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Leere Netze und keine Hoffnung

Europas Meere sind überfischt. Deswegen werden nun die Gewässer vor Entwicklungsländern wie dem Senegal, Mauretanien oder den Philippinen geleert. Damit verschärft die EU-Fischereipolitik den Hunger und die Armut in den ohnehin schon armen Ländern.

Von Thomas Kruchem | 11.04.2009

    Es ist elf Uhr vormittags in Molopolo, einem Dorf im Süden der philippinischen Insel Leyte, als sechs mit Tüchern gegen die Sonne vermummte Fischer ihre Boote auf den Strand ziehen, kargen Sardinenfang in die Eimer der Frauen werfen, müde den Schatten der Kokospalmen suchen. Bedrückt schaut der alte Jonathan Niang Son auf das Meer.

    "Es ist zum Verzweifeln. Zweimal haben wir heute Nacht zwischen unseren zwei Booten das fast 500 Meter lange Netz gespannt, haben es tief ins Wasser gelassen und doch fast nichts gefangen. Je drei Kilo Fisch bekommen jetzt wir sechs Fischer und der Eigentümer des Bootes. Macht insgesamt einen Verkaufserlös von vielleicht tausend Pesos, 16 Euro. Das deckt nicht mal die Kosten für die 30 Liter Sprit, die wir heute Nacht verbraucht haben."

    Fischerei: Jagen und Sammeln auf dem Meer. 35 Millionen Fischer weltweit werfen bis heute ihre Netze aus, die meisten arme Küstenbewohner armer Länder. 200 Millionen arbeiten in Verarbeitung, Vermarktung und Zulieferindustrie; insgesamt eine Milliarde Menschen leben von der Fischerei. Experten jedoch sprechen von einer sich seit 20 Jahren zuspitzenden Krise der Fischerei, von bedrohlicher Übernutzung der Bestände; von einer weltweiten Krise der Kleinfischerei, die nicht mithalten könne mit der modern ausgerüsteten Großfischerei.

    Am stärksten trifft die Krise Küstengewässer armer Länder wie der Philippinen; Gewässer, die von höchster Bedeutung sind für die Stabilisierung der Fischbestände auf hoher See: Korallenriffe, Seegraswiesen und Mangroven sind die Kinderstube für 90 Prozent der weltweit genutzten Fischarten.

    Biotope, für die der Fischer Jonathan Niang Son nur ein Achselzucken übrig hat. "Immer mehr kommerzielle Fischer", klagt er, "drängen in die 15-Kilometer-Zone Molopolos ein", wo, laut Gesetz, nur lokale Fischer ihre Netze auswerfen dürfen.

    Um 90 Prozent seien die Fischbestände vor Leyte in den letzten 20 Jahren zurückgegangen. Und so sind auch viele Kleinfischer zu Raubfischern geworden, nutzen Netze mit zu engen Maschen, betreiben Gift- und Dynamitfischerei - mit der Folge, dass inzwischen die wirtschaftliche Existenz der Insel bedroht ist. Die politisch Verantwortlichen sehen sich gezwungen, endlich den Raubbau einzudämmen. Dazu gilt es vor allem, die Kinderstube der Fische, die Küstengewässer also, zu schützen - zum Beispiel die Mangroven außerhalb des Dorfes Molopolo. Jetzt, bei Ebbe, ist hier das zum Teil mannshohe Stelzwurzelgeflecht der Bäume zu sehen. Armando Gaviola, Fischereiexperte der Umweltbehörde Süd-Leytes, deutet auf Fußspuren einer Schildkröte, die hier offenbar abgelaicht hat.

    "Dies ist ein Schutzgebiet der höchsten Stufe. Niemand darf hier fischen oder Meeresfrüchte sammeln; dieser Mangrovenwald ist ein reines Erholungsgebiet für Pflanze, Tier und Menschen. Sogar Schwimmen ist verboten, weil der Lärm die Tiere stören könnte."

    Über 20 sogenannte Küstenschutzgebiete hat die Provinzregierung Süd-Leytes in den letzten Jahren eingerichtet. Gebiete, wo Fische, Krebse und andere Meerestiere die nötige Ruhe haben sollen, sich fortzupflanzen und so die Bestände langsam zu rehabilitieren. Tatsächlich sind zwischen den Wurzeln der Mangroven von Molopolo Schwärme von Tausenden kleiner Fische zu sehen; zugleich aber zeigt sich, dass es noch viel zu tun gibt: Zwischen Koksnussresten und angeschwemmtem Seegras liegen Plastikflaschen, Konservendosen, alte Schuhe. An manchen Mangroven klaffen tiefe Wunden.

