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Lebhaft und jung

Wenn vom Kosovo die Rede ist, dann meist vom Krieg Ende der 90er-Jahre, von wirtschaftlicher Misere oder von Mafia und Organhandel. Wer sich dennoch auf in die Hauptstadt Pristina macht, wird überrascht von einer lebhaften, jungen Kulturszene.

Von Klaus Heymach | 17.02.2013
    Der Weg in die Fußgängerzone führt über eine Baustelle. Vor der Glasfassade eines Regierungshochhauses rollt eine Planierraupe über den aufgerissenen Kiesboden. Die einzige Fußgängerzone der Stadt soll länger und schöner werden.

    An einem sechsstöckigen Wohnhaus hängt das Porträt von Ibrahim Rugova, dem ehemaligen Präsidenten und Symbol für die Unabhängigkeit. An den Balkonen lila Geranien und rostige Satellitenschüsseln.

    Ein Händler hat sich auf einer Sitzbank eingerichtet, das bunte Spielzeugsortiment zu seinen Füßen. Der Duft von Zuckerwatte und gebrannten Mandeln lockt Kinder an. Ein paar Schritte weiter steht ein junger Mann mit schwarzer Sonnenbrille, Fünftagebart und Turnschuhen. Über der Schulter trägt er eine Kameratasche.

    "Hier auf dem Mutter-Theresa-Boulevard kann ich am besten fotografieren. Dort hinten auf der ABC-Straße sind viele Bars, die Leute kommen hier alle vorbei."

    Isuf Shala stört sich nicht an dem grauen Beton und den eintönigen Mietshäusern im Hintergrund. Er spricht Passanten an, die stilvoll oder originell gekleidet sind, und fotografiert sie fürs Internet: "Pristina Street Style" heißt seine Website.

    "Die Bilder sollen der Welt zeigen, dass es auch hier stylisch angezogene Menschen gibt. Viele denken doch, wir seien hier alle kriminell und ungebildet."

    Auf die Idee brachten den Grafikdesigner Modeblogs aus New York und Paris. Auf dem Smartphone zeigt er seine Website mit inzwischen Hunderten Fotos. Eine elegante Frau im schwarzen Minikleid ist darunter, ein junger Mann mit Strubbelhaaren, Pelzschal und offenen Schnürstiefeln.

    "Mir gefällt Pristina. Das ist zwar nicht die schönste Stadt der Welt, aber die Menschen sind toll."

    Die vierspurige Straße am Ende der Fußgängerzone ist nach George Bush benannt. Sie führt entlang der Uni bis zum Bill-Clinton-Boulevard. Auch hier: jugoslawische Zweckarchitektur im Wechsel mit Glaspalästen aus den Nachkriegsjahren. Mit hübschen Altstadtgässchen oder einem malerischen Basar kann Pristina nicht aufwarten.

    Vor der kleinen Bar an der Straßenecke sitzen junge Leute in der Abendsonne und lassen sich von Autolärm und Abgasen nicht stören. Im Stockwerk darüber leuchtet ein großes Fenster. Darin eine Schaufensterpuppe im schwarzen Abendkleid. Quer über die Scheibe steht "Krenare Rugova", der Name der ersten Modeschöpferin hier.

    Durchs Treppenhaus geht es in die erste Etage. Der Fußboden ist blau lackiert, auf einer verchromten Stange hängen Blusen und Kleider. Vor der weißen Wand steht eine alte Nähmaschine.

    "Ich habe 2003 angefangen, hier zu arbeiten. Damals gab es zwar Schneider und Modegeschäfte, aber niemanden, der seine Kollektion unter dem eigenem Namen verkaufte."

    Krenare Rugova nimmt ein Baumwollkleid vom Bügel und streicht über das Etikett: "Made in Kosovo" steht da. Nach Stationen in Paris und New York ist die heute 32-Jährige vor zehn Jahren zurückgekommen.

    "Mein Stil soll Freiheit ausdrücken. Naturfasern und lockere asymmetrische Schnitte verschaffen den Frauen ein Stück Freiheit in der Mode. Die übrigen Boutiquen führen so etwas kaum, da die meisten eher auf Enganliegendes aus Synthetik stehen."

    Bei Krenare Rugova ist der westeuropäische Einfluss nicht zu übersehen. Und doch hat sie sich gegen eine Karriere in einem der Modezentren entschieden.

