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Leichtigkeit und Frivolität

Die Ausstellung "Wenn ich sonntags in mein Kino geh" behandelt ein sehr kurzes Kapitel der Filmgeschichte. Im Filmmuseum Berlin wird an die deutsche Tonfilmoperette erinnert, die von der Kritik geschmäht, vom Publikum geliebt wurde.

Von Jens Brüning |
    "Ich küsse Ihre Hand, Madame, und träum, es war Ihr Mund. Ich bin ja so galant, Madame, und das hat seinen Grund."

    Damit fing am 17. Januar 1929 alles an: Richard Tauber sang hinter der Kulisse, Harry Liedtke agierte vor der Kamera, und Marlene Dietrich gab in einer ihrer ersten großen Filmrollen die Madame. Es war eine Gesangseinlage im Stummfilm "Ich küsse Ihre Hand, Madame" von Robert Land und Beginn einer einzigartigen Konjunktur in der Unterhaltungsindustrie der krisengeschüttelten Weimarer Republik in ihrer Endphase.

    "Wenn ich sonntags in mein Kino geh und im Film die feinen Leute seh, denk ich immer wieder: könnt ich mal, ach könnt ich mal genauso glücklich sein! Alle Tage Sekt und Kaviar, und ein Auto und ein Schloss sogar, so was wünsch ich mir schon lang in meinen kühnsten Träumereien."

    Dieser Schlager, dessen Refrainzeile die Ausstellungsmacher zum Titel für ihre Ausstellung erkoren, entstand 1932, als die Tonfilmoperette ihren Höhepunkt erklommen hatte. Der Film "Ich bei Tag und Du bei Nacht" von Ludwig Berger zeigt das Prekariat der Vorkriegszeit und nimmt zugleich Bezug auf sich selbst, zum Beispiel in dieser Szene zwischen Amanda Lindner und Käthe von Nagy:

    "Diese Schlager verbreiten sich wie eine Pestilenz!"

    "Bitte, bleiben Sie da!"

    "Wenn ich sonntags in mein Kino geh und den Himmel voller Geigen seh, träum ich doch wie eh und je, einmal leben so wie sie."

    "Sie haben ganz Recht, Frau Seidelbast, diese Schlager! Im Leben kommt es nämlich doch immer ganz anders. Im Auto fährt man raus, und in der Stadtbahn fährt man heim. Haben Sie auch schon mal so was durchgemacht, Frau Seidelbast?"

    "Oh nein, mein liebes Kind, in meiner Jugend gab es noch keine Kinos!"

    Rainer Rother, Künstlerischer Direktor des Filmmuseums Berlin:

    "Dieses Genre, das wir im Mittelpunkt haben, die Tonfilmoperette, ist tatsächlich das erste originäre Genre der neuen Technik des Tonfilms. Western hat es immer gegeben, Abenteuerfilme, Krimis hat es immer gegeben."

    Die Tonfilmoperette aber setzte Maßstäbe, auch in der Unterhaltungsindustrie. Kino, Schallplattenindustrie und Rundfunk profitierten von der Kreativität der Filmemacher. Ausstellungskurator Peter Mänz ließ sich von den Schlagern von Robert Stolz, Robert Gilbert oder Werner Richard Heymann anstecken:

    "Das sind ja Ohrwürmer, und wir haben bei der Arbeit sehr, sehr viel gesungen."

    Das war auch schon immer so: Als der Filmkritiker Paul Marcus im November 1931 mit dem Filmkomponisten Werner Richard Heymann nächtens um die Häuser zog, konnte er anderentags in seiner Zeitung, dem "12 Uhr Blatt", davon berichten, dass der arme Heymann in jedem Lokal von eigenen Melodien beschallt wurde. Bei manchen sang er dann die internationale Version mit.

    Bei aller Melodienseligkeit: Die Tonfilmoperetten schilderten auch die täglichen Sorgen der "kleinen Leute". Hinterhoftristesse, Wohnungsnot, Kleinkriminalität, Geldsorgen und Arbeitslosigkeit.

    "Ist doch gut, dass ich meiner Frau nichts gesagt habe."

    "Was? Sie haben Ihrer Frau gar nichts gesagt, dass Sie Ihre Stellung verloren haben?"

    "Seit zwei Wochen, da komme ich jeden Morgen hierher ins Café, und meine Frau glaubt, ich gehe wie immer ins Büro."

    "Naja, aber einmal müssen Sie es doch sagen, nicht."

    "Ja, ja, einmal ja, aber für einen Monat, da langt noch mein Geld, und solange sag ich nichts."

    Wenige Tage, nachdem Fritz Kortners Film "So ein Mädel vergisst man nicht" uraufgeführt worden war, wurde der Reichstag aufgelöst. Kurz darauf war Adolf Hitler an der Macht. Rainer Rother:

    "Die Nationalsozialisten konnten mit diesem Genre definitiv nichts anfangen. Ihnen war die gesamte Atmosphäre verhasst, diese Mischung aus Leichtigkeit und Frivolität einerseits, andererseits der Verhandlung von dem, was das Publikum als alltägliche Realität erlebte, und dieses Genre war verhasst, weil es ganz wesentlich von jüdischen Künstlern getragen wurde. Sowohl von den Autoren, den Komponisten, den Produzenten, den Regisseuren kann man sagen, dass die große Mehrzahl jüdische deutsche Künstler waren, die folglich von den Nationalsozialisten verfemt, angegriffen, später vertrieben oder sogar verfolgt und umgebracht wurden."

    Manchem Emigranten gelang im Exil ein neuer Karrierestart. Man kann das im Filmmuseum Berlin anhand zweier eng beschriebener Kalender studieren. Kurator Peter Mänz über den mit "Epilog" betitelten letzten Ausstellungsraum:

    "Das Leitexponat in diesem Raum sind die beiden Adressbücher von Werner Richard Heymann, einmal das Berliner Adressbuch und einmal das Adressbuch aus der US-amerikanischen Zeit. Und man hat dort die Möglichkeit, sich noch mal näher mit 70, mehr als 70 Biografien zu befassen."

    Zum Beispiel mit der des Komponisten Ralph Benatzky, Schöpfer des Welterfolgs "Im weißen Rössl". Seine Operette "Axel an der Himmelstür" wurde 1936 in Wien uraufgeführt. Nach dem "Anschluss" Österreichs emigrierte Benatzky 1938 in die USA.

    "Nach Hollyhollyhollyhollywood, der Stadt des Happy Ends, nach Hollyhollyhollyhollywood, ins Reich der Prominenz, wo man Sinn für Schwatz und Getrubel hat, wo der kleinste Fratz schon ein Double hat, in Hollyhollyhollyhollywood, in Hollyhollyhollyhollywood! Selbst der Sonnenaufgang wird dort von Lubitsch inszeniert."