Donnerstag, 16. Mai 2024

Archiv


Lebensraum Knast

Mauer, Stacheldraht, Wachtürme - das verschlossene Tor. Eine Beamtin drückt den Summer. Das Tor öffnet sich leise. Anmeldung durch die Glasscheibe, Ausweis abgeben, Handy ins Schließfach, Taschenkontrolle, Gang durch den Metalldetektor, wieder verschlossene Türen, unendlich lange Gänge. An der Wand nackter Draht. Bei Berührung löst er Alarm aus. - Alles wie im Film: bedrückend, aber aufregend. Die erste Begegnung mit Strafgefangenen. Sie erzählen ihre Geschichten, Opfergeschichten zumeist. Wer in dieser Welt lebt, wird vom Täter zum Opfer, denken wir. "Versucht, den Knast zu verstehen!", sagt eine Bedienstete. "Hier gelten eigene Gesetze. Hier ticken die Uhren anders!" Wir gehen wieder und wieder hinein, besuchen unterschiedliche Anstalten, führen Gespräche mit Inhaftierten und Bediensteten. Es ist wie eine Reise in ein fremdes Land: Eine andere Sprache, ungewöhnliche Geschichten, ein besonderer Raum, in der zwei Welten aufeinander treffen: die der Gefangenen und die der Schlüsselgewaltigen, die der inhaftierten Männer und Frauen und die der Sozialarbeiter, Pastoren, Psychologen, die abends wieder raus gehen und sich ihr Leben "um den Knast herum bauen". Die Frage nach dem Sinn des Strafvollzugs stellt sich ständig neu in der Begegnung dieser Welten: Strafe, Resozialisierung oder Rache? Die Lange Nacht des Strafvollzugs lässt Gefangene, Beamte, Sozialarbeiter und eine Anstaltsleiterin zu Wort kommen. Wie ein Puzzle setzt sich Stück für Stück ein Bild des Lebens hinter Gefängnismauern zusammen.

Heide und Rainer Schwochow | 07.11.2003
    Hilda - JVA Tegel:
    Gefängnis hat viele Ebenen. Erst mal ist die Entdeckung der Tat, Verhaftung, das Unterbringen in den Zellen, wo dann auch die Verhöre stattfinden. Dort wird man ziemlich lange eingeschlossen, mit null Kontakt, kein Mensch spricht mit einem, von dort aus geht es dann weiter, man wird dem Haftrichter nach der Vernehmung vorgeführt, und der sagt denn: Ins Gefängnis!

    Sobotta - JVA Tegel:
    Und dann kam ich auf den berüchtigten B-Flügel, B Eins, das ist ganz berüchtigt: Ist ohne Strom, total verdreckt, total verkeimt, vollgemalt, weil die Leute sind ja in ihrer Verzweiflung 23 Stunden eingesperrt, Fußboden schmutzig, das Klo grinst einen sofort in der Ecke an, total schmutzig, normalerweise schlimmer wie auf ner Bahnhofstoilette. So, was man im Leben nicht vergessen wird. Dieses - man kommt aus der reinen Welt und kommt dann wirklich in nen Abstellraum rein. Und wird dementsprechend auch behandelt. Der Ton ist dementsprechend, ja. Was wollen sie denn? Also, ich hab immer gesagt: Son Ostton, ja. Dieses Abgehackte, Zackige. Ich sage ja, ist schwer, das eigentlich so in Einzelheiten zu beschreiben. Weil das ist der Gesamteindruck. Viel Schmutz. Dieser Umgangston an sich, und dann fällt die Tür hinter einem zu. Und dann bist du da alleine.

    JVA Tegel Internet Projekt

    Tegelzeit
    ist keine Lebenszeit.
    Was ist hier Zeit?
    Gegenwart?
    Vergangenheit?
    Warten auf die Zukunft,
    oder ein Rückfall
    in die Steinzeit?

