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Leblose Lebensretter

Technologie.- Zwar beherrschen Maschinen heute schon allerhand, doch eines können sie nur schlecht: spontan auf Unwägbarkeiten reagieren. Im Projekt Dirac forschen Wissenschaftler interdisziplinär an den Grundlagen der Erkennung unerwarteter Ereignisse.

Von Jan Rähm | 16.03.2010
    Ein Verkehrsunfall in einem Tunnel. Hilfe muss her. Schnell. Am schnellsten ginge es, wenn ein automatisches System den Tunnel überwachen und bei einem unerwarteten Ereignis, wie eben dem Autounfall, blitzschnell die Rettungskräfte alarmieren würde. Mit der Erkennung eines unerwarteten Ereignisses aber, damit tun sich Maschinen schwer.

    "Wenn ein Mensch in eine Situation kommt, die er nicht kennt und dort Ereignisse auftreten, die er vorher nicht gesehen hat, dann kann ein Mensch sehr gut darauf reagieren. Bei Maschinen ist das ganz anders",

    erklärt Hendrik Kayser. Der Diplomphysiker versucht nun Maschinen beizubringen, seltene und unerwartete Ereignisse überhaupt als solche wahrzunehmen. Das Problem dabei:

    "Wenn man jetzt einen Spracherkenner hat, der nur Ziffern erkennen soll. Das heißt, auch nur Ziffern kennt. Und man sagt zu dem so etwas wie "Eins", "Drei", "Auto", "Sieben" dann wird der auf jeden Fall zu jedem Wort was ausspucken."

    Zu "Eins" würde der Computer die Zahl Eins ausgeben. Bei "Drei" und "Sieben" würden ebenso die entsprechenden Ziffern auf dem Bildschirm auftauchen. Doch bei "Auto" - da würde der Computer mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zahl Acht anzeigen. Und zwar ...

    "weil, die Wörter, die man sagt, bestehen alle aus sinnvollen Phonemen, die er kennt. Und dann würde wahrscheinlich "Auto" und "Acht" nahe beieinander liegen und er denkt dann wohl, das ist 'ne Acht, würde aber nie dahinter kommen, dass er dieses Wort eigentlich gar nicht erkennen kann, weil er nie darauf trainiert wurde."

    Maschinen sind geradezu begriffsstutzig. Was sie nicht kennen, das können sie nicht erkennen.

    "Maschinen können nur das, was sie gelernt haben. Wenn jetzt aber zum Beispiel ein Wort vorkommt, was eine Maschine nicht kennt, dann wird sie da so drauf reagieren, dass sie das ignoriert, dass sie das nicht kennt, sondern vielleicht das nächstgelegene oder ähnlichste Wort ausspuckt, aber nicht merkt, dass sie das Wort eigentlich gar nicht verstehen kann, weil das Trainingsmaterial dazu fehlt."

    Jetzt könnte man leicht dahersagen: Ja dann muss halt mehr Trainingsmaterial her. Doch genau daran scheitert es. Denn: Das Unerwartete kann man nicht trainieren. Es liegt ja gerade in der Natur des Unerwarteten, dass man sich nicht alle Möglichkeiten im Vorhinein ausdenken kann. Deswegen sollen die Maschinen vielmehr selbst erkennen, wenn etwas außergewöhnlich ist.

    "Ein Problem bringt das seltene Ereignis selbst schon einmal mit: Es ist halt selten und es gibt halt kein Trainingsmaterial, um so ein Ereignis zu lernen. Dann wär es ja auch nicht mehr unerwartet."

    Dazu gehen die Forscher verschiedenen Ansätzen nach. Ein Teil arbeitet mit Tonaufnahmen, andere mit Videoaufzeichnungen. Wieder andere beobachten, wie Tiere auf unerwartete Ereignisse reagieren und übertragen die Erkenntnisse auf Maschinen. Die Ergebnisse der einzelnen Gruppen laufen dann wieder im interdisziplinären Projekt Dirac zusammen.

    "Am Ende rauskommen soll so etwas wie eine Theorie, um solche seltenen Ereignisse zu beschreiben, die halt bisher im Bereich des Maschinenlernens ein Problem sind."

    In dieser Theorie soll zusammengefasst sein, was solche seltenen Ereignisse charakterisiert und sie für Maschinen identifizierbar macht. Das ist reine Grundlagenforschung. Seit fünf Jahren läuft Dirac. In diesem Jahr endet das Projekt. Im Anschluss wollen einige der Projektgruppen die Ergebnisse in der Praxis anwenden. Konkrete Ideen gibt es schon.

    "Denkbare Anwendungsgebiete wären zum Beispiel Beaufsichtigung hilfsbedürftiger Menschen in ihrem eigenen Zuhause, wo zum Beispiel, wenn etwas Unerwartetes, Unvorhergesehenes passiert, eine Person stürzt oder so, jemand benachrichtigt werden könnte aufgrund dessen, dass so ein unerwartetes Ereignis identifiziert wurde ohne, dass jetzt eine Videoüberwachung oder so etwas stattfinden müsste, wo jemand hinter einem Monitor sitzt und die Person tatsächlich beobachtet."

    Und noch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten sind denkbar, die das Leben einfacher oder sicherer machen sollen.