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Lehrerprotest in Niedersachsen

In Hannover sollen die Lehrer mehr Unterricht geben – bei 50 Wochenstunden nicht möglich, finden diese. Nun haben die DGB-Gewerkschaft GEW und der konservative Philologenverband in seltener Einheit Proteste in Hannover mobilisiert.

Von Alexander Budde | 29.08.2013
    "Wir wollen Flagge zeigen: für Arbeitsbedingungen, die Lehrer auch ertragen können."

    Unter stolzen Bannern, ihre Protestplakate schwenkend, zieht die geballte Lehrerschaft vor das Kultusministerium und vor den Landtag. Komplette Schulklassen sollen heute mit Bussen selbst aus entlegenen Landesteilen herbeigekarrt werden. Die Verbände haben die kostbare Ferienzeit ganz offenkundig genutzt, um eine machtvolle Kundgebung des Unmuts auf die Beine zu stellen.

    Horst Audritz, Vorsitzender des Philologenverbandes, empört sich, dass den 19.000 Gymnasiallehrern im Lande künftig über die bisherige Unterrichtsverpflichtung von 23,5 Wochenstunden hinaus eine zusätzliche Stunde in der Woche zugemutet werden soll. Damit würden rein rechnerisch zahlreiche Lehrerstellen entbehrlich. Diese ließen sich dann für andere Aufgaben, etwa den Ganztagsbetrieb, die Fortbildung oder die Eingliederung behinderter Schüler einsetzen. Audritz befürchtet:

    "Dass die jungen Lehrkräfte, die gerade ihre Ausbildung an den Seminaren machen, erschwert eine Stelle kriegen – oder gar keine Stelle kriegen. Und es geht insgesamt um einen Umfang von immerhin 1900 stellen, allein an den Gymnasien um 1000 stellen, die dadurch dem Rotstift zum Opfer fallen."

    Tatsächlich seine die Kollegen aber bereit 50 Wochenstunden und mehr eingespannt, etwa um Klausuren zu korrigieren, den Unterricht oder Abiturprüfungen vorzubereiten.

    Delikat: Jede Anhebung der Arbeitsbelastung sei ein Schritt in die falsche Richtung, sagt auch Eberhard Brandt. Er ist der Landesvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, die in einer seltenen Allianz mit dem konservativen Philologenverband zu den Protesten aufgerufen hat.

    "Die Landesregierung sendet ein politisches Signal aus an unsere Kolleginnen und Kollegen, die Gymnasial-Lehrkräfte sind. Und das heißt Ihr müsst länger arbeiten! Gleichzeitig brauchen wir dringend eine Reform, auch der Gymnasien. In der Sekundarstufe 2 aber auch in der Überwindung des G 8. Man kann nicht Lehrerinnen die Lehrer einladen, an Reformen mitzuwirken, und ihnen gleichzeitig in die Kniekehle treten."

    Von moderaten und vertretbaren Zumutungen spricht hingegen Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt.

    "Die Landesregierung hat die Zukunftsoffensive Bildung beschlossen, mit einer Aufstockung des Kultusetats innerhalb von vier Jahren in einer Größenordnung von einer Milliarde Euro. Ich gebe jährlich also 250 Millionen Euro zusätzlich in den Bildungsbereich hinein, weil Bildung unsere Priorität Nummer 1 ist. Würde ich die Maßnahmen bezüglich der Unterrichtsverpflichtung und der Altersermäßigung nicht umsetzen, müsste ich 330 Millionen jährlich hineingeben. Das ist momentan im Landeshaushalt nicht darstellbar."

    Gleichwohl steht bereits der böse Vorwurf des "Wortbruchs" im Raum. Verglichen mit anderen Bundesländern liege die Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrkräfte nach wie vor im unteren Drittel, betont die Ministerin. Auch habe das Kabinett deutliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für alle Lehrkräfte im Lande beschlossen.

    "Es wird eine Verdreifachung der Lehrerfort- und -weiterbildung geben, damit alle Lehrkräfte auf das Thema Inklusion eingestellt werden können."

    Mit den Lehrern will Heiligenstadt das Gespräch suchen. Von auflodernden Konflikten will sie nichts wissen. Aus dem vergleichbar moderaten Tonfall der Organisatoren der heutigen Proteste hört sie heraus:

    "Dass sie grundsätzlich die Schwerpunktsetzung der Landesregierung unterstützen. Es geht um besser Ganztagsschulen. Um die Verknüpfung von Vormittag und Nachmittag in den Schulen. Und um Chancengleichheit für alle, denn zuhause kann das leider nicht immer aufgefangen werden, was man in Schule nicht leisten kann."