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Leibniz Kolleg Tübingen

Jedes Jahr 53 junge Leute nach dem Abitur, 10 Monate lang in einem Haus. Das ist ein Studienjahr im Leibniz Kolleg Tübingen in Zahlen. Die potentiellen Studenten kommen aus ganz Deutschland und stehen alle vor der Frage: Was tun, wenn das Abi hinter und das Leben vor einem liegt? Marie-Claire hatte ein Studium zwar in Erwägung gezogen, sich dann aber doch nicht dazu entschließen können.

Von Gerrit Mathis | 20.04.2004
    Ich wusste auch nicht, liegt mir so was überhaupt? Bin ich begabt? Das war dann auch der Grund, warum ich hierher gekommen bin, einfach um verschiedene Fächer kennenlernen zu können, zu wissen, ob mir so was liegt und ob mir das Spaß macht.
    Andere Studenten starten sofort nach dem Abi mit viel Elan in ihr erstes Semester und landen wenige Monate später im Frust der Orientierungslosigkeit und Überforderung. Das Studentenleben hatten sie sich anders vorgestellt und an ihr Fach völlig andere Erwartungen. Kein Wunder, meint Michael Behal, Direktor des Leibniz Kollegs, und begründet mit solchen Erfahrungen die Existenzberechtigung seines Kollegs:

    Das Leibniz Kolleg hat insofern eine wichtige Funktion, als es eine Brücke bildet zwischen der Schule, die einen noch nicht so richtig aufs Studium vorbereitet und der Universität, die erwartet, dass im Prinzip Studierfähige kommen und intensiv studieren können.

    Die Brücke zur Studierfähigkeit will das Leibniz Kolleg so schlagen: In zwei Einführungswochen, beginnend im Oktober, stehen die Benutzung der Uni-Bibliothek und wissenschaftliche Arbeitstechniken auf dem Programm. Dann beginnt das Leben und Studieren mit Seminaren, Vorträgen und Arbeitsgruppen bis Ende Juli. Außerdem sind zwei Hausarbeiten im Kollegsjahr Pflicht, hinzu kommt eine Reihe weiterer Aufgaben, erklärt Michael Behal:

    Sie müssen Referate halten; sie müssen Protokolle schreiben; sie müssen lernen, Projekte im Team zu lösen; wie man wissenschaftliche Fragen entwickelt. Das sind alles Qualifikationen, die einem nicht nur im Studium, sondern auch später im Beruf natürlich zugute kommen.

    Die entscheidende Frage aber lautet: Simulieren die Bedingungen des Leibniz Kollegs realistisch den Studentenalltag und sind Niveau und Inhalte der Seminare aus allen Bereichen der Universität mit denen des späteren Studiums vergleichbar?

    Da ist schon ein ziemlicher Unterschied zur normalen Uni. Hier hat man ja ‘n total persönlichen Bezug. Wir duzen auch die Dozenten, und an der Uni, da sitzt man in ‘ner Vorlesung mit 500 Leuten und kennt den Professor nicht. Darauf muss man sich, glaub ich, auch mental drauf einstellen.

    Doch im Rückblick erscheint das harmloser, weiß Ex-Leibnizianer Kai Freund, der jetzt im achten Semester Astrophysik studiert:

    Die Astronomievorlesung, die wir da im Kolleg hatten, die war wirklich ziemlich ähnlich zu der, die man auch im Physikstudium macht, sowohl qualitativ, als auch quantitativ. Insofern hat einem das schon ‘n ganz gutes Bild davon gegeben, wie ‘s halt abläuft und halt auch ‘ne Vorbildung gegeben.

    Das bestätigen auch andere Ehemalige und zeigen damit: Das Tübinger Leibniz Kolleg wird seinem Anspruch an sich selbst offenbar gerecht: Wer das Kolleg nach 10 Monaten und mindestens zwei Hausarbeiten verlässt, weiß nicht nur, worauf er sich im Studium einlässt, er ist vielen Erstsemestern auch eine entscheidende Nasenlänge voraus: Bibliographieren, der erste Satz der ersten Hausarbeit oder unübersichtliche Studienordnungen – das alles haben sie bereits hinter sich und können sich vom ersten Tag an mit den Inhalten ihres Studienfaches auseinandersetzen. Und so rät Ex-Leibnizianer Kai Freund:

    Empfehlen würde ich das Kolleg auf jeden Fall den Leuten, die nicht sicher sind, ob sie überhaupt an die Uni wollen, denn im Kolleg bekommt man sehr gut dieses universitäre Leben mit. Man sieht einfach sehr schön, wie’s abläuft.

    Danach entscheiden sich aber auch immer wieder Leibnitianer bewusst gegen ein Studium – und vermeiden es damit von vornherein, sich in das gute Viertel der Studienabbrecher an deutschen Unis einzureihen.