Donnerstag, 18. April 2024

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Legalisierung der Abtreibung
Historisches Votum im argentinischen Parlament

Sechs Anläufe zur Legalisierung der Abtreibung in Argentinien sind in den vergangenen Jahren gescheitert. Nun startet am Mittwoch das Abgeordnetenhaus einen neuen Versuch. Anhänger und Gegner der Legalisierung ringen derweil weiter um die Stimmen der Abgeordneten. Denn es könnte knapp werden.

Von Victoria Eglau | 09.06.2018
    Argentinierinnen demonstrieren vor dem Parlamentsgebäude
    Argentinierinnen demonstrieren vor dem Parlamentsgebäude für die Legalisierung von Abtreibungen (Victoria Eglau)
    Abtreibungs-Befürworterinnen in Argentiniens Parlament – sie fordern, so wörtlich, "eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, um nicht zu sterben".
    "Frauen kommen bei illegalen Abtreibungen ums Leben, und zwar vor allem mittellose und junge Frauen. Das ist ein Problem, dessen sich der Staat annehmen muss," sagt eine junge Argentinierin von der "Nationalen Kampagne für ein Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung". Das überparteiliche Bündnis hat den Gesetzentwurf erarbeitet, über den am Mittwoch das Abgeordnetenhaus abstimmen wird. Er sieht eine Legalisierung der Abtreibung bis zum Ende der vierzehnten Schwangerschaftswoche vor.
    Minister: Es geht um Frauenrechte, denn nur Frauen leiden
    Dass Frauen in Argentinien bislang im Geheimen abtreiben, bestenfalls in Privatkliniken, oft aber unter prekären Bedingungen, ist das Hauptargument der Befürworter einer Legalisierung. 30 Frauen starben etwa 2016 durch Abtreibungen, laut offizieller Quelle. Für das Gesetz ist Gesundheitsminister Adolfo Rubinstein:
    "Abtreibung existiert in unserem Land, das können wir nicht ignorieren. Der Staat muss also eine Regelung schaffen. Dass Schwangerschaftsabbrüche illegal stattfinden, verletzt Frauenrechte, denn nur Frauen leiden unter den Komplikationen unsicherer Eingriffe. Vor allem arme Frauen", argumentierte Rubinstein im Abgeordnetenhaus. Rund siebenhundert Pro- und Kontra-Stimmen zur Abtreibung haben die zuständigen Parlamentskommissionen in den vergangenen drei Monaten angehört, von Ärzten, Aktivisten, Juristen, Religionsvertretern und Kulturschaffenden.
    Gewissensvotum für die Abgeordneten
    Das Votum der Parlamentarier ist eine Gewissensentscheidung – Befürworter und Gegner gibt es in allen Parteien, sowohl in der Mitte-Rechts-Regierungskoalition als auch in der Opposition.
    Der konservative Präsident Mauricio Macri hatte grünes Licht für die Debatte im Parlament gegeben, die ein Teil der Zivilgesellschaft seit langem forderte. Dazu konnten sich seine Vorgänger nicht durchringen – der Einfluss der Kirche im mehrheitlich katholischen Argentinien spielte eine Rolle. Macri betonte aber auch, ein wenig diffus, er persönlich sei für das Leben. Die Öffentlichkeit interpretierte: für das Leben des ungeborenen Kindes. Die populäre Schriftstellerin Claudia Piñeiro, eingeladen vom Parlament, wandte sich deshalb an den Präsidenten:
    "Es ist grandios, dass Sie dieser Debatte ihren Segen gegeben haben, für die so viele Frauen seit Jahren kämpfen. Vielen Dank dafür, aber ich habe noch eine Bitte: Sagen Sie nicht mehr, dass Sie für das Leben sind. Denn auch ich bin für das Leben. Wir, die wir einen legalen Schwangerschaftsabbruch fordern, wollen nicht mehr beleidigt und diskriminiert werden – wir alle sind für das Leben!"
    Die Abstimmung könnte knapp ausgehen
    Als prominenter Abtreibungsgegner trat Pepe di Paola im Parlament auf. Der bekannte Armenpriester steht Papst Franziskus nahe. Di Paola schlug eine gewagte Brücke zwischen der Abtreibungsdebatte und einer in Argentinien umstrittenen Vereinbarung der Macri-Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds, bei dem das Land jetzt wieder Kredit aufnehmen wird.
    "Es ist kein Zufall, dass die Abtreibung in diesem Jahr auf der Tagesordnung steht, in dem Argentinien erneut auf den IWF zugegangen ist. Zu dessen Anforderungen gehört es, dass die Länder Abtreibungsgesetze haben."
    Die Parlamentsentscheidung wird voraussichtlich knapp ausgehen. Knapp dreißig Abgeordnete sind noch unentschieden. Um das Gesetz konsensfähig zu machen, haben die Kommissionen in letzter Minute Änderungen am Originalentwurf vorgenommen. Etwa sollen sich Ärzte, die aus Gewissensgründen keine Abtreibungen vornehmen wollen, in ein entsprechendes Register eintragen können. Und junge Frauen bis sechzehn Jahre dürfen bei Schwangerschaftsabbrüchen nicht allein entscheiden, sondern brauchen die Einwilligung der Eltern.
    "Abtreibung zu entkriminalisieren, ist ein Menschenrecht"
    Bereits seit 2015 sind Abtreibungen in Argentinien nicht mehr strafbar, wenn eine Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder das Leben der Mutter gefährdet. Ein entsprechendes Protokoll des Gesundheitsministeriums wird allerdings nicht überall im Land umgesetzt. Für die Vorsitzende von Amnesty International Argentinien, Mariela Belski, ist es höchste Zeit für ein modernes Abtreibungsrecht:
    "Abtreibung zu entkriminalisieren, ist kein Zugeständnis an die Frauen - es ist ein Menschenrecht, das Argentinien seit langem missachtet. Wenn wir zur ersten Welt gehören wollen, wo es fast überall seit langem Abtreibungsgesetze gibt, müssen wir die Menschenrechte unserer Bürgerinnen und Bürger garantieren."