    "Von diesem Mangrovenbaum hat jemand die Rinde abgeschält - mit der klaren Absicht, so den Baum umzubringen. Ihn tot abzusägen, gilt dann als nicht so schlimmes Vergehen. Sehen Sie! 50-jährige Mangroven; und sie haben einfach die Rinde abgeschält. Da: eine, zwei, drei! Darüber müssen wir unbedingt die lokalen Behörden informieren. Vielleicht weiß der Wachmann dort drüben, wer das hier verbrochen hat."

    Die Hütte des Wachmanns am Strand ist leer. Nur einige Kinder spielen am Strand.

    "Wir müssen die Fischbestände retten, von denen Süd-Leyte lebt", sagt Armando. Seine Behörde hat, unterstützt von der "Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit", GTZ, ein ganzes Programm des Küstenschutzes aufgelegt - mit Schutzgebieten wie Molopolo als zentralen Bausteinen; Gebieten, wo Ökosysteme aus Mangroven, Korallenriffen und Seegraswiesen gute Voraussetzungen bieten für die allmähliche Erholung der Fischbestände. Armando will die Bevölkerung einbeziehen in Planung und Realisierung der Maßnahmen, zu denen auch der Verzicht auf rabiate Fischereitechniken zählt. Damit Fischerfamilien den Sinn des Küstenschutzes erkennen, veranstaltet Armandos Team Workshops, besucht Schulen und verteilt Taucherbrillen, mit denen Schulkinder und manche Fischer zum ersten Mal ihre Korallenriffe sehen. Dessen ungeachtet müssen Regeln handfest durchgesetzt werden, sagt er. Um auch hier die Bevölkerung einzubeziehen, rekrutiert Armandos Team vor Ort Hilfspolizisten: sogenannte "Bantay Dagat", ausgestattet mit gut motorisierten Patrouillenbooten von der GTZ.

    In Cadiz auf Negros, wo die GTZ ebenfalls Küstenschutz unterstützt, deutet "Bantay Dagat" Irineo Dugayo auf vier an seinem Dienstboot festgezurrte Fischerboote voller leerer Reusen.

    "Wir fuhren gerade Patrouille, als wir acht Kilometer vor der Küste vier Boote erblickten, besetzt mit je zwei Fischern. Bei der Kontrolle stellten wir fest, dass die Männer von der Insel Iloilo stammen und illegalerweise in kommunalen Gewässern der Stadt Cadiz fischten. Dutzende Reusen hatten sie ausgesetzt und bereits 15 Kilo Krebse gefangen. Diesen Fang und auch die Boote haben wir beschlagnahmt und eine Buße von 2000 Peso pro Boot verhängt. Bis die bezahlt ist, bleiben die Boote hier in Cadiz."

    Es reicht nicht, kleine Sünder festzusetzen, meint etwas skeptisch GTZ-Mann Uwe Scholz. Die wirklichen Schäden richteten Dynamit-, Gift- und Schleppnetzfischer an, hinter denen oft reiche Auftraggeber mit guten Anwälten stehen. Um solche Täter vor Gericht zu bringen, brauchen "Bantay Dagat" dringend auch juristisches Wissen.

    "Die GTZ unterstützt also Seminare, wo wir Fischer trainieren. Die nennen sich 'Fish Examiner', sind vereidigt, können dann eidesstattlich erklären, dass der Fisch also auch mit Dynamit gefangen wurde. Dann machen wir Seminare für Polizisten. Auch Polizisten kennen sich mit Fischereigesetzen nicht richtig aus, müssen auch trainiert werden."

    Küstenschutz kann überdies nur dann funktionieren, meint Uwe Scholz, wenn auch die Zahl der Fischer sinkt: ein heißes Thema auf den Philippinen, da es kaum alternative Jobs gibt für Fischer. Versuche, auf Leyte junge Fischer als Schreiner, Elektriker und Mechaniker zu etablieren, scheiterten. Auch Hoffnungen auf einen Tourismus-Boom haben sich nicht erfüllt. Deshalb bedeutet für die Fischer von Leyte und Millionen ihrer Kollegen weltweit jede Einschränkung der Fischerei Hunger.

    Küstenschutz, Schutz der für die Weltfischerei überlebenswichtigen Kinderstube der Fische, lässt sich wohl nachhaltig nur verwirklichen, wenn zugleich die Armut der Küstenbewohner bekämpft wird. Die Frage ist: Wie?