    "Pristina ist wirklich keine schöne Stadt. Aber wir lieben sie, wir bauen sie auf. Hier gibt es so viele junge Kreative, die hart arbeiten, um etwas Neues zu schaffen. Pristinas Schönheit liegt in der Stimmung, der Energie, und dem, was hier los ist."

    Eines der Wahrzeichen ihrer Stadt sieht Rugova, wenn sie aus dem Schaufenster blickt. Eine Skulptur aus meterhohen gelben Buchstaben, die das Wort "NEWBORN" bilden, "neugeboren", ein Symbol für die Unabhängigkeit. Dahinter ragt das schwarze Dach des Jugendpalastes in den Himmel. Früher traf sich der sozialistische Nachwuchs hier zu Konzerten und Feiern. Heute wird nur noch das Erdgeschoss als Parkhaus genutzt, der Rest ist Betonruine.

    Trotzdem hat sich eine lange Schlange vor der Eingangstür gebildet. Wie einst wartet die Jugend auf Einlass. Aus dem Innern ertönt elektronische Musik. Eine junge Künstlergruppe hat zu einer Performance geladen.

    "Wir haben da drin alte Zeugnisse gefunden, Schlittschuhe, Pionierkleidung, kaputte Stühle. Das hat uns inspiriert, die Vergangenheit des Gebäudes zu erforschen. Unsere Performance setzt sich ironisch mit der Geschichte auseinander."

    Astrit Ismaili hat die Aufführung mit auf die Beine gestellt. 60 junge Künstler sind dabei, ihr gemeinsames Thema des Abends: "Wiederholung". Auf Bildschirmen flimmern Videoinstallationen in Endlosschleifen, Tänzer drehen sich im Kreis, an den kahlen Betonwänden surreale Gemälde. Ein Musiker mit buntem Irokesenschnitt bedient die Regler am Mischpult.

    "Ich bin froh, dass wir dieses Gebäude mitten in der Stadt wieder für die Jugend geöffnet haben. Noch vor ein paar Monaten war die Halle leer und voller Dreck. Heute herrscht hier ein richtiges Gemeinschaftsgefühl."

    Wer nach der Performance noch etwas Ruhe sucht, lässt sich von einem Taxi Richtung Norden bringen bis zur UCK-Straße. Dort geht es durch eine kleine Sackgasse über ein grün verwuchertes Grundstück. Neben einem Maulbeerbaum steht ein weißer Bungalow. "Das Künstlerleben ist eine permanente Krise", hat jemand auf die Hauswand geschrieben.

    "Dieser Maulbeerbaum ist 100 Jahre alt. Nach ihm habe ich auch Haus und Garten genannt: Te Dudi, so heißt das auf Albanisch. Ich wollte eine zeitgenössische Teestube daraus machen, in der man auch Skulpturen oder mal Filme zeigen kann. "

    Lulzim Zeqiri ist der Hausherr dieses dörflichen Refugiums. Keine richtige Bar, kein klassisches Atelier, kein Gästehaus - und trotzdem von alledem etwas. An einem Couchtisch sitzen Männer beim Bier, Getränke holt man sich in der Küche. Auf dem Boden stehen Bilderrahmen, Skulpturen und Flohmarktstühle.

    "Ich habe die Stühle hier sehr sorgfältig ausgewählt, jeder einzelne ist anders. Ein Freund von mir ist Bildhauer und hat einige Skulpturen beigesteuert."

    Im Wohnzimmer zeigt der 33-Jährige mit der kantigen schwarzen Brille auf kleine Gemälde, an denen er gerade arbeitet. Das Haus hat er erst vor Kurzem gemietet, nachdem das alte Ehepaar, das hier zuletzt wohnte, gestorben ist. Von dem versteckten Ausstellungsort und Künstlertreff erfahren Besucher nur über Mundpropaganda. Veranstaltungen wie Filmabende oder Lesungen macht Zeqiri im Freundeskreis über eine Facebook-Seite bekannt. Besucher seien immer willkommen, sagt er. Groß die Werbetrommel rühren mag er aber nicht.

    "Der Garten und die Bäume machen den Ort zu einem wahren Kleinod. Er braucht eine gewisse Ruhe, sonst ist dieses Gefühl irgendwann weg. Der Ort ist für alle da, aber vielleicht wird er nicht allen gefallen. Man liebt ihn oder man geht wieder."