Ab 15. Juni gilt für Thüringer Grundschüler innerhalb ihrer festen Lerngruppe das Abstandsgebot nicht mehr. Abstand sollen nur noch die Klassen beziehungsweise Gruppen voneinander halten - etwa durch verschobene Pausenzeiten. Eine Betreuungszeit von sechs bis acht Stunden wird angestrebt.
Der Vorsitzende des Thüringer Lehrerverbandes, Rolf Busch, sieht die Verordnung der Landesregierung sehr kritisch. Die Öffnungen würden gerade ältere Lehrer gefährden. "Aus meiner Sicht gibt man hier einfach auf und schafft keine Bedingungen, die es ermöglichen, mit Abstandsregelungen den Unterricht zu gewährleisten, sondern sagt: Macht mal! Also, das ist ein Riesen-Flächenversuch, den wir da machen. Das könnte wirklich schiefgehen."
Bildungsminister Helmut Holter (Linke) verärgert das: "Das streut einfach nur viel Pfeffer in eine offene Wunde. Schutz der Gesundheit vs. Recht auf Bildung – wie kriege ich das unter einen Hut? Der Schutz besteht darin, dass wir den eingeschränkten Regelbetrieb machen, dass wir Hygiene-Maßstäbe an den Tag legen, dass wir für diejenigen, die das wünschen, FFP2-Masken zur Verfügung stellen, die wir auch bezahlen, dass wir die Testungen machen."
Aber auch an anderer Stelle haben die Thüringer Lehrer momentan Sorgen: Beim Datenschutz. Tim Reukauf ist Gymnasiallehrer für Wirtschaft, Recht und Ethik an einer Gemeinschaftsschule in Suhl. Als die Schulen Mitte März schlossen, standen er und seine Kollegen erst mal vor dem Problem, dass sie bis auf eine dienstliche Mailadresse, die umständlich zu handhaben ist, keine Verbindung zu ihren Schülern hatten.
"Am Anfang hatten wir ja gar nichts. Und man wusste immer schon: Ok, Datenschutz; ich nutze am besten nichts, was ich mir selbst zusammensuche. Also es war ein bißchen, der Sprung ins ganz, ganz kalte Wasser."
Datenschutzverstöße sollen geahndet werden
Zur Thüringer Schul-Cloud hatten Reukauf und seine Kollegen bis zu den Osterferien noch keinen Zugriff. Aber Schüler, Eltern, die Schulen erwarteten von den Lehrern, dass diese sich was einfallen lassen.
Tim Reukauf: "Ich weiß, dass viele Kollegen auch mal eine WhatsApp-Gruppe nutzen, auch wissentlich, dass sie es eigentlich nicht dürfen. Die sagen: Ich kann doch da viel besser auf eine Schülerfrage reagieren; ich sehe, dass sich Schüler gegenseitig Fragen beantworten. Also genau das, was man ja im Klassenraum auch hat."
Diese Kreativität könnte nun den Thüringer Lehrern zum Verhängnis werden. Der Landes-Datenschutzbeauftragte, Lutz Hasse, hat angekündigt, Verstöße gegen den Datenschutz zu ahnden - Notlage hin oder her. Wer unsichere digitale Wege benutzt hat, wer Schüler darüber nicht ausreichend aufgeklärt hat, wer nicht empfohlene Software verwendet hat, könne mit Bußgeldern bis zu 1.000 Euro rechnen.
"Wenn man Datenschutzbeauftragter ist, dann darf man keine Angst davor haben, anzuecken und Menschen, die sich vielleicht im Datenschutz nicht so auskennen, auf den Pfad des Rechts zurückzuführen."
Bei Lehrern erntete Hasse dafür blankes Entsetzen. Der Vorsitzende des Lehrerverbandes, Rolf Busch, kann nicht verstehen, wie der Datenschutzbeauftragte gerade die bestrafen will, die sich in den vergangenen Wochen besonders engagiert haben.
"Das war keine Hilfe. Das ist, als wenn mir jemand sagt, du darfst jetzt nur noch mit dem Brennstoff-Auto fahren. Und ich sage: Wo ist denn die nächste Tankstelle? Und mir sagt einer: München. Dann nützt mir das nichts. Da haben wir gedacht, wir hören nicht richtig."
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Kathrin Vitzthum, sieht allerdings auch die positive Seite am Vorstoß des Datenschutzbeauftragten. Auch in schwierigen Zeiten sorge er sich um den Datenschutz gerade der Kinder.
"Die Frage ist nur: Muss man das öffentlich machen und muss man mit Bußgeld drohen, oder geht man da nicht tatsächlich auf die Schule zu, wo das passiert ist, und klärt mit denen, wie man dieser Datenschutzpanne auch wieder abhelfen kann?"
"Das geht gar nicht"
Der Thüringer Bildungsminister Holter ist noch nach Tagen verärgert. "Das geht gar nicht. Und das hat mich auch auf die Palme gebracht, dass gleich mit der großen Keule von Bußgeldern bis 1.000 Euro gedroht wurde. Der Thüringer Datenschutzbeauftragte wird keine Bußgelder verhängen, bevor er nicht mit uns gesprochen hat. Auf alle Fälle wird der Datenschutzbeauftragte mit uns als Ministerium darüber reden, wenn er einzelne Fälle hat, wie wir dann mit dem Einzelfall umgehen."
Falls sich herausstellen sollte, dass es Verstöße gab, will er auch dann für seine Lehrer einstehen. "Ja, ich werfe mich in den Kugelhagel und stelle mich vor die Lehrer, weil sie in einer Krisensituation sehr schnell operativ Dinge machen mussten, auf die sie teilweise nicht vorbereitet waren."
Der Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse hat inzwischen auch angekündigt, dass er mit Augenmaß vorgehen wolle. "Also, ich muss vor dem Hintergrund er Verhältnismäßigkeit abwägen: Was spricht dafür, ein Bußgeld zu verhängen, was spricht dagegen? Dafür spricht ganz klar, dass es hier um Kinderdaten geht. Und der Aufschrei, der gerade durchs Land geht, ist so ein bisschen desorientiert. Hier wird nur die Position der Lehrer gesehen und nicht die der Schüler, deren Daten hier verarbeitet werden."