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Lehren aus der Katastrophe

Kernenergie. - Am 26. April jährt sich zum 15. Mal die Katastrophe im Kernkraftwerk Tschernobyl. Im Jahr 1986 war Block 4 des ukrainischen Kraftwerks außer Kontrolle geraten und drohte durchzuschmelzen. Seit einigen Monaten ist die umstrittene Anlage nun endgültig abgeschaltet. Welche Lehren man aus dem Unfall ziehen konnte, diskutieren Wissenschaftler derzeit auf einer internationalen Tagung in Kiew.

    Das Krisenmanagement nach der Katastrophe sei zum Teil sehr gut gewesen, zum Teil aber auch mangelhaft, hieß es in Kiew. Zu den richtigen Entscheidungen gehörte es damals zum Beispiel, alle Busse in der Unglücksgegend reinigen zu lassen, damit die Radioaktivität nicht in unbelastete Gebiete verschleppt werden konnte. Dass es in Tschernobyl keine Jodtabletten gab, hatte hingegen schlimme Folgen: Rund 1800 Fälle von Schilddrüsenkrebs hätten bei rechtzeitiger Gabe der Medikamente vermieden werden können. Eine Lehre aus Tschernobyl ist auch die Erkenntnis, dass die Aufklärung der Bevölkerung ein wichtiger Bestandteil des Krisenmanagements sein muss. Denn zu den sozialen Langzeitfolgen, die heute noch zu spüren sind, zählt die Verunsicherung der Menschen.

    Noch heute sammeln Wissenschaftler in der Ukraine Erkenntnisse über die Auswirkungen von Strahlungsbelastungen. Sieht man vom Schilddrüsenkrebs ab, der damals vor allem Kinder getroffen hat, lassen sich keine weiteren Krebserkrankungen auf das Unglück zurückführen - zur Überraschung der Forscher. Bei den Menschen, die direkt mit dem Unfall in Kontakt kamen, stieg, anders als erwartet, die Leukämierate im statistischen Rahmen nicht an. Völlig unterschätzt wurden aber die psychosomatischen Auswirkungen, die offenbar zu den gravierenden Folgen von Tschernobyl gehören. Mit einer besseren Aufklärung hätten sich diese Schäden wohl mindern lassen.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]