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Leichte Sprache in den Medien
Endlich verstehen oder unzulässig vereinfachen?

Manchen Menschen fällt es schwer, bestimmte Texte zu verstehen. Für sie gibt es spezielle Angebote, von Behörden - und auch Medien: In Fernsehen, Radio oder Zeitung bieten einige Redaktionen Nachrichten in sogenannter Leichter Sprache an. Eine Gratwanderung, die nicht immer gelingt.

Von Tobias Wenzel | 20.09.2017
    Auch der Deutschlandfunk bietet Nachrichten in Leichter Sprache an.
    Auch der Deutschlandfunk bietet Nachrichten in Einfacher Sprache an. (Screenshot Deutschlandfunk)
    "Na ja, wenn ich einen Brief bekomme, dann mache ich ihn erst auf, dann lese ich. Und dann verstehe ich nicht."
    Behördenbriefe gibt Hilde Wittur deshalb ihrem Betreuer von der Lebenshilfe Berlin. Und der erklärt ihr, was drin steht. Deshalb freut es sie, dass ab 2018 Behördenbriefe auch in Leichter Sprache verschickt werden müssen und sie dann in diesem Punkt nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen ist. Mario Herschel, der zusammen mit Hilde Wittur betreut wohnt, nutzt schon jetzt diese Sprache, die so verständlich wie möglich geschrieben ist, keine Genitive verwendet und Fremdwörter nur dann, wenn sie erklärt werden. Gerade liest er einen Artikel der taz in Leichter Sprache über das Thema Leichte Sprache und die Kritik daran: "Für viele Menschen sind die Texte eine Überraschung."
    "Die Wahlbenachrichtigungen wurden nicht in 'Leichter Sprache', sondern in falscher Sprache verfasst."
    "Die erklären damit alle Deutschen für doof."
    So reagierten zwei Facebook-Nutzer auf die Benachrichtigung zur diesjährigen Landtagswahl in Schleswig-Holstein, die in Leichter Sprache geschrieben war. Immer wieder Bindestriche, wo sie in der Standardsprache nicht stehen: im Wort "Land-Tag", in "Vor-Name", in "Post-Leit-Zahl".
    "Werden jetzt alle für dumm erklärt?"
    Christiane Maaß, Professorin für Medienlinguistik an der Universität Hildesheim und Leiterin der Forschungsstelle Leichte Sprache, hält das für problematisch: "Durch die Bindestrichschreibung entfernt sich der Leichte-Sprache-Text vom regulären Deutsch. Man sieht an den heftigen Reaktionen, die ich für berechtigt halte, dass das eine gefährliche Straße ist."
    Deshalb nutzen Maaß und ihre Mitarbeiter, zum Beispiel für die regionalen Nachrichten des NDR in Leichter Sprache, statt des Bindestrichs ein dezenteres Zeichen: einen Punkt auf mittlerer Höhe, wie man ihn aus Wörterbüchern kennt. So können Menschen mit Leseschwäche die einzelnen Wortbestandteile immer noch schnell erkennen.
    "Der zweite Punkt: Werden jetzt alle für dumm erklärt? Wenn dieser Text, wie das in Schleswig-Holstein geschehen ist, ausschließlich in Leichter Sprache geschickt wird, kann dieser Eindruck in der Tat entstehen. Also auch hier muss ich den Kritikern Recht geben. Das darf nicht passieren."
    Leichte Sprache ist ein Ergänzungsangebot. Es muss zusätzlich verschickt werden zu einem standardsprachlichen Text. Und der Leser entscheidet, was er für sich braucht und verwenden möchte."
    Leichte Sprache wie der Journalist Adrian Lobe in der F.A.Z. generell abzulehnen, weil sie gewisse Informationen vorenthalte, kann die Wissenschaftlerin aber nicht nachvollziehen. Auch in normalen Presseartikeln finde, mit Blick auf vorhandenen Platz und Leserschaft, ja eine Informationsauswahl statt. "Und das ist bei Leichter Sprache nicht anders. Wenn Sie sich überlegen: Alles, was nicht allgemeinsprachlich ist, wird erklärt."
    Ausschnitt aus NDR-Nachricht in Leichter Sprache:
    "Auf Rügen gibt es eine besondere Küste.
    Diese Küste ist eine Steil·küste.
    Steil·küste heißt:
    An der Küste sind hohe Felsen.
    Und diese Felsen sind sehr steil."
    "Der Text wird dadurch länger. Das heißt, Sie haben da Beschränkungen. Die Schrift ist größer, Sie haben jeden Satz auf einer Zeile. Da muss notwendig eine Informationsauswahl geschehen. Und die führt dann dazu, dass Personen sich überhaupt über ein Gebiet informieren können, auf das sie sonst gar keinen Zugriff haben", sagt Christiane Maaß.
    Hilfe für Millionen
    7,5 Millionen Menschen in Deutschland sind Analphabeten, über 13 Millionen können kein Behördenschreiben verstehen. Hinzu kommen demente und geistig behinderte Menschen. Für sie wie auch für Ausländer, die gerade Deutsch lernen, kann die Leichte Sprache auch eine Brückenfunktion darstellen. Das heißt, ihnen dabei helfen, zu einem späteren Zeitpunkt Texte in normaler oder wenigstens nicht ganz so schwerer Sprache zu verstehen. Zum Beispiel in der sogenannten einfachen Sprache. In der produziert der Deutschlandfunk im Rahmen eines Zusatzangebotes Nachrichten, einmal pro Woche für das Wellenprogramm und dauerhaft zu hören und zu lesen auf der Internetseite nachrichtenleicht.de.
    Mario Herschel hört gerade solch eine Nachricht, über das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Das interessiert Herschel besonders. Er ist nämlich SPD-Mitglied.
    Beispiel aus "Nachrichten leicht":
    "Es gab einen Tag später noch eine Fernseh-Debatte. Da waren die Kandidaten von den kleineren Parteien: Von den Linken, den Grünen, der FDP, der CSU und der AfD."
    Noch ehe die Sprecherin ihren Satz beendet hat, hat Mario Herschel schon die AfD genannt. Das zeigt, dass er auch Nachrichten in dieser etwas schwierigeren Sprache versteht. Das Parteiprogramm seiner SPD hat Herschel zuerst in Leichter und dann, vergleichend, sogar in normaler Sprache gelesen. Aber auf Leichte Sprache möchte er nicht verzichten, genauso wenig wie Hilde Wittur:
    "Ich brauche sie trotzdem, die Leichte Sprache."
    "Ich finde es gut, wenn man das erst mal vorher erklärt kriegt in Leichter Sprache. Und dann versteht man langsam."