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Legenden am Wegesrand

Etwa 280 Kilometer lang ist die Bergische Museumsroute mit dem viel versprechenden Namen "Straße der Arbeit". Wanderfreundlich ist sie in verschiedene Themengebiete und Schwierigkeitsgerade gegliedert. Etwa die "Silberne Route": Sie hat sich edlen Erzen und engen Stollen verschrieben und ist auch für den wenig geübten Wanderer zu bestreiten. Die "Straße der Arbeit" führt zu den Ursprüngen der Eisenindustrie, zu den Steinhauern, zu den Wassermühlen, durch Hohlwege und durch ausdrucksstarke Naturschutzgebiete. Neben Historie und Natur sind zahlreiche abenteuerliche Geschichten am Wegesrand der verschiedenen Routen zu finden.

Von Astrid Weisser | 10.06.2007
    Ein halbiertes Wagenrad gibt die Richtung an. Als Symbol der "Straße der Arbeit" prangt es hier an einem Baum, dort an einem Felsen. Durch das gesamte Bergische Land zieht sich die Straße als Gedenken an frühere mühselige Fußmärsche oder Kutschfahrten der fleißigen Handwerker. Von Nord nach Süd, also von Radevormwald bis Morsbach, finden sich die ehemaligen Handelswege.

    " Wir hatten, als wir diesen Förderkreis "Straße der Arbeit" gründeten eigentlich gar keinen direkten Namensgeber oder so. Es gibt zwar die Industrieroute im Ruhrgebiet, es gibt auch eine Raiffeisenstrasse im Westerwald; das eine ist mehr eine bäuerliche Straße, das andere ist mehr die Strasse der reinen Industrie und genau dazwischen liegen wir im Bergischen Land. Denn der Mensch konnte mit der Arbeitszeit und der Arbeitskraft eigentlich nicht auskommen, er musste noch eine zweite Arbeit schaffen, neben seiner Landwirtschaft. Und das war so dass er sich als Saisonarbeiter verdingte in Schmieden oder in Steinbrüchen oder als Pflasterer. Und da kam die Idee, diese Bereiche der Arbeit mal aufzulisten und zu verorten. "

    Der Buchautor Harry Böseke beschäftigt sich schon seit langem mit der historischen Wegeforschung. Er ist die treibende Kraft des Fördervereins "Straße der Arbeit".

    Die farbenfrohen Routen widmen sich jeweils einem Teil der industriellen Geschichte. So steht Gelb für die Erinnerung an die Fuhrleute. Wo früher Karren und Pferdekutschen entlang fuhren, da sind es jetzt oftmals Feldwege untergeordneter Bedeutung. Die Fuhrmannskneipen aber, die bis ins vergangene Jahrhundert hinein als Umspann-Stationen dienten, liegen vielfach noch heute an wichtigen Verkehrsadern. So streifen die romantischen Wege immer wieder Knotenpunkte des heutigen Lebens.

    Grün steht für die Schmugglerpfade und Grenzgänge, Blau für die Mühlräder und Stauwehre, Weiß für die Bleicher und Tuchmacher. Schließlich bezeichnet Rot das wohl bekannteste Handwerk des Bergischen Landes: Die Eisengewinnung und -verarbeitung. So heißt es in einem bergischen Heimatlied:

    Bergisches Heimatlied

    Wo die Wälder noch rauschen, die Nachtigall singt,
    Die Berge hoch ragen, der Amboss erklingt,
    Wo die Quelle noch rinnet aus moosigem Stein,
    die Bächlein noch murmeln im blumigen Hain.

    Wo der rauchende Schlot und der Räder Gebraus,
    die flammende Esse, der Hämmer Gesaus,
    Verkünden und rühmen die fleißige Hand:
    Da ist meine Heimat, mein Bergisches Land.


    Die herrlichen landschaftlichen Eindrücke täuschen darüber hinweg, wie hart die Arbeit früher gewesen ist. Doch die knapp 40 Kilometer lange Route treibt auch dem Wanderer des 21. Jahrhunderts die eine oder andere Schweißperle ins Gesicht.

