Das gemeinsame Projekt von She She Pop und dem Schauspiel Stuttgart - so heißt es im Antrag auf Fördermittel durch den Fond Doppelpass der Bundeskulturstiftung - sucht nach neuen Möglichkeiten kollektiver Zusammenarbeit, auch im Hinblick auf die Partizipation der Zuschauer - und nach neuen Positionen eines politischen Theaters. Also Schluss mit den Gewohnheiten. Fast alle üblichen Zugänge zum Zuschauerraum sind verschlossen, man darf nur in den hinteren Reihen Platz nehmen - und kaum ist eine auf den Eisernen Vorhang projizierte Besichtigung von Werkstätten und Bühnentechnik beendet - heißt es: Umziehen. Auch die Zuschauer gehören auf die Bühne. Vor uns: eine halbe Hundertschaft von Akteuren aus allen Abteilungen des Theaters zusammen mit drei She She Pop Mitgliedern, mal als Chor in fließender Dauerbewegung gegenüber den starr auf Stühle gebannten Zuschauern, wenig später als Phalanx, aus der Einzelstimmen hervortreten.
Dann Gegenüberstellungen, Fragen auf Gegenseitigkeit: freie Szene versus Repertoiretheater; Künstler kontra Personal, Kreative und "die Unsichtbaren", die alles überhaupt erst ermöglichen und kleine und große Pannen einfallsreich verhindern, wie man lernt. Statt Dialoge: an Brechts Lehrstücken orientierte Befragungen. Gibt es Gemeinsamkeiten? Ja. Welche? Es folgen Beispiele und immer neue Umgruppierungen.
Merke: die Grenzen sind fließend. Natürlich gibt es im Repertoiretheaterbetrieb mehr festgeschriebene Zuständigkeiten: Wer? Wofür? wird abgefragt - Vortreten bitte. Ein oder mehrere an die Brust geklebte Zettel informieren über die Funktionen einer Person, ihre Mehrfachaufgaben, auch zwingende Einmischungen. Dialoge, Reflexionen, Affekte, Ambivalenzen oder einfach erhellender Witz - Fehlanzeige. Ach ja: auch die Zuschauer werden beteiligt an diesem Theater der Frage- und Antwortspiele. Sie sollen allerdings nur Fragen stellen. Der Einfachheit halber (und weil Zuschauer sowieso immer alles schlucken) werden die erwünschten Fragen auf eine Leinwand projiziert - und von bestellten "Zuschauerdelegierten" chorisch abgelesen. Nein: Keine Moral. Das ist vielversprechend.
Keine Einsichten vermittelt
Aber dieser Abend vermittelt auch keine Einsichten: weder in die Arbeitsbereiche, noch ins eigene Rollenverständnis oder in die Hierarchie des Theaters. Es gibt Macher und Gemachte, solche die im Licht und andere, die im Schatten stehen, Begeisterte und Mitläufer - fast wie im richtigen Leben. Ob dazu ausgerechnet Brechts umstrittene Lehrstücke als Medium der Vermittlung taugen, ist nach diesem eindimensionalen Theaterabend mehr als zweifelhaft.
Es entsteht nicht der Hauch einer irritierenden dialektischen Brechung. Brechts Konzept jedenfalls wird in fast beklemmendem Maße durch einfache Frage- und Antwort-Wechsel, didaktisch angestrengte Zusammenfassungen und ein paar amüsante Rollenwechsel simplifiziert. Nur ein paar witzige "Ausrutscher", einige wenige individuelle Züge, schauspielerische Momente machen diesen Abend erträglich.
Denn alles, was gutes Theater ausmacht und bewirken kann, wird im Banne einer Lehrstück-Doktrin unterschlagen, die schon bei der Uraufführung vor fast hundert Jahren zum Skandal führte: einschüchterndes Laientheater, bei dem man auf resignative Anpassung eingeschworen wird und als Zuschauer schon froh sein kann, dass man nicht in echt, sondern nur theatertauglich erschossen wird.
Bleibt zu hoffen, dass auch allen an diesem Gemeinschaftsprojekt Beteiligten deutlich geworden ist, in welchem Maße der gewollte und wichtige politische Anspruch durch diese distanzlose theatralische Nabelschau buchstäblich verspielt wurde. Wenn man Brecht wirksam und nicht nur "nachhaltig" ins Heute übersetzen will, sollte man um Gottes willen seine Anweisung " wie Schüler zu sprechen" nicht wörtlich nehmen.