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Leere Phrasen, wo Taten folgen sollten

Terror und Gewalt beherrschen nach wie vor den Irak. Erst in dieser Woche kam es zu mehreren Bombenanschlägen in Bagdad. Ministerpräsident al-Maliki nutzte die Gelegenheit, um an seine Landsleute zu appellieren, geschlossen und solidarisch gegen den Terror vorzugehen.

Von Inga Rogg |
    Nach den verheerenden Anschlägen hat der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki die Iraker aufgerufen, die Reihen hinter der Regierung zu schließen. In einer Fernsehansprache warnte er vor weiteren Anschlägen und forderte seine Rivalen auf, aus dem Terror kein politisches Kapital zu schlagen. Der Terror träfe die Iraker aller Glaubensrichtungen und Ethnien. Nur geschlossen und solidarisch könnten sich die Iraker den Herausforderungen stellen.

    Es ist ein eindringlicher Appell. Doch keine 24 Stunden später scheint al-Maliki seine eindringlichen Worte bereits vergessen zu haben. Vor dem Parlament beschuldigt er seine Rivalen, ihn daran zu hindern, für Recht und Ordnung zu sorgen.

    Wir stehen zur gleichen Zeit vor den Trümmern der Häuser, die bei den jüngsten Anschlägen in Bagdad in dieser Woche zerstört wurden. Weinend kommt eine Frau mit einem Bündel Kleider und Hausrat auf uns zu. Es ist alles, was ihr noch geblieben ist. Ihr Gesicht ist über und über von tiefen Schnittwunden übersät. Aber noch schlimmer geht es ihrem 14-jährigen Sohn. Mit schweren Kopfverletzungen und Brüchen liegt er im Krankenhaus, die Ärzte wissen nicht, ob er überleben wird. Zwischen den Überresten ihrer Häuser suchen Männer mit ausdruckslosen Gesichtern nach den Resten ihres Hab und Guts. Viel war es nicht. Denn die Menschen, die hier wohnten, sind arm - Tagelöhner, Arbeiter und einfache Handwerker.

    Wie sie fragen auch wir uns, wann die Gewalt im Irak ein Ende hat. In ihrer ganzen Not und Einfachheit wissen diese Leute vor allem eines: Erst wenn es eine echte Aussöhnung zwischen Schiiten und Sunniten, den Arabern und Kurden gebe, werde im Irak endlich Frieden sein.

    Seit der Gründung des irakischen Staates vor bald 90 Jahren ist es den Menschen im Land nicht gelungen, eine nationale Identität zu entwickeln, die als gemeinsamer Nenner für alle dienen könnte. Mit Wehmut blicken heute vor allem die Gebildeten auf die 60er und frühen 70er Jahre zurück. Mit dem damals noch säkulären Regime der Baath-Partei schien die Herausbildung eines modernen Staatswesens in greifbarer Nähe. Doch je diktatorischer das Regime wurde, desto mehr setzte es auf Ausgrenzung statt Integration: Saddam Hussein glorifizierte in hohlen Phrasen das Arabertum und gegen Ende seiner Herrschaft setzte er dem Regime einen religiösen sunnitischen Stempel auf. Für die schiitische Mehrheit war in Saddam Husseins Ideologie genauso wenig Platz wie für die Kurden.

    Aber auch die heutigen Machthaber sind bislang gescheitert. Sie haben den Konflikt in den letzten Jahren erbarmungslos mit Waffengewalt ausgetragen. Sunnitische Extremisten sprengten mit Bomben schiitische Zivilisten in die Luft, und schiitische Milizionäre machten auf sunnitische Zivilisten Jagd. Hauptschauplatz des Kampfes war Bagdad.

    Heute ist Bagdad eine geteilte Stadt. Die ehemals gemischten Quartiere sind weitgehend verschwunden. Verloren haben diesen Kampf vorläufig die Sunniten. Auf maximal ein Fünftel schätzen Experten heute ihren Bevölkerungsanteil. Nach dem Rückzug der Amerikaner hat die schiitisch dominierte Regierung al-Malikis die Kontrolle über die Hauptstadt weiter gefestigt. Vor allem deshalb hat sich die Sicherheitslage verbessert. Doch beendet ist der Kampf um die Hauptstadt noch lange nicht. Das zeigen auch die jüngsten Terroranschläge.

    Al-Maliki hätte sie zum Anlass nehmen können, den Sunniten die Hand zum Friedensschluss zu reichen. Aber davon ist er so weit entfernt wie eh und je. In zynischem Kalkül machen sich das die sunnitischen Extremisten aus dem Umfeld von El Kaida zunutze. Sie werden die Säulen der Regierung einstürzen, konstatierten sie in einem Bekennerschreiben nach den Anschlägen vom Dienstag. Die meisten Sunniten lehnen deren finsteren Plan, ein sunnitisches Kalifat im Irak zu errichten, ab. Bis heute kämpft die sunnitische Minderheit aber mit dem Machtverlust, was wiederum den Extremisten Nutzen bringt.

    Nicht viel besser sieht es im Konflikt zwischen der Zentralregierung und den Kurden aus, der den Nordirak ins Chaos treibt. Es gibt politische Antworten, wie auch in der Verfassung festgelegt: Den Föderalismus und die gerechte Verteilung der Öleinkünfte. Beides lässt auf sich warten.

    Al-Malikis Werben für den Zusammenschluss wird erneut verhallen. Weil er selbst seinen Worten keine Taten folgen lässt. Und weil die Menschen im Land, die den Frieden herbeisehnen, einander misstrauen und von einer nationalen Einheit weit entfernt sind.