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Leiden und Leidenschaft

Vor 100 Jahren wurde die mexikanische Malerin Frida Kahlo geboren. Anlässlich dessen ist bei Prestel die Neuauflage des Bandes "Frida Kahlo und Diego Rivera" von Isabel Alcántara und Sandra Egnolff erschienen. Es handelt sich dabei um eine Monographie, die das Leben und Schaffen der Künstlerin in engen Bezug zu der Partnerschaft zwischen ihr und ihrem Mann Diego Rivera rückt.

Von Martina Wehlte | 05.07.2007
    Keine Malerei sei so ausgesprochen weiblich wie diejenige Frida Kahlos, schrieb André Breton 1938 im Katalog zur ersten Einzelausstellung der Mexikanerin in New York. Denn ihre Kunst gebe sich, so Breton, abwechselnd ganz unschuldig und ganz lasterhaft, um dadurch so verführerisch wie möglich zu wirken. Sie sei ein farbiges Band um eine Bombe.

    Bretons männlicher Blick auf Frida Kahlo und ihr Werk ist durch die persönliche Bekanntschaft mit der berühmten mexikanischen Malerin geprägt. Er erkennt einen wichtigen Aspekt ihrer Kunst, die so unmittelbar auf den Betrachter wirkt und die doch eine einzige Inszenierung ihres Lebens ist. Dass Frida Kahlo ihr Innerstes nach außen kehrt, ihr Leben sublimiert zu Ikonen des Leidens und der Leidenschaft, das macht die Anziehungskraft ihrer nur etwa 130 Bilder aus. Claudia Stäuble, die mit der Biografie und Malerei Frida Kahlos und Diego Riveras vertraut ist, beschreibt das so:

    "Sie spricht, sie erzählt über ihre Kunst, was in ihrem Leben passiert ist. Und das bringt sie uns sehr nahe, denk ich, weil sie da sehr ehrlich und sehr unmittelbar ist."

    Die Legende Frida Kahlo, deren Leben von Julie Taymor und Salma Hayek verfilmt wurde, ist das eine. Was aber macht ihre Werke so beliebt und kunstgeschichtlich so bedeutend, dass etwa eines ihrer Porträts vor wenigen Jahren bei Christies in New York für 3,2 Millionen Dollar verkauft wurde? Ein Preis, den noch keines der Gemälde ihres Mannes Diego Rivera erzielt hat.

    Es ist der naive Malstil, die starke Farbigkeit und die klaren Linien, die symbolhafte und doch leicht verständliche Bildsprache, in der sie komplexe Gefühlslagen und existenzielle Grundsituationen zum Ausdruck bringt. Sie war eine vielseitig gebildete Autodidaktin, die sich nach einem schweren Busunfall im September 1925 mit Kunst und Kunstgeschichte zu beschäftigen begann, als sie monatelang ans Bett gefesselt war.

    "Sie hat sich damals sehr intensiv mit Kunstgeschichte beschäftigt, vor allen Dingen mit der italienischen Renaissance. Einer ihrer Lieblingsmaler war Sandro Botticelli, das erwähnt sie in Briefen, und sie hat auch das erste Bild, das sie noch im Krankenbett gemalt hat, ihren Botticelli genannt. Also sie bezieht sich auch formal in ihren ersten Werken auf die italienische Renaissance und kommt dann aber recht schnell von dieser kunstgeschichtlichen Ausrichtung ab, beschäftigt sich eben mit der mexikanischen Volkskunst, und kommt darüber an dieses Farbenfrohe, dieses Lebendige und Naive."

    1928 lernte sie Diego Rivera kennen, dem sie schon als 15-Jährige begegnet war, als er das Amphitheater der Escuela Nacional Preparatoria ausmalte, deren Schülerin Frida damals war. Diego Rivera war eine Generation älter als sie, beleibt und nicht gerade schön, aber von großer Anziehungskraft auf Frauen. 1886 im mexikanischen Guanajuato geboren, stammte er aus einer wohlsituierten Familie, die sein künstlerisches Talent schon früh förderte. Als Frida Kahlo am 6. Juli 1907 in einem Vorort von Mexiko-Stadt zur Welt kam, reiste Diego durch Spanien, später nach Frankreich, kam in Kontakt mit Picasso und Gris, malte kubistische Bilder und kehrte erst 1921 endgültig nach Mexiko zurück. Dort erhielt er zahlreiche öffentliche Aufträge für Wandmalereien in Ministerien, Schulen, Kirchen, dem Nationalpalast und an anderen prominenten Orten. Er wurde neben José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros zum Haupt der sogenannten Muralisten, die mit einer gesellschaftlich engagierten, realistischen Freskomalerei eine moderne nationale Kunst schufen. Sie wurde als Mittel der politischen Erziehung im Lande vom Staat gefördert.

