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Leipzig
Spaziergang auf den Spuren der Hipster

Sie tragen Oberlippenbärte und Jutebeutel, knallenge Jeans und fahren Fahrrad ohne Bremse: Hipster. Leipzig gehört seit ein paar Jahren zu den Brennpunkten der Hipsterbewegung. Die Leipziger Lesebühnen veranstalten im Rahmen des B-Tour-Festivals den "Hipster Walk", einen Stadtspaziergang auf den Spuren der Trendsetter von heute.

Von Claudia Euen | 10.07.2015
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    Der Berliner Hipster-Cup der Schnauzbartträger: inzwischen gilt manchen Leipzig als Hipster-Hochburg. (Deutschlandradio Kultur - Andre Zantow)
    Sachsenbrücke. Leipzig: Menschen in Neonkleidung und mit dicken Hornbrillen sitzen auf der Straße, rauchen, trinken Szene-Getränke aus Glasflaschen, einer spielt Gitarre. Nichtstun ist hier die größte Anstrengung. Zentrumsnah, mitten im grünen Clara-Park, befindet sich dieser neuralgische Ort, an dem sich die nachwachsende Generation trifft.
    "Sachsenbrücken, Sachsenbrücken, Sachsenbrücken, Sachsenbrückensitzer, Sachsenbrücken, Sachsenbrücken, Sachsenbrücken, Sachsenbrückenhipster mit Schnurrbart",
    singt Franziska Wilhelm. Die Poetry-Slammerin und Romanautorin ist eine von zehn Wortkünstlern der Lesebühnen "West" und "Schkeuditzer Kreuz", die sich in Leipzig auf den Spuren jener Subkultur bewegen, die offenbar einen ganz eigenen Dress- und Verhaltenscode entwickelt haben.
    "Hol die Dawandadecke raus und setz dich auf den Bordstein, eine Mate sollte stets und ständig mit vor Ort sein ohne funky Sonnenbrille brauchst du hier nicht aufzukreuzen und wenn du sie mal nicht mithast, dann geh doch gleich nach Schleussig. Dann tanze um dein iPhone und auch wenns keinen interessiert, alle werdens liken."
    Sechs Kilometer lang
    Knapp sechs Kilometer ist der Hipster-Walk lang. Von der Hochschule für Grafik und Buchkunst schlängelt sich die Route quer durch den Park bis ins In-Viertel Plagwitz. Überall lesen, singen oder dichten die Poeten über die Stadt und ihr Szenevolk. Das ist ein Spaziergang abseits der Touristentouren und historischen Sehenswürdigkeiten. Hier geht es um ein Lebensgefühl, ästhetische Zuschreibungen, das ideelle Wertegerüst, dass sich die Stadt und sein Publikum im Laufe der Zeit selbst geschaffen haben. Zwischenstation, die Nonne, ein Waldstück mittendrin. Roman Israel erzählt von einem Pärchen, dass quasi zufällig Urlaub in Leipzig macht.
    "Der Marco Polo schreibt: Dieses Stück Auwald heißt die Nonne. Bärlauch verströmt diesen angenehmen Duft: Ich seh keine Waschbären und ich hasse Knoblauch, sagte Jens. Sie hatte ihn hergeschleppt, sie hatte diesen Urlaub geplant. Eine Woche Leipzig, was sollte man da schon machen? Schon nach einem Tag hatten sie alles abgegrast, was es zu sehen gab."
    Hipster und der Hype an sich
    Neben den Hipstern, also jenen, die zum Kultstatus der Stadt maßgeblich beigetragen haben, besprechen die Künstler auch den Hype an sich. Das tun sie mit zum Teil ironischem Unterton, denn obwohl sie sich selbst selten als Hipster bezeichnen, gehören sie zu jenen Kreativen, die lange Zeit in heruntergekommen Vierteln günstige Wohnungen mieteten und so Investoren und Marketing ein ideales Geschäftsklima bereiteten - ein eher unerwünschter Nebeneffekt. Denn auch in Leipzig ist Wohnraum in den letzten Jahren immer teurer geworden. Als Generalkritik aber versteht sich der Hipster-Walk deshalb noch lange nicht, sagt Spaziergangsforscher und Initiator des Hipster-Walks Bertram Weisshaar.
    "Es geht nicht darum, rumzukritteln oder alles doof zu finden, vieles von dem, was man beobachtet, findet man selber sympathisch, nur dass es von Marketing und Stadtentwicklung wieder so bemüht wird und in die Breite getreten wird und das ist komisch daran manchmal, da braucht es vielleicht ein Korrektiv.
    Weisshaar ist ein Aktivist, was das Spazierengehen betrifft. Seit mehr als 20 Jahren lädt er Interessierte zu Touren ein und kreiert Audio-Walks im Internet. Für ihn ist das Gehen ein Gegenpol zur immer schneller werdenden Welt – ein Art Selbstbestimmung und Konsumverweigerung, denn mehr als die eigenen Füße braucht man nicht. Mittlerweile hat sich das Spazierengehen weltweit als eigene kulturelle Praxis, als Kunstform etabliert. Im Rahmen des B-Tours-Festivals kann man noch bis Ende der Woche nicht nur auf den Spuren der Hipster, sondern auch ehemaliger jüdischer Bewohner, Montagsdemonstranten oder der Arbeiter(Alp)Träume wandeln. Das ist Wahrnehmung auf ganz neue Art, sagt Festival-Organisatorin Christin Prätor.
    "Ich würde sagen, dass es nicht nur eine physische Bewegung ist, sondern dass es sich auch um eine konzeptionelle Bewegung handelt, dass es mentales Begreifen ist. Dass man auf dieser Strecke durch die Stadt Dinge realisiert, die man vorher nicht so gesehen hat. Das Interessante ist auch, dass man das Wissen mit den Orten verknüpft und man einmal durch seine Stadt läuft und das einmal mitgemacht hat, dann hat sich auch dieser Raum geöffnet, der bleibt dann auch so."