Karin Fischer: Es ist vielleicht etwas zu einfach, das Phänomen der "Piraten" auf Politikverdrossenheit oder Handlungsunfähigkeit der Politik in Bezug auf die großen Probleme der Zeit zu schieben. Ein Zeitphänomen sind die Piraten aber gewiss. Ein Foto vom Parteitag in Neumünster zeigte heute ganz junge Menschen mit ihren elektronischen Devices im "Bällchenbad", das man sonst bei IKEA für die ganz Kleinen findet. Den Historiker und Demokratieforscher Georg Eckert von der Universität in Wuppertal habe ich vor der Sendung gefragt, wie er sich den Aufstieg einer Partei, die mit nicht wirklich viel Inhalt derzeit 13 Prozent erreichen könnte, erklärt.
Georg Eckert: Keine Inhalte zu haben, ist gerade der Vorzug der Piratenpartei. Im aktuellen Wahlprogramm für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist der Satz zu lesen, "Piraten sind frei, unabhängig und selbstbewusst." Das zeigt den Vorzug deutlich an: Es geht nicht um politische Inhalte, es geht um ein Lebensgefühl, um ein Milieu, in dem man zuhause sein möchte.
Fischer: Wenn es aber um einen Lebensstil statt Inhalte geht, wie würden Sie den Habitus der Piraten denn beschreiben?
Eckert: Es ist ein bewusst auf Unkonventionalität getrimmter Habitus. Piraten sind die anderen, man sieht das schon im Namen, der eigentlich signalisiert, Piraten sind genau die anderen, die nämlich die etablierten Parteien, die mit ihren ideologischen Versatzstücken das politische System gekapert haben, und das gilt es, offenkundig durch eine durchaus spaßaffine, betont unkonventionelle Politik rückgängig zu machen.
Fischer: Nun ist die Parallele zu den Grünen schon oft gezogen worden zum Aufstieg dieser Partei und zu deren einzigem damaligen Thema, nämlich der Umwelt, das einerseits vielleicht so ein bisschen bedrohlich ist wie heute die Themen, die um uns herumschwirren, Internet, Globalisierung, Energiewende. Dieses Umweltthema konnte sich aber als Querschnittsthema etablieren. Wie ist das mit den Piraten?
Eckert: Die Piraten sind auf dem besten Wege, eine ähnliche Politik zu betreiben, nämlich eine Politik, die sich allen Zuordnungen in Parteilager entzieht. Gegen die Freiheit, gegen die Unabhängigkeit, gegen Selbstbewusstsein kann niemand etwas haben. Insofern ist das Milieu noch breiter angelegt als dasjenige der Grünen. Es gibt schlechterdings niemand, der gegen ein solches Motto etwas haben kann.
Fischer: Es gibt charmante Züge bei den Piraten, zum Beispiel, dass sie sagen, wir wissen wirklich nicht überall und über alles Bescheid und wir können uns wirklich noch nicht zu allen Themen äußern und wir wollen das auch gar nicht. Wenn man es aber mal negativ formuliert, Herr Eckert, dann fordert diese Partei ja freien Zugang zu allen Inhalten im Netz, fast ohne jeden Preis. Das heißt, sie setzt letztendlich auf die Popularität von Illegalität, zugespitzt formuliert. Was aber besagt das über unsere Gesellschaft, wenn man diesen Erfolg damit generieren kann?
Eckert: Es besagt zunächst mal das, dass sich unsere Gesellschaft im Moment schwer auf Inhalte verständigen kann, auf konkrete politische Programmpunkte. Sie tut sich offenkundig leichter darin, sich auf Prozeduren zu beschränken, sich auf den Umgang mit Informationen statt auf die Gehalte von Informationen zu kaprizieren, und das ist natürlich ein Punkt, mit dem die Piratenpartei eine ganz große Chance hat, nämlich diejenige, langfristig etwas zu prägen, auf eine Politik und eine Gesellschaft zu rekurrieren, die wenig feste Überzeugungen hat, die aber mit neuen Inhalten, mit ad hoc erwiesenen politischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen Sätzen auf einmal umgehen kann und bereit ist, sich immer dann, wenn etwas Neues auftaucht, daran anzupassen.
Fischer: Aber kann man denn wirklich mit Ad-hoc-Inhalten Politik machen? Das ist doch gerade das Signum der Demokratie, dass die halt ein bisschen länger braucht, und die Piraten sind gerade auf dem Weg dahin, sozusagen die schnöden Mühen der Ebenen zu erlernen.
Eckert: Das ist eine Frage, über die man im Moment nur spekulieren kann. Aber die Art und Weise, wie die Piraten Politik machen, passt natürlich auf die Art und Weise, wie sich die Gesellschaft umstrukturiert hat. Wir haben wenig kontinuierliche Erwerbsbiografien, wir haben wenig feste Organisationsformen. Daran leiden ja Parteien, Kirchen und Verbände, Vereine. Und hier kann man etwas Neues setzen. Ob das klappt, ob das in der Praxis klappt, wird sich dann zeigen, wenn konkrete Inhalte tatsächlich zum Streitfaktor werden. Dann wird sich zeigen, ob diese Milieuverfestigung hinreicht, um auch sachliche Differenzen innerhalb der Anhänger der Piratenpartei zu überdecken.