    (Ronald Alexy)

    Beratungsstelle für Straffällige, Haftentlassene und deren Angehörige

    Ziel:
    Das Beratungs- und Betreuungsprojekt beinhaltet vor allem Lebenshilfeangebote sowie Angebote zur Förderung der Selbsthilfe:
    • Beratung und Betreuung von Inhaftierten, Entlassungsvorbereitung
    • Integration von Haftentlassenen
    • Betreuung und Beratung nach der Haft
    • Betreuung und Beratung der Angehörigen
    Zielgruppe:
    Inhaftierte, Haftentlassene, Angehörige
    Angebote/Leistungen:
    • psychosoziale und sozialtherapeutisch orientierte Beratung
    • sozialpädagogische Betreuung und Begleitung
    • Beratung von Angehörigen und Paar- bzw. Familienberatung
    • Beratung und Unterstützung bezüglich Wohnraumerhalt und -beschaffung
    • Entschuldungshilfe
    • Beratung hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung
    • Kooperation mit anderen Beratungsstellen, Wohnprojekten sowie Vermittlung zu weiteren sozialen Institutionen, Kontakte mit Sozial- und Justizbehörden
    Gesprächsgruppe für Männer mit Gewaltdelikten


    Homepage des Strafvollzugsarchiv

    Produkte, Dienstleistungen und Informationen aus den Niedersächsischen Justizvollzugsanstalten
    In den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten sind ca. 6.500 Gefangene inhaftiert. Viele dieser Menschen gehen im Strafvollzug bestimmten Tätigkeiten nach. Die Palette der Tätigkeiten reicht von Arbeiten zum Erhalt der Anstalten bis zur Fertigung qualitativ hochwertiger Produkte. Bestimmte JVAen bieten zudem die Übernahme von Dienstleistungen an. Dieser Shop möchte die Produkte und Dienstleistungen der JVAen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Erlöse aus dem Produktverkauf dienen dem Erhalt der Anstalten und geben den Gefangenen nach ihrer Haftverbüßung einen finanziellen Spielraum zur Erleichterung ihrer Resozialisierung.
    Niedersächsische Justizvollzugsanstalten

    Wir sind ein loser Haufen von Beschäftigten aus Strafvollzug und Polizei

    Aus dem Bericht einer Inhaftierten:
    Ich fühle mich wie ein Kind, das erst Laufen lernt. Überall Hürden.
    Es sind nicht die Gitter, nicht die verschlossene Tür, nicht die Beamtinnen.
    Es ist das System, das Du nicht zu fassen bekommst.
    Dieses Unfassbare, Undurchschaubare, nicht Greifbare.
    Ein kafkaeskes Gewirr von Regeln, die ich nicht begreifen kann.
    Wie lange werd ich brauchen, um hier bestehen zu können?
    Und wofür soll es gut sein?

    In vielen Justizvollzugsanstalten werden ständig ehrenamtliche Kräfte gesucht, die Langzeitgefangene betreuen. (Sowohl Männer als auch Frauen.) Viele Strafgefangene haben keinerlei Außenkontakte. Sie freuen sich über Briefe, Gespräche, Tipps und Hilfe bei praktischen Dingen im Vollzug und außerhalb. (Ausbildung, Wohnungsfragen, Behörden u.a. alltagspraktische Dinge). Wer Interesse hat, der kann beispielsweise in Berlin Kontakt über die evangelische Anstaltsseelsorge aufnehmen:
    brigitta.stolz@berlin.de

    Buchtipp:

    Jean Jülich
    Kohldampf, Knast un Kamelle.
    Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben.
    Mit e. Vorw. v. Wolfgang Niedecken. Hrsg. v. Marion Heister.
    KiWi Köln. 2003. -KIEPENHEUER & WITSCH-

    Klaus Laubenthal
    Lexikon der Knastsprache.
    Von Affenkotelett bis Zweidrittelgeier.
    Das erste aktuelle, allgemein zugängliche Wörterbuch des Gefangenenjargons.
    2001. -SCHWARZKOPF & SCHWARZKOPF; LEXIKON IMPRINT VERLAG-

    Hans-Joachim Neubauer
    Einschluss.
    Bericht aus einem Gefängnis.
    2001. -BERLIN VERLAG-
    Hans-Joachim Neubauers Bericht aus dem größten deutschen Gefängnis erkundet das verborgene, negative Zentrum unserer Gesellschaft. Wer hier landet, ist gescheitert. In der lebendigen literarischen Reportage verdichten sich die Stimmen aus dem Gefängnis zu einem polyphonen Chor über Zeit und Schuld, Verbrechen, Moral und Strafe - und über die Freiheit zum Bösen.

