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Lehrermangel
Berlin hat 2000 freie Stellen

Lehrer gibt es entweder zu viele oder zu wenige - das ist der Schweinezyklus. Wenn Referendare keine Stelle finden, spricht sich das herum und in der Folge beginnen nur wenige ein entsprechendes Studium. Daraus folgt wiederum: Ein paar Jahre später fehlen die Lehrer. Derzeit suchen zum Beispiel die neuen Länder und Berlin händeringend Pädagogen.

Von Claudia van Laak | 12.05.2014
    "Herzlich willkommen hier in Berlin. Ich freue mich wirklich, dass Sie alle den Weg gefunden haben. 260 interessierte Menschen haben sich angemeldet."
    Bildungssenatorin Sandra Scheeres setzt ihr gewinnendstes Lächeln auf. An diesem Tag geht es um viel. Es gilt, die 260 interessierten Lehrerinnen und Lehrer aus der ganzen Republik so zu begeistern, dass sie einen Vertrag mit ihrem Haus abschließen. Deshalb werden die Pädagogen umschmeichelt: Subventionierte Fahrkarten, eine Übernachtung für 16 Euro, leckere Häppchen tagsüber, ein schicker Empfang am Abend. Der Münchener Referendar Heiko Müller weiß gar nicht, wie ihm geschieht – denn in Bayern hat er so gut wie keine Aussicht auf eine Lehrerstelle.
    "Man hat nur den Wunsch, eine Grundfinanzierung für sein Leben zu bekommen, hat in einigen Bundesländern gar keine Chance, obwohl man einen extrem konservativen Beruf gewählt hat. Und auf der anderen Seite gibt es Standorte in Deutschland, die einen so umwerben, das ist schon ein seltsames Gefühl."
    Beamtentum als gestrige Institution
    Berlin verbeamtet seine Lehrer nicht. Das schreckt einige Referendare ab, Heiko Müller nicht. Er hält das Beamtentum für eine Institution von gestern.
    "Meines Erachtens verändern sich Arbeitswelten von jungen Erwachsenen auch so, dass wir da flexibler sein müssen. Und vielleicht ist das Beamtensystem auch ein System, dass gar nicht zukunftsfähig ist, weil Menschen flexibler sein wollen, ins Ausland gehen und unsere Arbeitswelt tendenziell globalisierter ist."
    Lehrermangel sei absehbar gewesen
    Werbeveranstaltungen wie diese tun not, denn ab Sommer fehlen 2000 Lehrer in der Hauptstadt. Die Opposition im Abgeordnetenhaus kritisiert den Senat - der Mangel sei absehbar gewesen, Berlin habe zu wenig ausgebildet. Bildungssenatorin Scheeres, SPD, widerspricht:
    "Das hat eben damit zu tun, dass wir Pensionswellen haben. Aber zusätzlich, und das war nicht planbar, ziehen viele Familien nach Berlin, wir haben steigende Kinderzahlen, damit müssen wir umgehen in Kita und Schule, und deshalb brauchen wir mehr Lehrkräfte als geplant."
    Beim Berliner Lehrertag präsentieren sich viele Schulen, Experten aus der Verwaltung beraten zum Thema Besoldung, in Vorträgen erfahren die Interessierten das Neueste zum Schulsystem. Auch Wohnungsbaugesellschaften sind vor Ort.
    Lina Erico strahlt - sie und ihr Partner haben gerade ein gutes Angebot bekommen - mit Badewanne und Balkon.
    "Die haben uns eine wundervolle Wohnung gezeigt, mitten in Kreuzberg, gar nicht viel Geld, 800 Euro, ich finde, das ist okay."
    Berlin rührt Werbetrommel
    Die 31jährige hat die Uni in Heidelberg abgeschlossen, will im Sommer nach Berlin wechseln.
    "Mir wurde von Berlin ein ganz tolles Angebot gemacht. Ich habe mich beworben für den Vorbereitungsdienst und habe den Vorschlag bekommen, ich könne einen berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst machen. Also beides gleichzeitig. Und ich bekomme einen unbefristeten Vertrag. Und ich bekomme schon ein richtiges Lehrergehalt."
    Um junge Lehrerinnen und Lehrer zu locken, hat Berlin das Gehalt für Berufsanfänger in der Oberstufe erhöht – es liegt jetzt bei 4700 Euro brutto. Doch ein Teil derjenigen, die schon länger im Dienst sind und in die Hauptstadt wechseln wollen, müssen Einbußen in kauf nehmen. Karola Ruf zum Beispiel, seit 15 Jahren Grundschullehrerin in Freiburg. Sie schreckt ab,
    "Dass ich vermutlich 500 Euro weniger verdienen werde. Das war ein wichtiger Grund, sich das genauer zu überlegen."
    So ganz glücklich mit dem Berliner Schulsystem ist sie auch nicht. Dass Kinder schon mit 5 einhalb Jahren eingeschult werden, hält sie für falsch.
    "Und gleichzeitig finde ich auch das System der jahrgangsübergreifenden Klassen nicht gut."
    Trotz der Bedenken: Auch Karola Ruf hat sich nach diesem Wochenende für Berlin entschieden, in erster Linie der Liebe wegen. 3 Jahre pendeln ist genug, sagt die Grundschullehrerin. Außerdem tue die Wertschätzung gut, die Berlin ihnen entgegenbringe - das seien Lehrer nämlich nicht gewöhnt.