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Leipziger Auenwald
Streit um den Eisvogel

Eines der größten Auwald-Gebiete zieht sich mitten durch Leipzig. Dort lebt und brütet der seltene Eisvogel. Naturschützer fordern deswegen Einschränkungen für den Bootsverkehr. Doch Wassersportler wollen das Gewässer nutzen, und auch die Stadt - vor allem für Touristen.

Von Ronny Arnold |
    Ein Eisvogel sitzt mit einem kleinen Stichling im Schnabel am 25.01.2013 auf einem Ast über einem Wassergraben im Oderbruch nahe Mallnow (Brandenburg).
    Das Streitobjekt: Der Eisvogel (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Stille im Leipziger Auwald morgens um neun. Fernab vom Lärm der Straßen ist das stadtnahe Idyll mit seinen wertvollen Pflanzen- und Baumbeständen Rückzugsort für Tiere und Erholungsgebiet für Naturfreunde. Neben Wildbienen, besonderen Libellen und seltenen Wasserpflanzen lebt in dem 6000 Hektar großen Schutzgebiet der Eisvogel. Der scheue Fischfresser brütet an den wildwüchsigen Steilufern, dafür nutzte er selbstgegrabene Röhren. Vor allem am Floßgraben, der sich durch den Auwald schlängelt und dessen Wasser viel klarer und fischreicher ist als andere Leipziger Flüsse, wurde der flinke Vogel gesichtet. Doch er kann hier nicht ungestört brüten, denn der Floßgraben ist die einzige Wasserverbindung zwischen dem Stadtzentrum und den südlichen Tagebauseen.
    "Der Eisvogel flüchtet, wenn Menschen vorbei kommen, will von seinem Nest ablenken. Der fliegt ganz flach übers Wasser, man sieht dann das kleine Hinterteil, was leuchtet und stößt einen Warnruf aus. Je öfter das passiert, hat man irgendwann das Problem, dass er nicht mehr zurückkommt, nicht genug Nahrung findet oder die Jungen verhungern."
    Holger Seidemann vom Umweltbund Ökolöwe sieht die Situation am empfindlichen Biotop kritisch. Denn der 4,5 Kilometer lange Floßgraben ist integraler Bestandteil im touristischen Gewässerverbund, dem Großprojekt der Stadt. Bis 2030 soll das umfassende Gewässernetz ausgebaut werden, um die Region noch attraktiver für Touristen zu machen. Ein Prestigeprojekt, in das bereits viel investiert wurde und in das in den nächsten zehn Jahren weitere 50 Millionen Euro fließen sollen. Auch im Auwald wurden teure Schleusen gebaut, Brücken angehoben und Flussbetten befahrbar gemacht. Und das, obwohl das Areal Landschaftsschutzgebiet ist und seit 2006 auch Vogelschutzgebiet. Das Ergebnis: Nur zwei Jahre nach der offiziellen Eröffnung wurde der beliebte Wasserweg bereits im vergangenen Sommer zum Schutz der Eisvogelbrut teilweise gesperrt - und das monatelang. In diesem Frühjahr nun dasselbe Problem, so Seidemann.
    "Der Floßgraben muss geschützt werden vor den Übernutzungsinteressen. Wir haben immer wieder zu den Planern und Behörden gesagt, das ist artenschutzrechtlich nicht möglich, was ihr hier vorhabt und auch für den Lebensraum eine Katastrophe. Und jetzt heißt es, die komischen Naturschützer, wegen dem Eisvogel dürfen wir nicht Boot fahren, so ist es ja eben nicht. Der Planer hat das internationale Artenschutzrecht nicht beachtet und die Konsequenz ist, dass hier wahrscheinlich nicht mehr viel gehen wird am Floßgraben."
    Vogel soll umziehen
    Der Konflikt ist nicht neu. Doch nun fordern die Leipziger Umweltverbände die Stadt auf, endlich die strengen Naturschutzregeln einzuhalten und gegenzusteuern. Sie wollen nur noch maximal 30 muskelbetriebene Boote pro Tag am Floßgraben, nur zwischen 12 und 16 Uhr und in geführten Touren. An Spitzentagen waren es in der Vergangenheit zehn Mal so viele. Das ist besonders für die Bootsverleiher bitter, denn sie sehen ihre Existenz bedroht. Kanu- und Bootsverleiher Dirk Hoffsky erinnert sich ungern an die Sperrung im letzten Jahr.
    "Wir konnten unseren Bootsverleih nicht so durchführen, wie wir geplant hatten. Noch viel schlimmer waren die geführten Touren, weil dort haben wir langfristige Buchungen bis zu einem halben Jahr, wo viel Geld bezahlt wird von den Kunden, die dann reichlich verärgert waren. Der Schaden ist weit über 10.000 Euro, das ist viel Geld für einen Geschäftsbetrieb, der nur ein halbes Jahr geht."
    Schuld für den anhaltenden Konflikt sehen die Naturschützer bei der Stadtverwaltung. Die habe den Naturschutz in ihrer Gewässerplanung nicht ausreichend bedacht, nun wolle sie wegen der hohen Investitionen politischen Druck aufbauen. Derzeit prüft das Umweltamt die Verträglichkeit für den Floßgraben. Die Einschränkung ist längst überfällig, denn die Brutzeit hat bereits begonnen. Doch weder der Eisvogel noch die Forderungen der Naturschützer scheinen die Stadt Leipzig von ihrem Vorhaben abzubringen. Angela Zabojnik, die Leiterin der Arbeitsgruppe Gewässerverbund, klingt wenig kompromissbereit.
    "Ich halte den rigorosen Vorschlag von nur vier Stunden der Nutzung nicht durchsetzbar und nicht förderlich. Wir werden an diesem wassertouristischen Nutzungskonzept festhalten."
    Gestützt durch Gutachten schätzt die Stadt den Habitat-Verlust des Eisvogels durch eine stärkere Boots-Befahrung für tolerierbar ein, sofern im gesamten Schutzgebiet das Vorkommen der Population gewährleistet ist. Soll heißen, wenn man den Vogel an der Stelle stört, kann er ja woanders hin. Wohl nicht ganz zufällig verfassten vor wenigen Tagen auch die Leipziger Wassersport- und Anglerverbände eigene Forderungen - mit sehr ähnlichen Vorstellungen wie die Stadtverwaltung. Gemeinsamer Tenor: Der Vogel soll umziehen.
    "Wir bieten dem Eisvogel andere Brutplätze, die weniger intensiv genutzt werden an. Es gibt geeignete Plätze, sechs Gewässerabschnitte, wo wir ausbauen, Ufer abstechen, Lehmgrade einbauen, einfache Dinge. Sofern der Eisvogel uns den Gefallen tut, die anzunehmen, können wir den Floßgraben wieder anders nutzen."
    Rein rechtlich verstößt eine bewusste Störung des Vogels gegen europäisches Schutzrecht. Die Stadt müsste ihr Vorhaben daher erst in Brüssel genehmigen lassen. Hinzu kommt, dass der Eisvogel sehr standorttreu ist. Dass er also bald freiwillig die Koffer packt, ist eher zu bezweifeln.