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Leipzig
Immobilienboom gefährdet Kleingarten-Kolonien

Ein Garten für alle und eine grüne Oase mitten in der Stadt - das sind die Nachbarschaftsgärten in Leipzig. Nun soll das Grundstück verkauft werden, um Bauland zu generieren. Doch nicht alle Bewohner wollen das einfach so hinnehmen.

Von Claudia Euen | 10.06.2014
    Zu sehen sind mehrere Reihen Salatpflanzen in einem Beet im Kleingarten.
    Auch in den Leipziger Nachbarschaftsgärten steht die Selbstversorgung im Vordergrund (dps / Bernd Wüstneck)
    Ein Nachmittag in Leipzig-Lindenau: An einem Holztisch wird Kaffee getrunken, jemand spielt Gitarre, ein anderer repariert sein Fahrrad. Riesige Bäume werfen Schatten auf wildgewachsene Wiesen, dazwischen Sandkästen, Blumen und Beete – das sind die Nachbarschaftsgärten, eine 6.000 Quadratmeter grüne Oase mitten im Stadtgebiet. Stefan Schmiedichen beackert seit neun Jahren hier ein kleines Stück Land.
    "Dieses Jahr habe ich Bohnen, Kartoffeln, rote Beete, Mohrrüben und Mais, und auf der anderen Seite hinter den Bäumen haben wir noch Erbsen und Erdbeeren natürlich. Als wir angefangen haben war das purer Steinacker und ich hab gesagt, ich würde gerne so einen kleinen Meter haben und jetzt über die Jahre ist das gewachsen und größer geworden."
    Stefan Schmiedichen ist Vorstand im Gartenverein und einer der 100 Gärtner, die hier säen, pflanzen, jäten, ernten, kochen und gemeinsam feiern. 2005 kamen der 31-Jährige und seine Freundin an dieser damals noch öden Brachfläche vorbei. Fast alle Häuser rundherum standen leer, ein paar Leute hatten sich dem Ort angenommen und räumten Müll und Bauschutt beiseite. Mittlerweile kommen tausende Besucher jährlich. Jeder kann mitmachen. Wer will, kümmert sich freiwillig, auch um die Hühner oder die beiden Schweine, die bis vor kurzem ihren Lebensabend hier verbrachten. Doch das Landleben in der Stadt könnte wohlmöglich bald ein Ende haben. Eine Schweizer Immobilienfirma, die ein Großteil der Fläche besitzt, liebäugelt mit dem Gedanken zu verkaufen - eigentlich absehbar, sagt Schmiedichen.
    "Jetzt ist es so weit gekommen. Das Viertel ist aufgewertet, jetzt gibt es Interessenten. Das ist natürlich schwierig. Wir reden hier von 2004, da hat das Projekt begonnen, jetzt sind zehn Jahre vergangen und die Flächen sind gewachsen, es hat seine eigene Ästhetik. Es sind Bereiche geworden, wo Leute ihr Herz reingesteckt haben. Man hat natürlich all die Jahre gewusst, wir sind eine Zwischennutzung, aber nun ist es soweit gewachsen, die Kinder sind hier angekommen, es ist schwierig loszulassen."
    Doch Schmiedichen und den anderen Gartenfreunden wird kaum etwas anderes übrig bleiben, wenn hier tatsächlich neue Eigentumswohnungen oder Stadthäuser entstehen, die in den letzten Jahren im Westen der Stadt immer stärker nachgefragt werden. Dabei sind die Leute in den 90er-Jahren noch massenhaft in vermeintlich bessere Stadtteile weggezogen. Dann entdeckten junge Familien und Studenten in den Bauruinen ihre Zukunft. Stadtentwicklung von unten nennt das Heiko Müller, Stadtplaner beim Quartiersmanagement im Leipziger Westen. Er weiß, dass die Gärten an der Attraktivität des Viertels maßgeblich beteiligt waren - als "das bessere Berlin" wird die Gegend in der überregionale Presse hochbejubelt, dennoch müsse man realistisch bleiben, sagt Müller.
    "Durch das zehn Jahre Hiersein, haben sich die Nachbarschaftsgärten einen Stand erarbeitet, der sie als wichtigen Identifikationsort für den Stadtteil erscheinen lässt. Auf der anderen Seite befinden wir uns jetzt wieder in einer wachsenden Stadt. Seit mehreren Dekaden ist die kompakte Stadt eine Leitlinie des Planens und wenn man da wieder bauen möchte, sollte man das auf den Brachflächen tun, die immer zur Bebauung vorgesehen waren und die auch eigentlich ganz gut dafür geeignet sind."
    Die Nachbarschaftsgärtner wollen sich ihr Stück Freiheit nicht einfach nehmen lassen. Gemeinsam mit städtischen Vertretern möchten sie, die Grünflächen umdeklarieren, sodass sie nicht mehr bebaut werden können. Denkbar wäre auch, dass die Gärtner gemeinsam mit Stadt, Stiftungen und privaten Investoren die Fläche erwerben oder die Stadt Leipzig, die ebenfalls einen kleinen Teil der Gärten besitzt, dem Besitzer der Baufläche ein anderes Grundstück als Ausgleich anbietet. Die Stadt sympathisiert mit den Gärtnern, sieht sich aber nicht als alleiniger Retter, sagt Birgit Seeberger vom Leipziger Amt für Stadterneuerung.
    "Mehre Möglichkeiten sind denkbar. Wir stellen uns der Diskussion und wenn jemand mit einem Konzept kommt, dann prüfen wir das und versuchen das gemeinsam mit den Akteuren zu entwickeln. Vielleicht finden ja auch die Nachbarschaftsgärtner selber eine Möglichkeit sich diesen Ort zu sichern. Die Stadt könnte das unterstützen. Aber ob sie jetzt hier als Hauptakteur auftreten sollte, wage ich zu bezweifeln, obwohl es mit einem politischen Mandat auch möglich sein könnte."
    Eine mobilisierte Öffentlichkeit könnte nicht nur Bauherren vor Probleme stellen, sondern auch Politiker zum Handeln animieren. Mut könnte den Gärtnern eine Volksabstimmung in Berlin machen. Dort hatten Einwohner kürzlich gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes gestimmt. Das ehemalige Flughafengelände bleibt, was derzeit in Kleinformat im Leipziger Westen in Gefahr ist: ein Volksgarten.