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Leistungsdruck gestiegen

Mit der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen sollten möglichst viele junge Menschen möglichst schnell für den Arbeitsmarkt bereitstehen. Doch gerade das hohe Tempo der neuen Studiengänge überfordert viele. Der psychotherapeutische Beratungsbedarf an den Universitäten ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.

Von Katharina Thoms |
    Katharina studiert im dritten Semester Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Tübingen. Eine ganz normale Bachelorstudentin. Sie schafft die Prüfungen, gibt rechtzeitig ihre Hausarbeiten ab. Doch der Kampf gegen die Zeit bestimmt ihren Studienalltag und die Studiengebühren drücken:

    "Das Stressige am Bachelorstudium ist, dass man einerseits einen hohen Zeitaufwand hat, da man viele Seminare auf einmal belegen muss. Und das andere ist, dass man einfach neben dem Studium noch Geld verdienen muss, und man muss natürlich auch Praktika absolvieren und das ist dann einfach während dem Studium kaum machbar."

    So wie Katharina geht es vielen Studierenden. Und immer mehr kommen mit dem Druck an der Uni gar nicht mehr klar. Dr. Karl-Heinz Schuldt, Psychotherapeut von der Beratungsstelle der Evangelischen Studentengemeinde in Tübingen, kann das bestätigen. Er meint, dass auch die persönliche Entwicklung unter dem straff organisierten Studiensystem leidet:

    "Ich sehe eine Überstrukturierung in den neuen Studiengängen und eine schleichende Reizarmut, was eigenes Forschen, eigenes Ausprobieren angeht. Also dieser Rahmen des Erforschens sowohl im Wissenschaftsbereich, als auch im persönlichen Bereich, der kommt zu kurz."

    Doch nicht nur formal engt das Studium ein. Das Deutsche Studentenwerk kritisiert vor allem die riesigen Stoffmengen, die bei einem Bachelorstudium reingepaukt und reproduziert werden müssen. Und es warnt davor, die neuen Studiengänge inhaltlich zu überfrachten. Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk:

    "Die Bachelorstudiengänge führen dazu, dass die Studierenden sehr viel früher in unsere Beratungsstellen kommen und mit sehr vielen praktischen Fragen. Man kann nicht sagen, Bachelor gleich mehr Psychostress, aber man kann sagen: Bachelor gleich mehr Beratungsbedarf. Dahingehend, dass die Studierenden sagen: Wie gehe ich mit den vielen Prüfungen um, wie gehe ich damit um, dass Prüfungen und Klausuren von Anfang an examensrelevant sind."

    Fast 23.000 Studierende haben im Jahr 2006 die psychotherapeutischen Beratungsstellen der Studentenwerke genutzt. Das sind etwa ein Drittel mehr als noch 2004. Seit im Jahr 2002 der Bachelor am Historischen Seminar der Uni Tübingen eingeführt wurde, wird auch dort der Uni-Alltag für die Studenten immer stressiger, erklärt Georg Schild, Professor für Nordamerikanische Geschichte in Tübingen:

    "Weil sie eingeschränkt sind in der Auswahl der Seminare, der Veranstaltungen, die sie besuchen können, weil sie unter Druck stehen, ihre Seminararbeiten rechtzeitig abzugeben, weil wir die permanente Abfrage von Wissen haben. Da geht im Moment die Tendenz hin, dass es für die Studenten doch eine hohe Belastung ist."

    Und damit werden auch die persönlichen Bedürfnisse immer weiter zurückgestellt hinter das alles einnehmende Studium, erklärt der Psychologe Karl-Heinz Schuldt:

    "Wir haben eine klarere Bahn, wir haben aber auch eine Verarmung von Beziehungsfähigkeit. Und das drückt sich in diesen Konflikten, die hier auftauchen, auch aus."

    Prüfungsangst, Schlafstörungen, Essstörungen, mangelndes Selbstvertrauen - mit diesen Problemen kommen die Studierenden zu Karl-Heinz Schuldt in die Praxis. Und obwohl die Studenten heutzutage sehr diszipliniert sind und mit immer größeren Anforderungen zurecht kommen, plagen sie sich mit Selbstzweifeln herum, weiß Karl-Heinz Schuldt:

    "Die kommen nicht hierher und sagen: "Ich hab hier Zoff!" sondern die kommen her und sagen: "Ich weiß nicht genau, ob ich überhaupt herkommen darf, ob ich nicht jemandem den Platz wegnehme. Ob ich ein Recht habe, hier überhaupt mit so einer Frage zu kommen. Ich hätte es eigentlich alleine lösen müssen." Also eine hohe Selbstverantwortung und da ist auch eine psychologische Komponente, also das ist 'ne Überforderung häufig."

    Doch wie umgehen mit dieser Überforderung? Der Nordamerika-Historiker Prof. Georg Schild kann sich zum Beispiel vorstellen, den Bachelor von den derzeit üblichen drei auf vier Jahre zu verlängern. Er warnt allerdings vor zu großen Erwartungen:

    "Das ist sicherlich etwas, an das man denken kann, nur dann wird natürlich der Anspruch bestehen in diesem vierten Jahr noch etwas mehr zu machen. Insofern, dass die Arbeitsbelastung des einzelnen Studierenden dadurch sinkt, da wäre ich etwas skeptisch."