    " Wir sehen ein großes Tal, ein breites Tal, das ist das Leppetal. In diesem Tal standen etwa 12 Edelstahlhämmer, es standen dort Hütten, es waren dort Bergbauabbaustellen, so wo Eisenerz gewonnen wurde, all das in unmittelbarer Nähe zu einander. Diese Spuren sieht man heute nur dann, wenn man davon weiß. Denn alles ist in den Wäldern heute verschüttet oder im Grunde genommen wieder von der Natur erobert worden. Und dies sichtbar zu machen ohne die Natur dabei zu stören, das war Ziel unserer Gruppe "Strasse der Arbeit". "

    Von Engelskirchen über Lindlar und Kulbach bis nach Marienheide sind die halben Wagenräder verstreut. Der Weg erlaubt den Einblick in die Gewinnung verschiedener grober Bodenschätze: Während an den Hängen des Aggertals Erz geschürft wurde, war der Ort Lindlar als "steinreich" bekannt. Seit mehr als 400 Jahren wird hier das Sedimentgestein "Grauwacke" abgebaut. Nach einigen Kilometern stehen dann die Eisengewinnung und deren Transportwege im Mittelpunkt der historischen Strecke.

    Mit ungeheurer Kraft widerstand die Natur hier dem menschlichen Einfluss. Jeder Schacht, jedes Gebäude wird langsam aber stetig zurückerobert und betont auf diese stille Weise die Endlichkeit des Menschen.

    " Es ist eine sehr schöne Region hier, die davon lebt, dass die Natur hier ein wunderbares Kleid gebildet hat. Aber da sieht man auch, dass die Spuren der Industrie noch einfach sichtbar sind. "

    Abseits der schmalen, verschlungenen "Straße der Arbeit" verstecken sich überall versteinerte Erinnerungen. Wo so schwer geschuftet wurde, da musste schließlich auch gewohnt, gefeiert, eben gelebt werden. Beim Örtchen Scheel finden sich daher mehrere Burgruinen, um die sich mystische Geschichten und abenteuerliche Erzählungen ranken.

    Ein verwittertes Holzschild weist den Weg zur Burg Neuenberg. Große Farne wachsen über den kaum zu erkennenden Pfad. Die kräftigen Bäume schirmen ihn von den wenigen Sonnenstrahlen ab. Während es bergauf geht, lösen Buchen und Eichen das Nadelgehölz ab.

    Die Burg auf dem Neuenberg ist laut baugeschichtlichen Befunden im 12. Jahrhundert entstanden. Die wechselvolle Geschichte der Ruine ist eng mit der Landesherrschaft der Grafen von Berg verbunden. Zerstörungen durch den Dreißigjährigen Krieg machten sie unbewohnbar, so dass im 17. Jahrhundert die so genannte Schleifung beantragt und vollzogen wurde.

    Das weite Ruinenfeld ist mit einem mächtigen Wall und einem tiefen Graben umgeben. Die Wehrmauern aus flachgeschichtetem Bruchstein sind noch gut erhalten. Im Westen ragt wie ein kranker Stiftzahn der Rest der Torburg in die Höhe und lässt erahnen, wie mächtig diese Festung einst gewesen sein muss. Der Innenhof, weitgehend mit Erdreich und Trümmerresten aufgeschüttet und von herab gefallenen Herbstlaub übersät, lässt an vielen Stellen noch Rückschlüsse auf die frühere Bebauung zu.

    Der Legende nach lebte hier einst ein herzogliches Paar. Die Mutter des jungen Herzogs trachtete danach, die Ehe der beiden zu zerstören. So ließ sie das Gerücht verbreiten, die Herzogin habe ein Verhältnis mit dem Ritter der nahe gelegenen Burg Eibach.