Fischer: Georg Eckert, Historiker und Demokratieforscher, Universität Wuppertal, zum Phänomen der Piraten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Georg Eckert: Keine Inhalte zu haben, ist gerade der Vorzug der Piratenpartei. Im aktuellen Wahlprogramm für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist der Satz zu lesen, "Piraten sind frei, unabhängig und selbstbewusst." Das zeigt den Vorzug deutlich an: Es geht nicht um politische Inhalte, es geht um ein Lebensgefühl, um ein Milieu, in dem man zuhause sein möchte.
Fischer: Wenn es aber um einen Lebensstil statt Inhalte geht, wie würden Sie den Habitus der Piraten denn beschreiben?
Eckert: Es ist ein bewusst auf Unkonventionalität getrimmter Habitus. Piraten sind die anderen, man sieht das schon im Namen, der eigentlich signalisiert, Piraten sind genau die anderen, die nämlich die etablierten Parteien, die mit ihren ideologischen Versatzstücken das politische System gekapert haben, und das gilt es, offenkundig durch eine durchaus spaßaffine, betont unkonventionelle Politik rückgängig zu machen.
Fischer: Nun ist die Parallele zu den Grünen schon oft gezogen worden zum Aufstieg dieser Partei und zu deren einzigem damaligen Thema, nämlich der Umwelt, das einerseits vielleicht so ein bisschen bedrohlich ist wie heute die Themen, die um uns herumschwirren, Internet, Globalisierung, Energiewende. Dieses Umweltthema konnte sich aber als Querschnittsthema etablieren. Wie ist das mit den Piraten?
Eckert: Die Piraten sind auf dem besten Wege, eine ähnliche Politik zu betreiben, nämlich eine Politik, die sich allen Zuordnungen in Parteilager entzieht. Gegen die Freiheit, gegen die Unabhängigkeit, gegen Selbstbewusstsein kann niemand etwas haben. Insofern ist das Milieu noch breiter angelegt als dasjenige der Grünen. Es gibt schlechterdings niemand, der gegen ein solches Motto etwas haben kann.
Fischer: Es gibt charmante Züge bei den Piraten, zum Beispiel, dass sie sagen, wir wissen wirklich nicht überall und über alles Bescheid und wir können uns wirklich noch nicht zu allen Themen äußern und wir wollen das auch gar nicht. Wenn man es aber mal negativ formuliert, Herr Eckert, dann fordert diese Partei ja freien Zugang zu allen Inhalten im Netz, fast ohne jeden Preis. Das heißt, sie setzt letztendlich auf die Popularität von Illegalität, zugespitzt formuliert. Was aber besagt das über unsere Gesellschaft, wenn man diesen Erfolg damit generieren kann?
Eckert: Es besagt zunächst mal das, dass sich unsere Gesellschaft im Moment schwer auf Inhalte verständigen kann, auf konkrete politische Programmpunkte. Sie tut sich offenkundig leichter darin, sich auf Prozeduren zu beschränken, sich auf den Umgang mit Informationen statt auf die Gehalte von Informationen zu kaprizieren, und das ist natürlich ein Punkt, mit dem die Piratenpartei eine ganz große Chance hat, nämlich diejenige, langfristig etwas zu prägen, auf eine Politik und eine Gesellschaft zu rekurrieren, die wenig feste Überzeugungen hat, die aber mit neuen Inhalten, mit ad hoc erwiesenen politischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen Sätzen auf einmal umgehen kann und bereit ist, sich immer dann, wenn etwas Neues auftaucht, daran anzupassen.
Fischer: Aber kann man denn wirklich mit Ad-hoc-Inhalten Politik machen? Das ist doch gerade das Signum der Demokratie, dass die halt ein bisschen länger braucht, und die Piraten sind gerade auf dem Weg dahin, sozusagen die schnöden Mühen der Ebenen zu erlernen.
Eckert: Das ist eine Frage, über die man im Moment nur spekulieren kann. Aber die Art und Weise, wie die Piraten Politik machen, passt natürlich auf die Art und Weise, wie sich die Gesellschaft umstrukturiert hat. Wir haben wenig kontinuierliche Erwerbsbiografien, wir haben wenig feste Organisationsformen. Daran leiden ja Parteien, Kirchen und Verbände, Vereine. Und hier kann man etwas Neues setzen. Ob das klappt, ob das in der Praxis klappt, wird sich dann zeigen, wenn konkrete Inhalte tatsächlich zum Streitfaktor werden. Dann wird sich zeigen, ob diese Milieuverfestigung hinreicht, um auch sachliche Differenzen innerhalb der Anhänger der Piratenpartei zu überdecken.
Fischer: Georg Eckert, Historiker und Demokratieforscher, Universität Wuppertal, zum Phänomen der Piraten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.