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Leerer Karteikasten bei der CIA

Über die Hintergründe und Vorgeschichte des Irak-Kriegs ist gerade in den USA viel geschrieben worden. In seinem Buch "State of War" konzentriert sich James Risen, Reporter der "New York Times", auf das Versagen des Geheimdienstes CIA. Die Verantwortung der amerikanischen Regierung verliert er dabei aus dem Blick.

Von Hans-Peter Riese |
    James Risen ist ein Spezialreporter der "New York Times", der sich für seine Zeitung fast ausschließlich mit den US-amerikanischen Geheimdiensten beschäftigt. Er hat sich in seinem Buch "State of War" weitgehend auf das Versagen des Auslandsgeheimdienstes der USA, der CIA konzentriert. Es gehört mittlerweile zu den festen Überzeugungen der politischen Klasse in den USA, dass die CIA versagt hat und dies ein wesentlicher Grund für das Desaster des Irak-Krieges ist. Tatsächlich, so weist Risen in seiner Dokumentation nach, war die mächtige CIA im Falle Irak einfach nicht vorbereitet.

    "Als George W. Bush sein Amt antrat und der Irak plötzlich wieder ganz oben auf der Agenda stand, war der Karteikasten der CIA leer."

    Das erwies sich als umso verhängnisvoller, als es in der Bush-Administration Politiker gab, die von Anfang an entschlossen waren, Saddam Hussein von der Macht zu vertreiben. Allgemein werden sie als die "Neo-Cons" beschrieben, eine Variante der Republikaner, die sich durch besonders ideologisch definierte politische Positionen auszeichnet. Zu dieser Gruppe gehören Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Rumsfeld und sein Stellvertreter Wolfowittz. Risen beschreibt, wie diese Gruppe innerhalb der Administration nicht nur politisch das Feld für den Krieg bestellt hat, sondern auch die CIA zu instrumentalisieren verstand.

    "Ihrer Ansicht nach musste man die Gelegenheit zu einem Krieg mit dem Irak, die sich nach den Anschlägen in New York und Washington bot, beim Schopf packen, indem man Bagdad mit dem 11. September in Verbindung brachte. Sollte das nicht möglich sein, ließe sich vielleicht zumindest eine allgemeine Beziehung zwischen Al-Quaida und dem Irak herstellen."

    Dieser politischen These folgt Risen in seinem Buch und sucht sie durch die internen Vorgänge in der Agency, wie die CIA genannt wird, zu belegen. Im Grunde konzentriert sich Risen dabei auf drei Personen aus der Bush-Administration: auf den Direktor der CIA, George Tenet in erster Linie, und auf den Vizepräsidenten Richard Cheney und den Verteidigungsminister Donald (Don) Rumsfeld. Tenet steht dabei naturgemäß im Mittelpunkt. Politisch wendig und keiner Partei zugeordnet, war Tenet bereits unter Bill Clinton Direktor der CIA in Lengley. Nach der Prüfung einiger personeller Alternativen beließ Bush ihn schließlich auf dieser Position. Für Risen zeigt sich in dieser Flexibilität schon früh ein Grundmuster der Anpassungsfähigkeit sogar gegen die eigene Einsicht.

    "Natürlich kam Tenet auch zugute, dass er sich in den letzten Jahren beim älteren Bush eingeschmeichelt hatte, vielleicht weil er die Wiedereinsetzung der Familie vorausahnte."

    Tenet erlangte trotz der Schwäche seines Dienstes in Sachen Irak eine besonders herausgehobene Stellung innerhalb des Machtapparates von Bush. Er unterrichtete persönlich den Präsidenten jeden Morgen über die Sicherheitslage aus der Sicht des Dienstes – so etwas hatte es bisher niemals gegeben. Aber Tenet nutzte diese Position, wie Risen nachweist, nicht etwa, um den Präsidenten schonungslos und offen über die wahre Situation zu unterrichten, sondern er redete ihm politisch nach dem Munde und unterdrückte sogar Erkenntnisse, die den politischen Plänen zuwider liefen. Das herausragende Beispiel dafür sind die Erkenntnisse über die so genannten Massenvernichtungswaffen im Irak, die bekanntlich zur Rechtfertigung des Krieges herhalten mussten.

