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Legalizace it!

Seit Anfang 2010 gilt in Tschechien ein neues Drogengesetz. Legalisiert werden Drogen damit nicht - aber es sind Grenzen festgelegt, bis zu denen der Drogenbesitz lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt und keine Straftat. Im Ausland hat sich Prag damit den Stempel des "Amsterdam des Ostens" erworben - ein Ruf, dem Politik und Polizei im Land vehement widersprechen.

Von Kilian Kirchgeßner | 18.03.2011
    In der Zentrale der Marihuanalobbyisten läuft Musik. Ein paar Schreibtische stehen in der Vierzimmerwohnung im Prager Stadtteil Nusle; an den Wänden kleben Aufkleber mit dem Namen der Organisation, der zugleich Programm ist: Legalizace heißt sie, zu Deutsch: Legalisierung. Ihr Sprecher ist Robert Veverka.

    "Unser Ziel ist die Legalisierung von Cannabis für den persönlichen Gebrauch und zum Beispiel für die Nutzung als Medikament. Jeder Volljährige, also ab 18 Jahren, soll Zugang haben und nicht vom Staat in seiner Freiheit eingeschränkt werden."

    Robert Ververka ist Anfang 30. Bei der tschechischen Legalisierungsbewegung ist er fast von Beginn an dabei, als sie sich in den 90er-Jahren gründete.

    Die Cannabisbefürworter fühlen sich derzeit im Aufwind: In Prag hat sich eine lebendige Szene gebildet, bestimmte Clubs, Cafés und Restaurants sind zu Magneten für Marihuanaraucher geworden;alternative Musiker aus ganz Europa treffen sich in Tschechien zu Festivals und Konzerten. In der Szene herrscht Aufbruchstimmung: Längst habe Prag mit früheren Hochburgen wie Amsterdam oder Marseille gleichgezogen. Die Polizei indes verfolgt diese Entwicklung mit Sorgen. In der jüngst vorgestellten Drogenstatistik weist sie gleich mehrere Negativrekorde für das vergangene Jahr aus: 145 kommerzielle Cannabiszüchtereien wurden ausgehoben, zwei Drittel mehr als noch im Vorjahr. Auch der Drogentourismus vor allem aus Deutschland und Polen habe rapide zugenommen. Der oberste Drogenbekämpfer Tschechiens ist Jakub Frydrych; er leitet eine spezialisierte Polizeieinheit.

    "Wir dürfen nicht die gesundheitlichen und sozialen Probleme vergessen. Zwei bis drei Joints pro Tag sind im kritischen Alter von 15 bis 24 Jahren gefährlich. Motivationsprobleme bringt das mit sich, soziale Probleme etwa in der Familie und natürlich auch Finanzprobleme. Damit sind wir dann schnell im Bereich der Sekundärkriminalität."

    Seine Einheit kämpft vor allem gegen die großen Fische, gegen die organisierte Kriminalität. Der Einsatz gilt Marihuana ebenso wie den härteren Drogen. Jakub Frydrych ist entschiedener Gegner einer Liberalisierung. Er weiß allerdings, dass eine strikt ablehnende Haltung gegenüber Drogen in Tschechien nicht weit verbreitet ist.

    "Die tschechische Gesellschaft ist sehr tolerant, was den Gebrauch von Drogen betrifft, vor allem bei Marihuana. Wir haben sehr liberale Journalisten und Ärzte, die über Jahre hinweg den Eindruck vermittelt haben, dass es nichts ausmache, wenn man Marihuana rauche. Das macht die Droge zur Norm. Es wird toleriert, wenn Marihuana geraucht wird. Wir haben hier rings um unser Büro vielleicht 20 Kneipen. Nicht mal die können wir kontrollieren. Die Polizei kann nicht überall sein."

    Die Legalisierungsbefürworter indes arbeiten gerade an ihrer nächsten Aktion, um den Cannabiskonsum populär zu machen. Dabei setzen sie bewusst auf neue Zielgruppen: "Ein Samen für Senioren" heißt ihre Kampagne, beworben in landesweiten Zeitungen. Bei Robert Veverka im kleinen Büro der Initiative laufen die Fäden zusammen.

    Einspielung
    Schauen Sie hier, das sind allein die Zuschriften von heute. Da schicken uns alte Leute einen frankierten Rückumschlag. Wir stecken einen Hanfsamen rein und bringen die Sendung auf den Weg. Die Absender wollen die Pflanzen vor allem wegen ihrer heilsamen Wirkung ausprobieren.

    Wie jedes Jahr planen Robert Veverka und seine Mitstreiter für den Frühling eine große Legalisierungsdemonstration in Prag. Im vergangenen Jahr kamen nach ihrer Zählung mehr als 7000 Teilnehmer zusammen, diesmal sollen es noch mehr werden.

    "Wenn wir aufrufen würden: Kommt alle zusammen, die ihr züchtet oder raucht - was soll der Staat denn dann machen? Will der die alle einsperren? Wir haben einfach überholte, alte Gesetze, die die Interessen der Öffentlichkeit nicht respektieren."

    Politik und Polizei indes sehen das anders: Sie fürchten einen Dammbruch, den sie auf jeden Fall verhindern wollen.

    Programmtipp
    Mit dem Thema <li_1382479>"Das Amsterdam des Ostens - Prag und die neue Drogenpolitik in Tschechien"/LI_1382479> befasst sich auch die Sendung "Gesichter Europas" am 19.3.2011 um 11:05 Uhr im Deutschlandfunk.</li_1382479>