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Lehrer beraten, Eltern entscheiden?

In Baden-Württemberg sollen in Zukunft die Eltern festlegen, welchen Schultyp ihre Kinder nach der Grundschule besuchen dürfen. Gegner befürchten nun, dass Eltern Kinder ins Gymnasium schicken, die dort überfordert sind.

Von Michael Brandt | 22.11.2011
    Baden-Württembergs SPD-Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheusser ist der festen Überzeugung, dass die verpflichtende Grundschulempfehlung weg muss:

    "Die Eltern werden nach Beratung und nach Mitteilung einer Empfehlung durch die Grundschule das Letztentscheidungsrecht haben."

    Bereits zum Beginn des nächsten Schuljahres soll die neue Regelung eingeführt werden. Zurzeit ist das entsprechende Gesetz im Anhörungsverfahren und - wie zu erwarten - gibt es sehr unterschiedliche Meinungen zu dem Thema: Die CDU etwa, die bislang immer daran festgehalten hatte, befürchtet, dass Eltern Kinder ins Gymnasium schicken, die dort überfordert sind.

    Die Kultusministerin erwidert, dass sie darauf setzt, dass die Eltern verantwortlich mit ihren Kindern umgehen. Und außerdem:

    "Auch heute haben wir die Situation, weil in der dritten Klasse der Druck entsteht, du musst jetzt unbedingt die Grundschulempfehlung schaffen, dass die Eltern ihre Kinder mit zusätzlichem Nachhilfeunterricht triezen, die Kinder sich hinsetzen müssen und unter einen zusätzlichen Druck geraten. All das passiert jetzt natürlich nicht mehr."

    In diesem Punkt stimmt auch Ute Leube-Dürr, die Rektorin des Tübinger Uhland-Gymnasiums, zu. Aber in einem anderen warnt sie deutlich vor einer Änderung. In dem Gesetzentwurf ist nämlich vorgesehen, dass die weiterführenden Schulen überhaupt keine Informationen mehr von den Grundschulen über die neuen Schüler bekommen, - zumindest nicht, wenn es die Eltern nicht ausdrücklich wünschen. Damit wird eine Forderung des Landeselternbeirats umgesetzt. Aber:

    "Wir sind der Meinung, dass die heutige Pädagogik darauf abzielt, die Bildungsbiografie eines Kindes in einem Stück zu betrachten. Und dass dieser Abschluss nach Klasse 4, dieses Kappen einer Information nicht besonders sinnvoll erscheint. Auch, damit wir entsprechende Fördermaßnahmen einleiten können. Und nicht erst nach einem Jahr, wenn wir merken: Das Kind ist in den Brunnen gefallen."

    Etwa sei es bei der Zusammenstellung der 5. Klassen wichtig, zu wissen, wo die einzelnen Kinder stehen.

    "Wir könnten, wenn wir wüssten, mit was für Kindern wir es zu tun haben, eine bessere Mischung herstellen, wenn wir die Klassen zusammenstellen. Wir könnten von Anfang an eine klarer Linie, was die Förderstunden angeht, verfolgen. Und das hätte für die Kinder Vorteile. Wenn sie nicht erst mal kämpfen und dann atemlos feststellen: Ich komme hier nicht mit."

    Auch Gabriele von Kutzschenbach, Rektorin der Grundschule am Hechinger Eck in Tübingen und Sprecherin der Tübinger Grundschulrektoren befürchtet durch den Abbruch der Kommunikation zwischen Grundschule und Gymnasium einen Bruch für die Bildungsbiografie der Kinder:

    "Wir geben uns Mühe und beschäftigen uns, wir machen Konferenzen und Gespräche mit den Eltern und mit den Fachlehrern. Das ist nicht vertrauensbildend. Ich fühle da auch keine Wertschätzung für die Arbeit in den Grundschulen."

    Sie räumt zwar ein, dass es ein gewisses Maß an Fehlurteilen von Lehrern bei der bisherigen Grundschulempfehlung gebe, aber das Ende der Kommunikation zwischen Grund- und weiterführender Schule wiege weit schwerer.

    Und sie weist auf einen weiteren Punkt hin, an dem die neue Regelung ihrer Meinung nach noch nicht zu Ende gedacht ist: Geplant ist, dass es künftig bereits ab der zweiten Klasse halbjährige Beratungsgespräche mit den Eltern geben soll. Die Gespräche kosten Zeit, eine halbe Stunde bis eine Stunde pro Kind - außerdem müssen sie vor- und nachbereitet werden:

    "Und wenn ich das einmal im Jahr mache für 25 Kinder, dann sind das 50 Stunden. Und wenn ich das zweimal im Jahr mache, dann sind es 100 Stunden."

    Eigentlich bräuchte man dafür zusätzliche Stellen, die es aber nicht gibt.
    Die zusätzliche Beratung soll spätestens ab der 3. Klasse beginnen. Und hier lauert für die beiden Rektorinnen noch ein weiteres Problem: Die Grundschulempfehlung und die zusätzlichen Elterngespräche sollen bereits zum Schuljahreswechsel eingeführt werden. Aber was ist mit den Kindern, die schon im nächsten Sommer die Schule wechseln? Wenn die Schulen es nicht freiwillig gemacht haben, bleiben ihre Eltern ohne die zusätzliche Beratung, tragen aber die zusätzliche Verantwortung, nun selbst über die schulische Zukunft ihrer Kinder zu entscheiden

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