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''Leibesübungen für eine Sünderin''

Der Arbeitstitel von Jenny Erpenbecks neuem Stück lautete "Walpurgisnacht". Denn in der treffen sich sieben verrätselte Menschen und ein Hund im Totenreich. Der endgültige Titel "Leibesübungen für eine Sünderin" atmet dann genau die verkrampft poetisierende und metaphorisierende Absichtlichkeit, die das gesamte Stück bleiern beschweren. Die "Sünderin" ist eine Frau, die an den realen Sozialismus geglaubt hat. Weshalb sie nur Schaden angerichtet hat. Getreu ihrer Meinung, "Arbeit fängt beim gesellschaftlichen Nutzen an", hat sie dafür gesorgt, dass ihre Tochter den für die Ausreise zum geliebten Mann beantragten Pass nicht bekam, - woraufhin sich diese erst in die Natur zurückzog und dann dort am Kirschbaum erhängte. Ihren Mann hat sie gar jahrelang bespitzelt. Sie lieferte nicht nur Berichte, sondern vergiftete auch in der Wohnung, in der er sich mit Andersdenkenden traf, einen Hund. Weil der mit zwei Frauen in wohl auch sexualisierter Dreisamkeit lebte. Alle, die nicht so lebten und dachten, wie sie es für richtig hielt, hatten sie als Gegnerin.

Hartmut Krug berichtet |
    Bei einem Abendessen kommen nun etliche noch einmal zusammen, in deren Leben die Frau eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Jeder Gang dieses Essens besitzt tiefere Bedeutung. Die selbstbestimmte Natur wird in Form eines abgeholzten Waldes als Salat serviert, die tote Tochter kommt als Braten auf den Tisch, und das Blut all der blassen Toten wird als Rotwein kredenzt. Beim Tischgespräch werden zwischen Erinnerung, Beschimpfung und Verteidigung die Verhältnisse und das Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart allerdings mehr verundeutlicht als klargelegt.

    Dann geht es zum Verdauungsritt durch die Welt. Dabei finden die sogenannten Leibesübungen als monologische Dialoge an den ehemaligen Wirkungsstätten der Frau statt. Jenny Erpenbeck schrieb ihr undramatisches Dialogstück in einer Sprache ohne Spannkraft und Witz. Ihre Figuren bringen weder reale Konturen mit noch erhalten sie im Spiel skurrile Form. Regisseur Peter Wittenberg zeigt sich mit seinen Schauspielern deutlich hilflos gegenüber Erpenbecks Erfindungen. Was angeschrägt und grotesk sein müßte, kommt nur angestrengt und aufgedreht daher. Bühnenbildner Sascha Groß hat ein nischen-enges Zimmer mit scheußlich gemusterten Stoffwänden auf die Bühne gehängt. Die Bäume im Wald, zwischen denen die Frau im zweiten Teil zu einer Schnitzeljagd nach dem Sinn ihres Lebens geschickt wird, sind aufgeblasene Säulen aus dem gleichen Material. Bei seinem Versuch, die äußere und innere Hässlichkeit der durchlebten Welt der Figuren zu zeigen, gelang dem Bühnenbildner ein wirklich hässliches Bühnenbild.

    Die toten Menschen steigen darin zu metaphorisch bedeutungsvollen Ritten auf eine Sattelstange und erheben sich vor unseren Augen immer wieder steif in die Höhe. Als Theaterfiguren aber bleiben sie stets bleischwer auf dem Boden ihrer tieferen Bedeutungen haften. Zu deren Verdeutlichung hat der Regisseur Heiner Müllers grandiosen Text über den mit seinem Schreibtisch verwachsenen Bürokraten aus der "Wolokolamsker Chaussee" eingefügt. Doch leider wird der nur schauspielerisch verplärrt.

    Insgesamt erlebt man auf der Bühne ein ödes schauspielerisches Gewurstel durch einen Text, der vor lauter Ambition nie zu sich selber findet. Weil nichts in diesem Stück nur etwas sein, sondern immer gleich mehr bedeuten soll. Da wächst die tote Tochter wie ein Pilz wieder aus dem Boden und wird mit den Worten "Gerechtigkeit" und "Zukunft" wieder hinab gedrückt. Die Frauen mit Hund aus dem Neubau werden von der Sünderin natürlich gleich, weil andersdenkend und aus der Reihe tanzend, als Hexen verurteilt. Was offen, natürlich und frei (Achtung: Natur!) sein könnte, hat auch keine Chance.

    Unter die erzählte Geschichte legt die Autorin philosophisch konstruierte Erfahrungsformen der Figuren, deren Konturen sich im Flug, in der Natur und schließlich im Wasser auflösen. Die Sünderin landet zum Schluss in einer Art Wellness-Bad: alles fließt weg, nicht nur die Gesellschaft, wie sie sie gekannt oder gewollt hat, sondern auch die soziale und physische Existenz verflüchtigen sich ins Nichts.

    Es ist ein ungemein abgehangener Bedeutungsquark, den uns Jenny Erpenbeck da serviert und den Regisseur Wittenberg in anderthalb quälenden Stunden auf der Bühne breittreten lässt. Eine funktionierende Dramaturgie hätte diesen Text nie und nimmer auf die Bühne gelassen. So rächte es sich, dass dies ein vom Deutschen Theater bestelltes Auftragswerk war. Denn das musste wohl raus. Und da hatten wir Zuschauer den Quark.

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