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Leichtathletik
Doping-Skandal weitet sich aus

Nach Informationen der ARD-Dopingredaktion und der französischen Tageszeitung "Le Monde" sollen führende Funktionäre des Weltleichtathletikverbands IAAF gezielt Blutwerte ignoriert haben, die auf Doping schließen lassen – gegen Zahlungen von jeweils mehreren hunderttausend Euro.

Von Daniel Bouhs | 25.11.2016
    Lamine Diack, Ex-Präsident des Leichtathletik-Weltverbands.
    Lamine Diack, Ex-Präsident des Leichtathletik-Weltverbands, steht im Fokus der Ermittlungen. (picture alliance / dpa / EPA/ WU HONG)
    Es sind französische Ermittler, die auf brisante Dokumente gestoßen sind – und mit ihnen drängt sich ein ungeheuerlicher Verdacht auf: Sechs gedopte russische Olympia-Teilnehmer – Läufer und Geher – sollen letztlich Schutzgeld an Funktionäre des Weltleichtathletikverbandes IAAF bezahlt haben: jeweils zwischen dreihundert und siebenhundert Tausend Euro dafür, dass sie weiter bei internationalen Wettkämpfen teilnehmen durften. Sie konnten so mit Unterstützung korrupter Top-Funktionäre und ihres Umfeldes Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen gewinnen.
    Die Pariser Staatsanwaltschaft für Finanzdelikte ermittelt mittlerweile seit einem Jahr – motiviert von Recherchen der ARD. Die Beweislast scheint erdrückend. Den Ermittlern liegen jedenfalls inzwischen E-Mails vor wie diese: Der einstige russische Verbandspräsident Valentin Balakhnichev schreibt seinen Kollegen im Weltverband:
    "Sanktionen wie die Aberkennung von Platzierungen oder Medaillen würden letztlich beide zerstören – sowohl den russischen Verband als auch die IAAF."
    Zahlreiche Ergebnisse unter Korruptionsverdacht
    Eine der sechs Beschuldigten ist die Läuferin Liliya Shobukhova, von der die ARD schon 2014 berichtet hatte. Die französischen Ermittler stoßen nun auf so etwas wie Regieanweisungen – eine plausible Erklärung dafür, warum Shobukhova 2012 beim olympischen Marathon in London zwar antrat, den Lauf dann aber – offenbar verletzt – abbrach. Genau so lautete offenkundig die Verabredung laut den Belegen, die den Ermittlern vorliegen. Ihre Verletzung war demnach nur vorgetäuscht, damit ihr im Fall der Fälle – wenn der Dopingverdacht doch bekannt würde – keine Medaillen hätten aberkannt werden können. Eine Strategie, um Schlimmeres zu verhindern.
    In den Unterlagen finden die Ermittler ebenso konkrete Hinweise auf dubiose Geldflüsse – auch hier ist eine entscheidende Quelle Balakhnichev, der einst immerhin auch Schatzmeister des Weltverbandes war. Er soll seinem früheren Präsidenten Lamine Diack 1,5 Millionen Euro zugeschoben haben. Diacks Sohn wiederum ist den Unterhalten zufolge ebenfalls verwickelt – und schrieb demnach einem Vertrauten eine eindeutige SMS:
    "Sieh’ zu, dass Du die erhaltenen 50.000 aus dem Shobukhova-Fall bis Montag zurückzahlst!"
    Mit den neuen Vorwürfen stehen zahlreiche Ergebnisse der Olympischen Spiele 2012 in London und der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2013 in Moskau unter massivem Korruptionsverdacht.
    Schutzgeld wie bei der Mafia?
    "Die neuen Erkenntnisse machen mich fassungslos", sagt Clemens Prokop, der Präsident des deutschen Leichtathletikverbandes. Er spricht von "Korruption mit System" und mahnt:
    "Wir alle, die den Sport lieben, sind aufgefordert, uns hier zu engagieren, dass hier zum einen die handelnden Personen mit Sanktionen belegt werden und zum anderen alles unternommen wird, um solche Wiederholungen zu vermeiden."
    Eine bewusste Vertuschung von Doping-Fällen im Weltsport, sogar mit Schutzgeld wie bei der Mafia? Der russische Leichtathletikverband, seine sechs beschuldigten Athleten und auch der Weltleichtathletikverband haben sich auf Anfrage der ARD-Dopingredaktion zu diesen neuen Vorwürfen nicht geäußert. Unterdessen ermittelt die französische Staatsanwaltschaft weiter – im Dopingsumpf der IAAF.