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Lebensqualität nachhaltig verbessern

Medizin. - Eines der größten Probleme der Transplantationsmedizin ist die Unterdrückung von Abstoßungsreaktionen. Oft kommt es dabei zu Nebenwirkungen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Wenn es gelingt, die Komplikationen zu verhindern, gleichzeitig die implantierten Organe möglichst lange gesund zu erhalten und gefährliche Infektionen zu vermeiden, dann verbessern sich Lebensqualität und Nachhaltigkeit von Organtransplantationen. Auf dem American Transplantation Congress in Boston haben Experten fünf Tage lang Innovationen und Verbesserungen in diesem Bereich diskutiert.

Von Klaus Herbst |
    Wir haben keine Zeit mehr, sagte der Arzt. Die Leber meines Babys sei viel zu schwach. In wenigen Tagen, am Montag, werden wir ein Stück Ihrer Leber in Thomas transplantieren.

    So erinnert sich am Rande des diesjährigen Transplantationskongresses Meghan Kelly, Mutter eines heute Sechsjährigen, bei dem im Alter von drei Wochen eine Gallengang-Atresie ausbrach, eine angeborene, unheilbare Lebererkrankung. Die Mutter spendete ein Stück ihrer Leber. Es wurde implantiert. Nach der Operation wirkte der Junge zunächst wie leblos.

    Am dritten Tag legte ich Thomas eine Rassel in eines seiner Händchen. Er schüttelte sie und wechselte dann die Hand. Für mich war das ein Riesenfortschritt.

    Vor 50 Jahren verpflanzten Ärzte in Boston erstmals unter eineiigen Zwillingen eine Niere, die erste erfolgreiche Organtransplantation überhaupt. Lange Jahre kämpften die Ärzte gegen die akute Organabstoßung kurz nach der Operation, unter anderem mit dem nebenwirkungsreichen Cortison. In den 80er Jahren wurde das aus einem Pilz stammende Cyclosporin für die Transplantationsmedizin entdeckt, eine Substanz, welche die Abstoßungsreaktion unterdrückt, sagt Tony Rosenberg im Novartis-NIBR-Forschungszentrum in Cambridge, Massachusetts:

    Die akute Organabstoßung ist heute selten, aber oft wird das implantierte Organ langfristig, nach zehn oder 20 Jahren abgestoßen - je nach Organtyp bei maximal der Hälfte Behandelten. Bekommt ein 50-Jähriger ein Transplantat, dann hat er statistisch gesehen eine Lebenserwartung von weiteren 30 Jahren. Es ist daher extrem wichtig, die Langlebigkeit der Organe zu optimieren - im Interesse der Patienten und wegen des großen Mangels an Spenderorganen. Die notwendigen Medikamente haben erhebliche Nebenwirkungen: vor allem Diabetes, aber auch Bluthochdruck, zu hohe Blutfette und Osteoporose. Außerdem zerstören sie manchmal das implantierte Organ selbst. Wir suchen also nach Substanzen, die sehr selektiv die Abstoßung vermeiden. Optoral zum Beispiel verhindert andererseits, dass sich Gefäße verschließen, die das Implantat mit Sauerstoff versorgen.

    Die Nebenwirkungen der Immunsuppressiva können nach wie vor so gravierend sein, dass mehr Menschen beispielsweise an Diabetesfolgen sterben als an Komplikationen mit dem transplantierten Organ. Die Lebensqualität der Patienten müsse also kontinuierlich verbessert werden - eines der wichtigsten Ergebnisse des Kongresses. Werden nach der Transplantation die Medikamente gut toleriert, kommt es nur bei fünf Prozent zu Abstoßungsreaktionen. Ist aber ein Dosiswechsel nötig, erhöht sich die Zahl drastisch auf 25, so lautet das Ergebnis einer Studie. Große pharmazeutische Revolutionen erwartet heute keiner mehr. Allerdings werden immer wieder Innovationen entwickelt, sagt Rosenberg:

    Das neue Medikament FTY soll verhindern, dass die T-Zellen das Organ erreichen. Sie bleiben im Lymphsystem. Die T-Zellen greifen also das Organ nicht mehr an, und der Implantierte behält seine Immunantwort gegenüber Infektionen. Unsere Hoffnung ist also, Organabstoßung in noch mehr Fällen zu verhindern und gleichzeitig viralen Infektionen vorzubeugen, die für Implantierte besonders gefährlich sind.

    Transplantierte Personen leiden nämlich oft auch an gefährlichen Lungenentzündungen und Infektionen des Magen-Darm-Trakts. Neue Medikamente sollten also die Lebensqualität verbessern, nötige Zweit- und Dritttransplantationen vermindern und dadurch den Organmangel auch in Europa entschärfen. Die Überlistung des menschlichen Immunsystems hat in den vergangenen fünfzig Jahren Fortschritte gemacht, ergänzt Professor Randall Morris von der Stanford University School of Medicine in Palo Alto.

    In der Ära vor Cyclosporin überlebte nur einer von drei Patienten das erste Jahr, mit Cyclosporin jeder zweite. Mit den heutigen, innovativen Medikamenten schaffen es fünfundneunzig Prozent. Trotzdem gibt es für die Patienten immer noch kritische Meilensteine: das erste Jahr, die ersten fünf und die ersten zehn Jahre. Wir kennen zum Beispiel Daten von Nierentransplantationen: Die Hälfte der Nieren ist heutzutage auch noch nach über zwanzig Jahren funktionsfähig.

    Medikamente gegen Abstoßung werden selektiver und besser verträglich. Organe halten länger. Zweit- und Dritttransplantationen werden seltener. Und vor allem: Die Lebensqualität der Patienten wird Schritt für Schritt verbessert.