Archiv


Lehrjahre und Herrenjahre

Das Baseler Kunstmuseum birgt die größte Sammlung der Bilder Max Holbeins dem Jüngeren. In Basel begann Holbein Anfang des 16. Jahrhunderts als Fassadenmaler und ging bald zum religiösen Tafelbild über. Die erste große Ausstellung seines Werkes seit 1960 ist äußerst sehenswert.

Von Christian Gampert |
    Diese Ausstellung erzählt viele Geschichten: die Geschichte von Vater und Sohn und Bruder, von Hans Holbein dem Älteren, dem Vater, der in Augsburg der Lehrmeister war, von Holbein dem Jüngeren, dem Sohn, der durch Begabung und künstlerisch weiterentwickelte Techniken eine europäische Karriere machte, und von dem Bruder Ambrosius Holbein, ebenfalls ein filigraner Porträtmaler, der aber irgendwann einfach nicht mehr auftaucht und um 1520 gestorben sein muss.

    Es ist weiter die Geschichte der Stadt Basel, in die die Holbein-Brüder um 1515 herum - als Halbwüchsige - kamen, wo Holbein als Fassaden- und Wandmaler begann und dann sehr schnell zum Patrizier-Porträt und zum religiösen Tafelbild überging. Das mit bescheidenem Stolz agierende Kunstmuseum Basel besitzt weite Teile dieses Oeuvres, hat viel dazugeliehen und veranstaltet nun seit 1960 die erste große Holbein-Schau.

    Die Ausstellung erzählt zudem die Geschichte der Zuschreibungen und Restaurierungen. Was aus der Werkstatt kommt und was Werke eigener Hand sind, ist oft unklar und muss neu bewertet werden. Andererseits sind manche der oft schon verschatteten, verwitterten Hauptwerke sorgfältig restauriert worden. Die grandiosen Seitenflügel des sonst im Freiburger Münster beheimateten Oberried-Altars, Geburt Christi und Anbetung der Könige, erstrahlen im Basler Museum in beinahe greller Leuchtkraft, und auch die Solothurner Madonna und die auf fast intime Weise pyramidal geschichtete Anbetungsgruppe um die Darmstädter Madonna wirken frisch wie nie zuvor.
    Man muss nicht über den Faltenwurf in Renaissance, altdeutscher Malerei oder in der einflussreichen flämischen Schule promoviert haben, um das schön zu finden. Man muss auch nicht das Problem wälzen, ob dieser Hans Holbein nun ein besserer Maler oder nicht doch ein noch begnadeterer Zeichner war: Er konnte beides, und Holzschneider und Kupferstecher war er dazu. Und er arbeitete sich aus den vorgegebenen, vor allem religiösen Topoi heraus zu einer individualisierten, aber strengsachlichen Malweise, er entwarf eigene Bildprogramme auch in den Passionserzählungen, er zeigte das aufstrebende Bürgertum nicht nur repräsentativ, so wie es sich selbst gern sah, sondern auch mit sehr persönlichen Zügen.

    Der Basler Kurator Christian Müller, der als Betreuer des hauseigenen Kupferstichkabinetts sowieso für Qualität bürgt, bietet in dieser grandiosen Ausstellung nicht nur einen fast vollständigen Durchlauf bis zu Holbeins erstem England-Aufenthalt, sondern auch jede Menge Vergleichswerke, von Hans Baldung Grien, vom Oberrhein oder aus der Basler Werkstatt zu Beginn des 16.Jahrhunderts. Müller hat die Malerei sehr luftig, mit viel Abstand, die zahlreichen Zeichnungen und Drucke naturgemäß enger arrangiert. Das ergibt einen großartigen Parcours, auf dem man nicht nur Holbeins Entwurf zum ersten (später verbrannten) Familienbild überhaupt, nämlich der Familie des Thomas Morus 1527, sehen kann, sondern auch diverse Holbein-Portraits des Erasmus von Rotterdam und Klassiker wie die "Dame mit dem Eichhörnchen".

    Manches davon ist bereits in England gearbeitet. Als die bilderfeindliche Reformation 1529 auch Basel erreichte, sah Holbein sich nach neuen Betätigungsfeldern um. Er ist einer der ersten Künstler, die sich quasi europaweit vermarkteten – obgleich die Sehnsucht nach Basel wohl immer geblieben ist. Der in England entstandene Teil des Werks, vor allem Porträtstudien von Adligen, wird im Herbst in der Londoner Tate Gallery gezeigt werden. In Basel aber dominiert noch die religiöse Malerei. Holbeins aus der Untersicht gemaltes, mit falben Fleischfarben argumentierendes, langgestrecktes Querformat des "Leichnams Christi im Grabe" zeigt nicht einen nur irgendwie leidend gestorbenen Körper, sondern erstmals eine wirklich geschundene Leiche mit aufgespreizten Wundmalen und grotesk verdrehten Augen.

    In Holbeins Malerei sind Lichtführung und Kontrastreichtum, Plastizität und Präsenz der Figuren ohnegleichen; neben Dürer war er im deutschsprachigen Raum der Protagonist seiner Zeit. Noch die den Schlusspunkt bildenden Kleinstformate, die Holzschnitte und Drucke, die Memento Moris und Illustrationen des Alten Testaments sind anrührend und fein, kleine Basler Totentänze.

    Man kann sich an dieser Klarheit dieser Ausstellung richtig aufladen, aufrichten. Die Fortsetzung folgt – im Herbst.