    "Diego Rivera war sicher durch die europäische Kunst sehr stark beeinflusst. Er war ja auch sehr lange in Europa unterwegs. Er hat verschiedene Länder bereist, Künstler dort kennen gelernt und dort gearbeitet, findet dann aber recht schnell seinen eigenen Weg. Das war eigentlich in erster Linie eine politische Kunst, die möglichst viele Leute erreichen sollte, deshalb haben sie ja gesagt, wir malen keine Leinwände mehr und hängen sie ins Museum, sondern wir bemalen Mauern, wir malen Gebäude, Häuser möglichst dort, wo viele Menschen sie sehen. Er hat eigentlich eine sehr einfache, zugängliche Bildsprache gefunden, um seine politischen Inhalte auch einem Volk, das größtenteils nicht sehr gebildet war, nahezubringen."

    Rivera war ein etablierter Maler, als er Frida Kahlo 1929 heiratete. Isabel Alcántara und Sandra Egnolff haben in ihrer Monographie die komplizierte Paarbeziehung thematisiert. Ihnen zufolge hatte der Vater Guillermo Kahlo seinen künftigen Schwiegersohn vor Frida gewarnt: "Wissen Sie, dass sie ein Satansbraten ist?" Das sei ihm klar, soll Rivera geantwortet haben. War Frida Kahlo etwa nicht nur das bedauernswerte Opfer ihrer frühen Kinderlähmung, ihres schrecklichen Unfalls und der zahllosen folgenden Operationen? Das Opfer der zahllosen Affären ihres Mannes? In dieses Licht ist sie ja gerückt worden. Doch sie, die durch ihr tragisches Schicksal, ihr Kämpfen, ihr Durchhalten ebenso zur Ikone wurde wie durch ihre Malerei, sie war auch störrisch, freilebig, exzentrisch, war eine begehrenswerte und begehrte Frau. Das machen die Autorinnen deutlich.

    Diego Rivera war überzeugter Kommunist, was an seinen Gemälden unschwer zu erkennen ist. Trotzdem hatte er keine moralischen Skrupel, für reiche Nordamerikaner zu arbeiten und das Rockefeller Center mit allerdings unvollendeten Fresken zu schmücken. Er förderte seine Frau durch seine internationalen Kontakte und forderte sie zu künstlerischer Eigenständigkeit auf. Tatsächlich ist Frida Kahlo eine so eigenartige Erscheinung, dass sie weder den Realisten noch den Surrealisten oder sonst einer Stilrichtung zugeordnet werden kann. Dieser Ansicht ist auch Claudia Stäuble:

    "Man hat immer wieder versucht sie einzuordnen, sie ist aber in ihrem Stil absolut singulär. Sie war ja sehr eng auch in Kontakt mit den Surrealisten, und sie hat sogar mal mit ihnen ausgestellt in Paris, und die haben immer versucht, sie quasi auf ihre Seite zu ziehen und haben auch ihre Ansätze in ihren Bildern wiedergefunden. Sie hatte aber einfach ihren eigenen persönlichen Ansatz und hat gesagt, sie malt eigentlich nur , was sie sieht, was sie fühlt. Sie fühlt sich keiner Theorie, keiner Doktrin, keiner Künstlergruppe zugehörig. Und diese traumhaften Elemente oder assoziativen Geschichten, die wir in ihren Bildern sehen, das ist wirklich, was unmittelbar aus ihr herauskam."

    Als schöne, ernste Frau tritt sie uns in ihren Selbstporträts gegenüber, verwurzelt in ihrer heimatlichen Tradition, selbstbewusst und stolz. Seelisches Leid setzt sie als äußere Verletzungen, als blutende Wunden ins Bild, macht den Täter zum Mörder. Erotische Bilder wechseln mit dem Schrei der Verzweiflung, Darstellungen des persönlichen Martyriums mit kosmischen Inszenierungen des Schöpfungsmythos. Die zum großen Teil ganzseitigen Farbabbildungen des Buches, das auch historische Fotografien enthält, vermitteln einen guten Eindruck von den Originalen.

    So intensiv wie ihre Kunst war ihr Leben. Ein körperliches und seelisches Wrack musste die inzwischen berühmte Malerin 1953 zur Vernissage ihrer ersten Einzelausstellung in Mexiko-Stadt auf einer Trage getragen werden. Ein Jahr später demonstrierte sie zusammen mit Diego gegen die CIA-Machenschaften in Guatemala. Am 13. Juli 1954 starb sie im Blauen Haus, ihrem Elternhaus, in dem sie mit Diego Rivera gelebt hatte. Es ist heute ein staatliches Museum mit ihren Bildern und der ursprünglichen Einrichtung.


    Isabel Alcántara und Sandra Egnolff: Frida Kahlo und Diego Rivera
    Erweiterte Neuauflage
    136 Seiten, 95 Abbildungen, davon 70 in Farbe, 24,95 Euro