    "George Tenets Name wird für immer mit einer Floskel verbunden bleiben: slam dunk (ein besonders spektakulärer und sicherer Treffer im Basketball). Der Begriff blieb an Tenet hängen, seit Bob Woodward in seinem Buch der Angriff – Plan of Attak schilderte, wie Tenet Präsident Bush versicherte, die Existenz irakischer Massen- Vernichtungswaffen sei ein slam dunk. Diese Äußerung machte Tenet zum Sinnbild einer der größten Geheimdienstblamagen der Geschichte."

    Die minutiöse Nachzeichnung, wie es zu dieser Blamage gekommen ist, macht den Kern des Buches aus und ist auch gleichzeitig sein bester Teil. Hier kennt Risen sich nicht nur glänzend aus, vor allem verfügt er hier auch über Informanten, die ihrerseits entweder in der CIA gearbeitet haben, oder aber auf Grund ihrer politischen Positionen innerhalb der Regierung über Insider-Wissen verfügen. Aber Risen bleibt bei seinen politischen Urteilen durchaus vorsichtig. So schränkt er die politische Brisanz seiner Erkenntnisse dadurch ein, dass er Zweifel daran äußert, inwieweit der Präsident selber über die Dürftigkeit der CIA-Materialien informiert war.

    "Es ist nicht sicher, ob Präsident George W. Busch jemals umfassend über diese
    eklatanten Informationslücken informiert wurde."

    Man kann sich bei einem so erfahrenen Reporter wie Risen gelegentlich nur wundern, wie naiv er die politische Realität in Washington wahrnimmt. So etwa, wenn er nach der Dokumentation aller internen Fehler und Fehleinschätzungen der CIA schreibt:

    "Vielleicht wäre das ganze Kartenhaus zusammengefallen, wenn sich nur jemand laut und deutlich geäußert hätte."

    Dabei hat Risen wenige Seiten vor diesem Satz die Geschichte des Repräsentanten der CIA in Bagdad beschrieben, der in einem so genannten Memo auf alle Fehler der USA im Irak aufmerksam gemacht und die Entwicklung, wie sie sich dann vollzogen hat, genau vorausgesagt hatte. Das Memo hat nach den Recherchen von Risen das Weiße Haus nie erreicht und der Sektionschef Bagdad wurde alsbald abberufen. Was Risen über die Rolle des Verteidigungsministers Rumsfeld und seines Stellvertreters Wolfowitz schreibt, gehört in Washington seit Jahr und Tag zu den gesicherten Erkenntnissen über das Kabinett Bush.

    "Rumsfeld und seine Getreuen betrachteten Direktiven des Präsidenten nur als Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen."

    Tatsache ist, dass vor allem in der ersten Amtszeit von Bush Condoleezza Rice als Sicherheitsberaterin des Präsidenten nicht stark genug war, die außenpolitischen Ambitionen des Verteidigungsministers zu beschneiden und Außenminister Collin Powell zu unterstützen. Powell scheiterte und trat in der zweiten Administration nicht mehr an. Den Unterschied zwischen den beiden Politkern bringt Risen auf die griffige Formel:

    "Das unterschied Rumsfeld von Powell, der den Fehler beging nach den Regeln
    zu spielen."

    Bücher wie das von Risen haben grundsätzlich zwei Probleme. Das eine liegt in der extremen Verschlossenheit der Bush-Administration. Auch Risen muss sich im Wesentlichen auf anonyme Informanten und Quellen stützen, deren Glaubwürdigkeit und Wert der Leser nicht nachprüfen kann. Zum anderen liegt eine Gefahr in der Beschränkung des Themas ausschließlich auf den Aspekt des Geheimdienstes. Sicherlich ist richtig, dass die CIA den Präsidenten schlecht unterrichtet und sogar in einigen Fällen wie den Massenvernichtungswaffen fehlgeleitet hat. Andererseits aber liegt es in der politischen Verantwortung einer Regierung, über die Frage von Krieg oder Frieden zu entscheiden. Die kann ihr kein Geheimdienst abnehmen – wie gut oder schlecht er auch sein mag.

    James Risen: State of War
    Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2006
    260 Seiten
    19,95 Euro