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Lehrersein nach Emsdetten

Der Amoklauf in einer Realschule in Emsdetten hat schockiert und neue Diskussionen über die Realität an Schulen hervorgebracht. Für viele Lehrerinnen und Lehrer ist er aber auch Anlass, über ihren Beruf und die pädagogischen Möglichkeiten im Umgang mit schwierigen Schülern nachzudenken.

Von Katja Bothe | 21.11.2006
    Ruhig beginnt der Morgen an einer Realschule in Münster. Selbst die Schüler laufen heute nicht tobend über den Schulhof. Die gestrige Bluttat an einer Schule im Umland hat Eindruck hinterlassen. In den Gesichtern der Lehrer Betroffenheit.

    " Ich denke, dass ich in erster Linie erstmal verletzt bin und mir dieses Schicksal der Menschen, die dort betroffen sind, auch sehr nahe geht. Das hat aber nichts mit unserem Berufsstand zu tun. Denn ich denke mal, das ist jetzt ne Übersprunghandlung eines Jugendlichen, der total verzweifelt war.

    Ich glaube schon, dass es Jugendliche gibt, die einem durch die Finger rutschen und ich glaub, dass es zum großen Teil daran liegt, dass so viele in der Klasse sind, ich denke, man wird denen nicht vollends gerecht."

    Die Frage nach der Angst vor unberechenbaren Schülern löst bei den Lehrern unterschiedliche Reaktionen aus.

    " Ich hab keine Angst. Überhaupt nicht, wichtig ist es, den Kindern immer wieder zu sagen und zu zeigen, wozu die Schule gut ist und was für Zukunftschancen sie mit einem guten Schulabschluss haben.

    Die bedrohlichen Situationen nehmen zu, Ich selbst bin zu Hause massiv bedroht worden. Ich bin einerseits bedroht worden verbal, indem schlimmste Äußerungen auf ein Garagentor geschrieben worden sind und halt auch durch Gegenstände insofern als dass Eier mehrmals gegen das Balkonfenster geworfen worden sind und auch der Eingangsbereich meines Hauses durch kaputte Eier verschmiert wurde."

    "Ich denke, unser Beruf wird zunehmend anstrengender, was bedrohlich ist, ist auch, dass zum Beispiel verbale Entgleisungen von Schülern nicht so ernst genommen werden, wie sie ernst genommen sein sollten, ich denke, wenn man da nicht entsprechend drauf reagiert, kann das auch schon ne Vorstufe zu psychischer Gewalt sein.

    Das kann in jedem Beruf passieren, das ist zwar in der Schule häufiger passiert, aber das ist halt unsere Gesellschaft."

    Die Lehrer glauben jedoch, dass sie solchen Gewalttaten entgegenwirken könnten – wenn sie nur kleinere Klassen und etwas mehr Zeit für die Schüler hätten.

    " Ich finde, es muss in der Schule mehr Raum dafür sein. Man müsste mehr Zeit haben, mit einzelnen Schülern zu sprechen, ich denke, im Einzelgespräch habe ich eher die Möglichkeit, einen Schüler zu erkennen, seine Reaktionen entsprechend zu bewerten und dafür lässt uns leider der Schulalltag keinen Raum.

    Die allgemeine Erwartungshaltung geht dahin, dass Lehrerinnen und Lehrer mehr die pädagogische und erzieherische Kompetenz herauskehren. Andererseits gibt es Erwartungen, durch Pisa geschürt, und oft sehr oberflächlich diskutiert, dass die Wissensvermittlung im Vordergrund stehen soll. Und die Lehrer haben längst den Eindruck, dass sie eigentlich Sozialarbeiter sind und nicht so sehr Psychologen. In einer psychologischen Behandlung lässt man sich ja viel mehr Zeit."

    Dennoch hoffen sie, dass dem Beruf in Zukunft nicht an Nachwuchs mangelt. Denn:

    " Ich denke, irgendwo hat man ne Passion. Und ich bin immer noch mit Leib und Seele Lehrerin und liebe Kinder und ich sehe meinen Auftrag darin, so was, was dort geschehen ist, noch weiter zu verhindern,

    Ich glaube, das sind Ausnahmefälle und die Mehrheit, die ganz große Mehrheit unserer Schüler, sind ganz normale, liebe, nette junge Menschen und man soll sich jetzt von so einer fürchterlich schrecklichen tragischen Tat nicht davon abhalten lassen, einen Beruf auszuüben, der einer der schönsten Berufe ist, die man überhaupt ausüben kann."