die Kristallkeime bilden: Man braucht nur ganz wenig davon. Und bei diesen geringen Anteilen beeinträchtigt man das Aroma der Schokolade überhaupt nicht."
Und so dürfte in Zukunft wohl das Geheimnis einer hochwertigen Schokolade von drei Dingen abhängen: Erfahrung, Hingabe und einer Prise Phospholipid.