Keine Frage, Robert Harting ist ein sicherer Medaillenkandidat bei den Leichtathletik-Europameisterschaften (12. – 17. August 2014). Auch Kugelstoßer David Storl. Dass in Zürich aber auch die jahrelang erfolglosen Läufer nach Medaillen drängen, erstaunt, weil deren Aufstieg keiner Planung, sondern dem "System Zufall" zu verdanken sei. So der Regensburger Coach Kurt Ring, der den künftigen Zahnarzt Florian Orth trainiert. Ein Medaillenanwärter, der obendrein zwischen Bayern und Oberhessen pendelt, weil dort sein Heimtrainer lebt.
Trotz Zeitmangels führte 1500-Meter-Läufer Orth auch noch seine Lebensgefährtin Maren Kock, als "Pacemaker" auf Platz drei der besten europäischen Langstrecklerinnen. Wenn er 2015 sein Staatsexamen abgelegt habe, könne er endlich wie ein Profi loslegen, hofft Trainer Ring.
Zeit zum Laufen hat nämlich kaum ein deutscher Spitzenläufer – doch viel Talent und beträchtlichen Ehrgeiz. So trieb es einen von ihnen zum Training bis auf Kip Keinos Farm in Kenia – koste es, was es wolle. Ein anderer stieg zum 800-Meter-Meister auf, nachdem er sich als Fußballer das Knie lädiert hatte. Sie alle – ob Florian Orth, Timo Benitz, Martin Grau, Homiyu Tesfaye, Richard Ringer, Arne Gabius, Dennis Krüger, Marcel Fehr – verkörpern europäische Spitze, von 800 bis 10 000 Meter.
Der Deutsche Olympische Sportbund registrierte 2014 rund 20 Millionen Laufbewegte; unter ihnen auch Martin Grau aus dem fränkischen Höchstadt. Heute zählt er zu Europas besten Hindernisläufern. Warum diese Disziplin? Ohne Hindernisse wäre es ihm zu langweilig geworden. Nur gab es in Höchstädt weder Hindernisse noch Wassergräben.
Coach Markus Mönius zimmerte deshalb den ersten Hindernisbalken selbst. Den Sprung über den Wassergraben trainieren sie einmal pro Woche in Fürth. Das Engagement treibe Grau voran, so wie die anderen. Wie könne er sonst ohne feste Trainingszeiten in die Weltspitze über 1500 Meter gelaufen sein, fragt der angehende Raumfahrt-Ingenieur Timo Benitz. Er siegte bei der Team-EM im Juni, obwohl er, statt zu trainieren, zuvor für Klausuren gepaukt hatte.
Bei Jens Boyde, dem Bundestrainer, laufen zwar die Fäden zusammen, doch richtig geplant wird nichts. Es herrscht eben das Prinzip Zufall. Zumal die neue Generation ganz besonders weltoffen sei. Er wiederum tausche sich mit Kollegen völlig anderer Sportarten aus, zum Beispiel mit Hermann Weinbuch, dem Coach der Nordischen Kombinierer. Auch, um eine andere Sicht auf die Dinge zu bekommen.
Eine völlig andere Sicht entwickelt bereits der Frankfurter Homiyu Tesfaye. Der 20-Jährige kam als politischer Flüchtling aus dem Läuferland Äthiopien – tauscht sich aber weiterhin mit ostafrikanischen Athleten aus. Was Früchte trägt! Schneller als er durcheilten hierzulande die 1500 Meter nur Harald Hudak (3:31,96 Minuten) und Thomas Wessinghage (3:31,58 Minuten). Im Jahre1980! Tesfaye ist jetzt bei 3:31,98 Minuten angelangt – schneller war 2014 in Europa niemand.
Aber nicht nur er, auch die anderen wollen das ganz schnelle Rennen: Team-Europameister Richard Ringer, die EM-Zweiten Arne Gabius und Carsten Schlangen. Der Betriebswirt aus Friedrichshafen, der Arzt aus Tübingen, der Architekt aus Berlin. Alle drei bezeichnen sich als Profis, was für den Aufwand, doch nicht für den Ertrag gilt.