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Leistungsverbesserer in der Grauzone

Neurologie. - Fünf Prozent der deutschen Berufstätigen greifen dem Vernehmen nach zu Substanzen, die ihre mentale und psychische Leistungsfähigkeit steigern sollen. Ein fachübergreifendes Forschungsprojekt hat sich jetzt mit diesen sogenannten Neuro-Enhancern beschäftigt. Die beteiligten Forscher plädieren im Abschluss-Memorandum für einen offeneren Umgang mit den Stoffen.

Von Kristin Raabe | 12.10.2009
    Ein Medikament, das hyperaktiven Kindern hilft, soll angeblich auch bei Gesunden die Konzentrationsfähigkeit steigern. Ein Antidepressivum die Fähigkeit zur Arbeit in der Gruppe erhöhen und ein Wirkstoff gegen Alzheimer auch bei jenen, die Gedächtnisleistung erhöhen, die eigentlich gar nicht unter der Krankheit leiden. Die Erwartungen der gesunden Anwender an solche Wirkstoffe scheinen allerdings häufig zu hoch gegriffen zu sein - wie Thorsten Galert von der Europäischen Akademie in Ahrweiler weiß:

    "Die wenigen Studien, die man in unserem Sinne auswerten konnte, haben gezeigt, dass viele der im Raume stehenden Vermutungen darüber, dass bestimmte Substanzen also auch bei Gesunden eine wirkliche Wirkung zeigen würden, eigentlich nicht haltbar sind."

    Der Philosoph und Chemiker ist der Koordinator des Forschungsprojektes zum Neuro-Enhancement. Den etwas gängigeren Begriff "Hirndoping" hört er nicht so gerne. Doping ist Betrug im Sport. In diese Ecke soll Neuro-Enhancement gar nicht erst gestellt werden. Der englische Begriff Enhancement bedeutet soviel wie Verstärkung. Sollte es irgendwann einmal effiziente Wirkstoffe zum Neuro-Enhancement geben, so könnten sie die Leistungsfähigkeit des zentralen Nervensystems verstärken. Völlig ohne Nebenwirkungen wäre das nicht zu haben. Für die Autoren des Memorandums wäre das allerdings noch lange kein Grund, Neuro-Enhancement zu verbieten. Galert:

    "Der Einzelne hat auch das Recht, sich in Grenzen zu schädigen. Das ist in vielen gesellschaftlichen Praktiken das gleiche. Wir dürfen zunächst einmal Rauchen, wir müssen das vielleicht in einer Weise machen, das wir andere möglichst wenig dadurch schädigen, aber wir dürfen rauchen, wir dürfen Extremsportarten machen, mit denen wir uns extrem gefährden. Man kann also auch dafür eintreten, dass Neuro-Enhancement-Präparate vom Einzelnen genommen werden, wenn er wirklich über die Risiken Bescheid weiß."

    Damit Anwender von Neuro-Enhancement-Präparaten ausreichend über Risiken informiert werden können, muss eine öffentliche Diskussion stattfinden. Zur Zeit sehen die Verfasser des Memorandums das größte Problem darin, dass Neuro-Enhancement in einer gesellschaftlichen Grauzone stattfindet. Galert:

    "Da sind zunächst einmal die Enhancement-Interessenten, die Symptome vortäuschen müssen, um Ärzte davon zu überzeugen, dass sie ihnen Präparate verschreiben, die sie eigentlich zu Enhancement-Zwecken haben möchten. Da sind die Ärzte, die meistens schon ahnen, dass jemand ihnen vielleicht nur irgendwas erzählt oder sich vielleicht sogar offen darauf einlassen, obwohl sie wissen, dass derjenige nicht krank ist. Da sind die Pharmaunternehmen, die nicht die Möglichkeit haben, den Markt der Gesunden sozusagen auf legalem Wege ganz geradeheraus zu bedienen, sondern die irgendwelche seltsamen Krankheiten, die eigentlich auch Gesunden einen Nutzen bringen könnten, vermarkten zu können. All das sind Phänomene, die wir gut kennen aus dem Doping im Leistungssport. Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich bin der Meinung, dass diese Doppelmoral, die da vorhanden ist, so ziemlich das abstossendste an dem Ganzen ist. Unser Anliegen ist, dass es keine vergleichbare Entwicklung im Bereich des Neuro-Enhancements geben sollte, sondern dass einfach die Bevölkerung der Tatsache ins Auge blicken sollte, dass ein gewisser Anteil der Bürger schon heute ein Interesse an solchen Präparaten haben."

    Um Neuro-Enhancement aus der Grauzone, in der es sich jetzt befindet, herauszuholen, muss auch eine entsprechende Forschung als solche deklariert sein. Pharmafirmen sollten also auch Studien mit gesunden Teilnehmern durchführen, bei denen dann Wirkung und Nebenwirkung von potentiellen Enhancern überprüft werden. Galert:

    "Zusätzlich könnte die Gesellschaft dann eben sagen, wir haben auch ein darüber hinausgehendes Interesse, auch die gesellschaftlichen Folgen im Blick zu behalten, die mit der Einnahme solcher Präparate einhergehen, und deshalb fördern wir Forschungsprojekte, die eher wie Feldstudien, eher soziologisch aber auch mit psychologischen Verfahren, eben erheben, wie sind die Konsequenzen nach langfristiger Einnahme für den Einzelnen , für das soziale Umfeld. Man hätte also tatsächlich die Möglichkeit, wenn das ganze offen betrieben und erforscht werden würde, das ganze auch in einer besseren Weise zu kontrollieren und mit Begleitforschung zu versehen."

    Dass bislang keine ausreichende Forschung zu Neuro-Enhancern stattfindet hält etliche Menschen nicht davon ab, die Substanzen trotzdem anzuwenden. Einer Umfrage der Zeitschrift "Nature" zufolge nimmt jeder fünfte der befragten Akademiker Medikamente zur Leistungssteigerung. Und auch fünf Prozent der deutschen Arbeitnehmer greifen greifen einer aktuellen Studie zufolge zu Neuro-Enhancern.