    Die Wasserburg Eibach unterhalb des Neuenbergs ist übrigens heute ebenfalls eine Ruine. Ein paar Gänse und Enten des benachbarten Bauernhofes haben sich hier häuslich niedergelassen, denn ohne Flügel oder Flossen sind die verfallenen Steine nicht zu erreichen. Aber zurück zur Legende ...

    Der erzürnte Herzog verletzte den Ritter und sperrte seine Gemahlin in den höchsten Turm der Burg. Zum Beweis ihrer Unschuld verlangte er Unmögliches: Sie sollte ihr Gefängnis verlassen, doch weder bei Tag noch bei Nacht, weder alleine noch in Begleitung und ohne Erde, Gras oder Steine zu berühren. Mit Hilfe der auf Neuenberg wohnenden Zwerge gelang ihr dieses Wunder. Die böse Schwiegermutter wurde verbannt, der Ritter geheilt und das Paar lebte glücklich und zufrieden auf der Burg bis an sein Lebensende.

    Apropos Zwerge. Nahe den beiden Burgruinen befindet sich eine kleine, unscheinbare Höhle - die Zwergenhöhle. Im kühlen, modrigen Inneren haben sich kleine Stalaktiten gebildet. Beinahe kunstvoll werden sie von silbrigen Spinnenweben umspielt.

    Die Zwerge sollen eine gute Nachbarschaft mit den menschlichen Bewohnern der Umgebung gehalten haben. Es heißt, sie liehen ihnen stets einen kupfernden Krautkessel aus, der später gereinigt und mit Weißbrot gefüllt zurückgegeben werden musste. Einmal aber brachte ihn ein Knecht schmutzig und leer zurück; das Brot hatte er selbst gegessen. Das erzürnte die Zwerge so sehr, dass sie den Neuenberg verließen und nie wieder zurückkehrten.

    Ein kühler Kopf könnte für all diese Legenden natürlich auch eine rationale Erklärung finden. Harry Böseke betont die Rolle der Bodenschätze, insbesondere das manganhaltige Eisenerz.

    " Dieses manganhaltige Eisenerz ist das Eisenerz überhaupt, mit dem man alles machen kann. Es verbindet Zähigkeit mit Härte und das war das große Gut, das Gold der frühen Zeit. Und das wurde hier von den Zwergen oder den Kleinwüchsigen, wie auch immer, hergestellt. Es wurde hier vertrieben und es wurde durch die Burgen gesichert. Das war Herrschaft. Wer das Eisen hatte, der hatte die Herrschaft. "

    Natürlich gibt es auch zahllose Geschichten über versteckte Schätze und allerlei andere Fabelwesen. Der Neuenberg mit seinen verwitterten Ruinen und Höhlen ist ein Mekka für Schatzsucher und Abenteurer.

    " Legenden haben auch immer ein Stück mit Wahrheit zu tun. Ich kenne keine Legende, die nur aus sich entstanden ist. Es hat immer etwas mit Berufswirklichkeit und Sagen zu tun. Auch Sprichwörter leiten sich von Sagen ab oder von sagenhaften Begebenheiten oder von tatsächlichen Begebenheiten. Oft sind es nur die veränderten Vorstellungen, die man später nicht mehr begreift. Und diese Flurbezeichnungen und das Wissen um die Geschichte, wie die Menschen früher gearbeitet haben, das zusammen ergibt natürlich ein Bild was unschätzbar in die Vergangenheit führt und dann auch erklären kann, warum die Sage entstanden ist."

    Ob sich diese Legenden erzählt wurden während das schwere Gestein Schritt für Schritt mühsam auf der "Straße der Arbeit" transportiert wurde? Vielleicht haben sie die zu tragende Last ein wenig leichter werden lassen. Heute, in der Gegenwart, vermittelt sich beim Anblick der Ruinen, der verschlungenen Pfade und den unbekannten Geräuschen des Waldes ein beklemmendes Gefühl. Allerdings weckt der Gedanke, auf der "Straße der Arbeit" als Wanderer spazieren gehen zu dürfen und nicht als schwer bepackter Handwerker marschieren zu müssen, unbeschreibliche Freude.