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Leitkulturen und religiöse Fragen

Während konservative auf die christlichen Wurzeln des Abendlandes pochen, sieht man im linken Spektrum eine Islamophobie im Lande heraufziehen. Auch die politischen Monatszeitschriften spiegeln derzeit solche Debatten. Norbert Seitz mit einem Überblick.

Von Norbert Seitz |
    Als jüngst Sozialdemokraten den Arbeitskreis "LaizistInnen in der SPD" gründen wollten, untersagte die Generalsekretärin und praktizierende Katholikin Andrea Nahles derartiges Ansinnen auf dem Terrain ihrer Partei. Was unter Laizismus praktisch zu verstehen sei, erläutert der sozialdemokratische Vorzeigekatholik Wolfgang Thierse im Gespräch mit der "Neuen Gesellschaft":

    Kein Gottesbezug in der Verfassung, keine Kreuze in den Schulen, keine Eidesformel "So wahr mir Gott helfe", kein Religionsunterricht als Pflichtfach, keine Kirchensteuer, keine Militärseelsorge. Das alles ist im Grunde die Forderung nach einem Staat, der eine säkularistische Weltanschauung anstelle von Religion privilegiert All das habe ich in der DDR erlebt.

    Dass der Laizismus eine Mogelpackung ist, die zwar Neutralität in religiösen Fragen vortäuscht, in Wahrheit aber selber eine areligiöse Religion darstellt, darauf verweist EKD-Kirchenrechtler Hans-Michael Heinig im gleichen Blatt.

    Der Laizismus" beschneidet in erheblicher Weise die Freiheit, gemäß den eigenen religiösen Überzeugungen zu leben. Damit ist er gerade nicht "neutral", wie seine Befürworter behaupten. Laizismus desintegriert durch pauschale Ausgrenzung, statt primär auf Integration durch gleichberechtigte Offenheit, Toleranz und wechselseitigen Respekt zu setzen.

    Dagmar Mensink, Kirchenbeauftragte beim SPD-Parteivorstand, macht dagegen in der "Neuen Gesellschaft" deutlich, dass es heute eher darauf ankomme ...

    ... wie wir die verschiedenen Religionsgemeinschaften gleichermaßen an den Möglichkeiten beteiligen können, die das Grundgesetz vorsieht, und nicht wie wir die Religion in öffentlichen Räumen möglichst beschränken.

    Die wackere Katholikin Mensink ist derzeit um ihren Job wahrlich nicht zu beneiden. So musste sie jüngst erleben, wie eine Bundestagabgeordnete ihrer Partei nach der Islamkonferenz ihre muslimischen Glaubensbrüder und -schwestern zum Boykott des Bundesinnenministers Friedrich aufrief. Dessen islamkritische Haltung stößt aber selbst bei einem seiner Amtsvorgänger auf verhaltenen Widerspruch. Wolfgang Schäuble im Gespräch mit der Zeitschrift "Cicero":

    Wir werden eher dann eine gute Zukunft haben, wenn es uns gelingt, die innere Kraft von Religion im Sinne von pluralistischer Demokratie zu nutzen, die ja auf eine Werteorientierung nicht verzichten kann. Wir haben deshalb jedes Interesse daran zu sagen, der Islam ist ein Teil unseres Landes und die Muslime einzuladen, mit uns die Fortschritte, die wir im Abendland erzielt haben, wertzuschätzen. Wir können Religion, Glaube, freiheitliche Demokratie und die Universalität der Menschenrechte miteinander vereinbaren.

    Indonesien wird gerne als Beispiel für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie hervorgekehrt. Doch die Realität dort sieht anders aus. In der Zeitschrift "Kommune" schildert Doris Gamino, wie in Indonesien eine islamische Reformsekteseit Jahren diskriminiert und verfolgt wird:

    Es gibt immer mehr muslimische konservative Gruppen, die systematisch versuchen, Gottesdienste in (angeblich) nicht genehmigten Räumlichkeiten - notfalls mit Gewaltandrohung und -anwendung - zu unterbinden. Staat und Regierung sind zu feige, sich für die Einhaltung der Verfassung einzusetzen."

    Währenddessen liegt der Zeitschrift "Die Politische Meinung" das weltweite Schicksal "gepeinigter Christen" am Herzen. So wird auf die "Christenverfolgung in der Türkei" und auf die Besorgniserregnde Situation in der Volksrepublik China eingegangen. Georg Evers sieht dennoch ein erstaunliches Anwachsen gläubiger Christen im gottlosen Riesenreich:

    Am spektakulärsten ist das Wachstum der protestantischen Christen, deren Zahl heute (nach Schätzungen) bei mindestens dreißig Millionen liegen soll. Die Zahl der Katholiken ist im gleichen Zeitraum von 1949 bis heute auf circa fünfzehn Millionen gestiegen.

    Leider liest man in der "Politischen Meinung" nichts über die massive Glaubwürdigkeitskrise der katholischen Kirche seit den Missbrauchsskandalen. Währenddessen greifen die "Blätter für deutsche und internationale Politik" das heikle Thema "Entschädigungszahlungen" auf. Christoph Fleischmann sieht dabei eine "katholische Herrenmoral" auf dem Plan, die sich in einen "eklatanten Widerspruch" verheddert habe:

    Der, der sich vor Gott als Sünder bekennt, leugnet vor den Menschen seine Schuld oder redet sie klein, um sich alsbald um andere Themen zu kümmern. Indem jedoch viele Kirchenvertreter sich im Umgang mit der eigenen Schuld kaum von anderen Schuldigen unterscheiden, verweigert die Kirche der Gesellschaft einen wichtigen Dienst: zu zeigen, wie man als Schuldiger verantwortlich leben kann.

    Norbert Seitz war das mit seinem Streifzug durch die politischen Zeitschriften.