    "Nach vier Jahren sinkt etwas in deinem Kopf wie ein Schiff. Dann ist nur noch Zeit." So beginnt Hans-Joachim Neubauers Bericht aus dem Berliner Gefängnis Tegel, einer verborgenen Stadt mitten in der Hauptstadt der Republik. Hier leben über 1700 Gefangene hinter Gittern, Wachtürmen und stählernen Toren in einer eigenen, abgeschotteten Welt. Die größte deutsche Haftanstalt ist ein Universum für sich mit Kirche, Krankenstation und Schule, mit eigenen Werkstätten, Schnapsdestillen und Sportplätzen, mit Kriminalität, Prostitution, einer eigenen Polizei und sogar mit einem eigenen Gefängnis. Und draußen weiß kaum jemand, wie das Leben auf der anderen Seite der Gitter aussieht. Denn das Gefängnis ist ein Ort des Schweigens. Einschluss erkundet diesen verschwiegenen Kosmos von innen. Hans-Joachim Neubauer gelingt es, das Gefängnis zum Sprechen zu bringen. Über Jahre hinweghat er das Vertrauen der Verurteilten und Gefangenen erworben, hat ihnen zugehört, wenn sie von ihrem Alltag erzählen, von Arbeit und Einsamkeit, von Gewalt und Sprachlosigkeit. Sie nehmen ihn und uns mit auf ihre Wege durch das Labyrinth der Vorschriften, durch die komplexe Architektur der Strafe bis hinein in die Zelle, in der jeder allein ist mit seiner Tat, seiner Angst, seiner Schuld. Und sie zeigen, dass nicht der Ort die eigentliche Strafe ist, sondern die Zeit.

    Dimitri Todorov
    22 Jahre Knast.
    Autobiographie eines Lebenslänglichen.
    Knaur Taschenbücher Nr.77151.
    2002. -DROEMER/KNAUR-
    Todorov war der erste Geiselgangster Deutschlands. Ein höchst umstrittener Richterspruch verurteilte ihn zu lebenslänglich. Zur Tatzeit war er 24 Jahre alt - als er entlassen wurde, war er 48. Dies ist seine Geschichte, erzählt in einer eindringlichen Sprache, mit leisen Bildern und harten Worten.

    Winfried Hassemer
    Freiheitliches Strafrecht
    2001 Philo Verlagsgesellschaft

    Michel Foucault
    Überwachen und Strafen.
    Die Geburt des Gefängnisses.
    Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft Nr.184.
    Nachdr. 2001 -SUHRKAMP-

    Forschungsthema Strafvollzug:
    Hrsg. v. Mechthild Bereswill u. Werner Greve.
    Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung Bd.21.
    2001. -NOMOS-

    Thomas Krause
    Geschichte des Strafvollzugs.
    Von den Kerkern des Altertums bis zur Gegenwart.
    1999. -PRIMUS VERLAG-
    Das Buch behandelt die Geschichte des Strafvollzugs vom Altertum bis in die Gegenwart. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung in Deutschland, die zusammenfassend dargestellt wird. Die verschiedenen Formen der Freiheitsstrafe und ihres Vollzugs in verschiedenen Typen von Strafanstalten stehen im Mittelpunkt des anschaulich illustrierten Buches.

    Suchtprobleme hinter Mauern
    Drogen, Sucht und Therapie im Straf- und Maßregelvollzug.
    Im Auftr. d. Dtsch. Hauptstelle gegen die Suchtgefahren
    hrsg. v. Raphael Gassmann.
    2002. -LAMBERTUS-VERLAG-
    Hans-Joachim Neubauer: Einschluss.
    Hans-Joachim Neubauer: Einschluss. (Berlin Verlag)
    Michel Foucault: Überwachen und Strafen.
    Michel Foucault: Überwachen und Strafen. (suhrkamp)