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Lehrermangel in Sachsen-Anhalt
Den Eltern reicht's

Der Lehrermangel sorgt in Sachsen-Anhalt seit Monaten für Streit. Eine Initiative aus Lehrerverbänden, Elternvertretern und Gewerkschaften hat zehntausende Unterschriften gesammelt und durfte daher ihr Anliegen im Landtag vorbringen. Grundsätzlich will die Politik mitziehen, sie hat aber auch Einwände.

Von Christoph Richter | 26.10.2017
    Eine Lehrerin sitzt vor ihrer Klasse
    Geld oder Lehrer: Die Politik in Sachsen-Anhalt erkennt das Problem des Lehrermangels an, führt aber auch Budgetbeschränkungen ins Feld (imago stock&people)
    "Durch den Personalmangel ist die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen, und damit ihrer und unserer aller Zukunft, in einer Wissens- und Leistungsgesellschaft grundlegend bedroht", sagt Thomas Jaeger, Vater von drei Schulkindern und der Vorsitzende des Landeselternrates vor den Abgeordneten des Magdeburger Landtages - und zählt eine Liste der Schulen auf, in denen der Lehrermangel besonders eklatant sei.
    "Am Burger Roland-Gymnasium wurde das Fach Lernmethoden gestrichen, weil man nicht genügend Lehrer hat. Am Siemens-Gymnasium in Magdeburg wurde in der 5. und 6. Klasse der Unterricht gekürzt, in anderen Schulen werden ganze Fächer nicht mehr angeboten. Allein durch Anrufe erfahre ich von 15 neuen Fällen."
    Großer Unmut bei den Eltern
    Die Kernforderung daher: 1.000 Lehrer und 400 pädagogische Mitarbeiter seien so schnell wie möglich einzustellen. Die Volksinitiative hat binnen kürzester Zeit 70.000 gültige Unterschriften gesammelt, das Quorum von 30.000 Stimmen weit übertroffen und darf deshalb vor dem Landtag sprechen. Was sie zu sagen hatte: Uns Eltern reicht's!
    Konzentriert, fast nachdenklich hört CDU-Bildungsminister Marco Tullner den Ausführungen des Landeselternrates zu. Seit 2016 ist er Bildungsminister, vorher war er Staatssekretär im Wirtschaftsressort. Er gab aber zu, dass die Lehrer-Stellen in den vergangenen Legislaturperioden immer im Fokus der Sparpolitik gestanden haben.
    Damit sei nun endgültig Schluss, so Tullner weiter.
    Kritik an "unrealistischen" Forderungen
    "So ist die pauschale Forderung einer sofortigen Neueinstellung von 1.000 Lehrkräften und 400 pädagogischen Mitarbeitern ein wenig plakativ. Und im Berwerbermarkt - wir haben Schwierigkeiten Stellen zu besetzen - ein wenig unrealistisch."
    Wenn es nach ihm ginge, wenn es eine Tullner-Partei gäbe, sagt der Bildungsminister lakonisch, dann würde er so viele Lehrer einstellen, wie er wolle. Für ihn sei aber der Haushalt bindend. Und da habe man sich zum Ziel gesetzt, bis 2021 14.500 Lehrerstellen zu besetzen. Dieses Jahr will man noch 237 Lehrer einstellen, 2018 ist von einem weiteren Bedarf von 630 Lehrern die Rede.
    "Neben der quantitativen Dimension haben wir auch die Qualität im Blick. Deshalb bleibe ich dabei, dass die Einstellung von grundständig ausgebildeten Lehrkräften weiterhin oberste Priorität hat."
    Bedenken gegenüber zu vielen Quereinsteigern
    Heißt übersetzt: Es gibt zu wenig ausgebildete Lehrer auf dem Markt; wir wollen aber nicht alles mit Quereinsteigern füllen. Genau hier setzt die Kritik an, die selbst aus den eigenen Reihen der CDU kommt. Tullners Unbehagen beim Einstellen von Quereinsteigern sei nicht gerade hilfreich, heißt es.
    Der Volksinitiative wird aber auch Naivität unterstellt, weil man fehlende Lehrer nicht einfach so, irgendwo her bekäme, sie ja erstmal ausgebildet werden müssten. Eva Gerth von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft schüttelt den Kopf.
    "Wir haben der Landesregierung Arbeitszeitkonten vorgeschlagen, darauf gab es keine Antwort. Ein echtes Seiten- und Quereinsteigerprogramm gibt es nicht. Tullner will nur Kollegen, die zwei Fächer mitbringen. Das muss dringend geöffnet werden, damit mehr passieren kann. Wenn man das macht, hat man mehr Lehrkräfte im Land Sachsen-Anhalt."
    Referendare als Lückenbüßer
    Selbst Schulleiter sehen diese Vorschläge skeptisch, zweifeln an einer schnellen Umsetzung der Forderungen der Volksinitiative, die sie dennoch unterstützen. Denn bereits heute können viele Schulen Sachsen-Anhalts den Lehrermangel, den Stundenausfall nur durch den Einsatz von Referendaren kompensieren, bestätigt Günter Eckert. Er ist der Schulleiter des kürzlich umbenannten Hans-Dietrich Genscher Gymnasiums in Halle. Ohne die Referendare allerdings hätte man ein noch viel größeres Problem, so Eckert weiter.
    "So ist es. Wir haben tatsächlich die Situation, dass Referendare, hier in Sachsen-Anhalt in zunehmenden Maße, seit mehreren Jahren, dafür herhalten müssen, die Lücken in der Unterrichtsversorgung zu schließen." Weshalb Referendare vermehrt über Überlastung klagen.
    Die Forderungen der Volksinitiative nach mehr Lehrern wird nun im Petitionsausschuss weiter besprochen. Spätestens nach vier Monaten muss der Landtag die Volksinitiative abschließend beraten. Kommt es zu keiner Einigung, plant das Bündnis als nächsten Schritt ein Volksbegehren auf den Weg zu bringen.
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